«Doppelganger»: Hinter den Spiegeln der Querfront
Das neue Buch von Naomi Klein zeigt: Wer den Irrsinn unserer Zeit begreifen will, muss wohl selber ein bisschen irre werden.
Es klingt vermessen, aber der politische Geist der vergangenen Jahre lässt sich problemlos in einer einzigen Frage verdichten: Sind eigentlich alle verrückt geworden (womöglich auch ich selbst)?
Der Zusatz ist wichtig, weil er die anmassende Diagnose (pauschal, selbstgerecht) um die Möglichkeit von Zweifel und Selbstkritik erweitert. Und vielleicht hilft es, wenn man den Irrsinn unserer Zeit erfassen will, eine eigene Form von methodischem Irrsinn zu entwickeln.
Wie das gehen könnte, zeigt «Hello Dankness», ein Found-Footage-Film im Geist der Meme-Kultur. Das Künstlerinnenduo Soda Jerk hat dafür Hollywoods Bildergedächtnis geplündert: Aus Hunderten von Filmen seit 1937 hat es Szenen mit nur kleineren digitalen Eingriffen so zusammengeschnitten, dass sich daraus eine satirische Chronik der Irrläufe der US-Politik von Donald Trump bis in die Zeit nach Corona ergibt. Bestechend, wie nun Figuren aus verschiedenen Filmen plötzlich miteinander in Dialog treten. Etwa, wenn die dumpfen Metalheads aus «Wayne’s World» durchs Autofenster gegen Hilary Swank als trans Mann in «Boys Don’t Cry» pöbeln. Und die Apokalypse aus der Komödie «This Is the End» wird zur Metapher für das Erdbeben der Trump-Wahl.
Ist das albern, ist es schlau? In seinen besten Momenten ist «Hello Dankness» beides zugleich. Oder um es mit einem Zitat aus Philip Roths Doppelgängerroman «Operation Shylock» zu sagen: «Es ist zu lächerlich, um ernst genommen zu werden, und zu ernst, um lächerlich zu sein.»
Der Satz dient als Leitmotiv in «Doppelganger», dem neuen Buch von Naomi Klein. Die kanadische Antikapitalistin öffnet sich hier für eine besondere Form von Wahnfigur, und ihr Buch ist oft beides zugleich: Symptom des Irrsinns wie auch dessen Analyse. Dabei wirkt ihre Prämisse zunächst wie ein Witz, geboren aus einer narzisstischen Kränkung. Vordergründig geht es in «Doppelganger» darum, dass Naomi Klein immer wieder mit einer anderen Naomi verwechselt wird: Naomi Wolf, einst gefeierte feministische Autorin von Büchern wie «Der Mythos Schönheit» (1991), später Beraterin für die Präsidentschaftskampagnen von Bill Clinton und Al Gore.
Stammgast bei Bannon
In den vergangenen Jahren jedoch ist Wolf vor allem mit Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Coronapandemie aufgefallen – als Massnahmengegnerin, Impfskeptikerin und bald auch als Stammgast in «War Room», dem Podcast des Trump-Strategen Steve Bannon. Bereits in ihrem Buch «The End of America» (2007) hatte Wolf davor gewarnt, dass sich die USA zu einem totalitären Staat entwickeln würden. Als sie 2021 ein neues Vorwort dazu veröffentlichte, sah sie den letzten Schritt auf diesem Weg gekommen, und zwar mit der Ankunft eines neuen «Biofaschismus», der unter dem Vorwand von Massnahmen gegen die Pandemie durchgesetzt werde.
Verständlich, dass es Naomi Klein zunächst einfach unangenehm ist, wenn sie in den sozialen Medien (und nicht nur dort) laufend mit dieser «anderen Naomi» verwechselt wird – weil ihr dabei auch Positionen zugeschrieben werden, die weit weg von ihren eigenen sind. Doch die Sache ist komplizierter. Die Kränkung geht tiefer, und für Naomi Klein hat das auch mit ihren eigenen Büchern zu tun.
