Literatur: Reduktion und Schönheit
«Noch Licht im Haus»: Unter diesem vieldeutigen Titel sind eben neue Texte von Klaus Merz erschienen, dem gegenwärtig bedeutendsten Lyriker der Deutschschweiz. Wie in manchen seiner über dreissig Publikationen in 55 Jahren verbindet Merz Poesie und Prosa im selben Band. Dabei beeindrucken Kontinuität in Thematik und Tiefe ebenso wie die nochmals radikalisierte formale Reduktion. Die meist kaum ein Dutzend Zeilen umfassenden kurzen Geschichten entwerfen vielschichtige Porträts «gewöhnlicher» Männer und Frauen, skizzenhaft und doch ganze Lebensläufe prägnant erfassend.
Bei den Gedichten sind rund zwei Dutzend von der Auseinandersetzung mit Bildern und Texten anderer inspiriert, die persönlichsten, rund dreissig, bündelt der Autor in zwei Blöcken unter der Überschrift «Am Schauplatz». Die bei ihm seit je prekäre Balance zwischen Melancholie und Zuversicht hat sich im neuen Buch eher auf die dunkle Seite verschoben. Zwar gibt es helle Momente, zumal beim Träumen: «Kostbare Nacht: Leermond, die Tür zur / Vergangenheit steht offen, / lichte Bilder treten hervor // Unterm Brustbein / rumort für Augenblicke / ein gleissendes Glück.»
Doch daneben verspürt der Autor inzwischen viel Überdruss: «Immer öfter dieser leise / Widerstand gegen alles, // was über den Augen- / blick hinaus will. // Die Zeitung bleibt / hängen, ungelesen.» Im Gedicht «Kernkraft» sucht das lyrische Ich «täglich nach einem Endlager für Entmutigungen». Dazu scheint auch der früher für Klaus Merz essenzielle Trost durch die Wörter, durch die Schönheit der Sprache nicht mehr einfach gegeben. Seine Poetik umreisst er nochmals grossartig im Gedicht «Dreifelderwirtschaft»: «Am Anfang das Wort. / Dann sein behutsames Ausbuchstabieren. Lesend. / Schreibend. Schweigend. // Zwischen Sehnsucht und / Erinnerung das zarte Grau / des brachen Tages.» Ganz am Ende des Bandes, im «Postscriptum», steht ein Anflug von Krise: «Zuweilen fällt es / mich an, von hinten: Nimm all / deine Wörter zurück.»