Denn angesichts der Standpunkte, die Wolf verbreitet, sieht sich Klein gleich doppelt wie von einer Doppelgängerin usurpiert: als Autorin von «No Logo!» (2000), die mit ihrem globalisierungskritischen Bestseller selber zu einer Marke wurde, auch wenn sie sich das nie eingestehen mochte; und dann vor allem auch von «Die Schock-Strategie» (2007), in dem sie zeigte, wie Krisen und Katastrophen von Regierungen benutzt werden, um neoliberale Projekte von Privatisierung bis Sozialabbau durchzusetzen. Daher rühren letztlich die Schwindelgefühle, die es bei Klein zusehends auslöst, wenn sie mit Wolf verwechselt wird. Nicht nur, dass Wolf ihr eigenes Branding spektakulär neu ausgerichtet hat: Wolfs Äusserungen zur Pandemiepolitik und zu dem, was sie «Biofaschismus» nennt, klingen auch noch wie ein Echo jener Thesen, die Naomi Klein damals in «Die Schock-Strategie» für ihre Analyse neoliberaler Politik entwickelt hatte. Aber ein grotesk verzerrtes Echo – oder?
Yoga im «War Room»
Bis hierhin wäre «Doppelganger» einfach das sonderbare, eitle Produkt einer Kränkung – und der Obsession, die Naomi Klein daraus entwickelt. Geradezu zwanghaft verfolgt sie, wo und wie sich die «andere Naomi» in den öffentlichen Diskurs einschaltet. Etwa, wenn Wolf auf ihrem Youtube-Kanal erklärt, warum «Impfpässe» gleichbedeutend mit Sklaverei seien (über 180 000 Klicks), oder wenn sie in einem Podcast erzählt, dass Geimpften der spezifisch menschliche Eigengeruch fehle, als seien sie nur noch Gespenster: «Du siehst sie, aber du spürst sie nicht.» Fieberhaft sammelt Klein solche Belege, und im Buch berichtet sie davon im vollen Bewusstsein, dass sie sich dabei auch der Lächerlichkeit preisgibt – was oft sehr lustig ist.
«Echt jetzt?» So reagiert ihr Ehemann, als er Naomi Klein einmal beim Yoga überrascht – während sie gleichzeitig Bannons «War Room» hört. Zu lächerlich, als dass man das ernst nehmen könnte, aber eben auch zu ernst, um lächerlich zu sein: Klein weiss, dass das auch für sie und ihr Buch gilt.
Doch das literarische Doppelgängermotiv, das dem Buch seinen Titel gibt, ist mehr als bloss eine ominöse Metapher, mit der Naomi Klein ihre private Obsession frisiert. Sie kennt die Lehren, die Doppelgängerfiguren immer dort, wo sie auftauchen, bereithalten. Und das macht ihr Buch erst richtig interessant: als Gesamtschau des Unheimlichen in der Politik und auch als Ansatz zu einer postpandemischen linken Selbstkritik.
Zu zaghaft, zu gehorsam?
Ein Double ist immer ein Symptom, oder wie Naomi Klein schreibt: «In Doppelgängergeschichten geht es nie nur um sie; es geht immer auch um uns.» Immer dann also, wenn sie das politische Abdriften von Naomi Wolf mit einer prägnanten These scheinbar dingfest gemacht hat, hakt Klein bei sich selber nach: Ist das nicht zu einfach? Wenn jede Doppelgängerfigur eine unheimliche Abspaltung deiner selbst ist, die dich an eigene verdrängte Krisen und Versäumnisse erinnert: Was sagt uns die Entwicklung von Figuren wie Naomi Wolf dann über die Versäumnisse bei der Linken, also über Leute wie Naomi Klein?
Ihre «Schock-Strategie», so hält Klein fest, sei nie eine Verschwörungserzählung gewesen, keine raunende Geschichte darüber, dass Katastrophen vorsätzlich fabriziert würden, als Komplott in irgendwelchen Hinterzimmern. Ihr Appell damals: gerade auch in Krisenzeiten skeptisch gegenüber den Mächtigen zu bleiben. Hat sie also, fragt sie sich jetzt, mit dazu beigetragen, dass rund um die Pandemie nun Verschwörungstheorien aus dem Boden schossen? «Oder – und diese Möglichkeit machte mir mehr Sorgen – war das Problem, dass ich und viele andere Linke in der Covid-Ära zu zaghaft und zu gehorsam gewesen waren?» Man darf das als rhetorische Frage lesen (und vielleicht ergänzen: mancherorts auch zu selbstgerecht).
So hat Klein wohl unterschätzt, dass die von ihr beschriebene Schockstrategie tatsächlich gerade auch bei Covid zum Zug kam – und sah dann ihre Thesen von einst plötzlich von der Rechten gespiegelt. Doch sie kann jetzt benennen, wo auf dem Weg nach drüben der Kurzschluss erfolgte: Keine Frage, die Pandemie wurde auch als Klassenkampf von oben durchgespielt – aber nur weil viele Reiche dabei noch reicher wurden, heisst das nicht, dass eine verschworene Elite dahintersteckte, wie das Wolf oder auch Bannon suggerieren. Wer hier einen Plan wittert, so Klein, trübt nur den Blick für die eingespielten Mechanismen des Systems, das solches möglich macht: zwar auch mit K, aber eben nicht Komplott, sondern Kapitalismus.
Klein kann sich auch die Querfront erklären, in der Leute wie Wolf und Bannon zusammenfinden. Die Feministin, die sich nach wie vor als Liberale versteht, und der Rechtsideologe, der in seinen Parolen manchmal wie die Travestie eines Linken klingt: Beide brauchen einander, damit sie gegenseitig ihr Narrativ als furchtlose Outcasts beglaubigen können, gegen die Fiktion einer Elite, die sie angeblich verstossen hat.
Was sich zu tun lohnt
Ja, Naomi Klein ist selber ein bisschen irre geworden (wie wir alle). Ihr Buch ist ein offenherziges Zeugnis davon, auch im schieren Umfang dessen, was sie neben Covid, Querfronten und Verschwörungsglauben alles in den Blick nimmt: die unheimliche Kontinuität in der Karriere des Heilpädagogen Hans Asperger zwischen Rotem Wien und Nationalsozialismus, die kolonialistischen Vorbilder für die industrielle Vernichtung im Dritten Reich, die «Doppelgänger-Politik» im Nahen Osten.
Und noch eine Erkenntnis aus der Doppelgängerliteratur: Ein unheimliches Double wird man nicht los, indem man es auslöscht – weil man damit zwangsläufig auch sich selbst opfern würde. Wenn Naomi Klein anfangs noch ihre Identität zurückerobern will, plädiert sie am Ende für ein «unselfing», für weniger Ich zugunsten der Gemeinschaft. Denn, so zitiert sie die Aktivistin Mariame Kaba: «Alles, was sich zu tun lohnt, geschieht mit anderen zusammen.»
Eine zu patente Moral? Stimmt, wie Klein wiederum selber einräumt. Denn wie in Jordan Peeles Film «Us» haben wir alle weiterhin unsere Spiegelfiguren im Schattenreich, wie Klein das nennt: all die Menschen, deren ausbeuterische Arbeitsbedingungen wir verdrängen müssen, damit wir im globalen Kapitalismus ungeniert unsere Konsumgüter geniessen können. Das müsse der Ausgangspunkt für jede wahrhaft linke Politik bleiben: die Systeme zu benennen, die diese Schattenreiche produzieren. Es reicht eben nicht, «nur Fragen» zu stellen, wie das einschlägige Mantra von Naomi Wolf und Konsorten lautet. Es sollten schon die richtigen Fragen sein.
«Hello Dankness» ist am 20. und 21. Oktober 2023 am Lausanne Underground Film and Music Festival zu sehen. www.luff.ch