Film: Gefährlich offene Welt

Nr. 43 –

Filmstill aus «Blackbird Blackbird Blackberry»
«Blackbird Blackbird Blackberry». Regie: Elene Naveriani. Schweiz/Georgien 2023. Jetzt im Kino.

Vielleicht weil im Georgischen wie im Deutschen die farbliche Verwandtschaft zwischen Brombeere und Amsel nicht hervorgehoben wird, macht das Bild der beiden in der ersten Szene von «Blackbird Blackbird Blackberry» einen solchen Eindruck auf Etero (Eka Chavleishvili). Sie blickt dem davonfliegenden schwarzen Vogel traurig nach und steckt sich eine Brombeere in den Mund. Da bricht unter ihr der Boden weg, und Etero rutscht den Abhang hinunter, dem wilden Fluss entgegen.

Etero, 48, liebt Blätterteigkuchen, freut sich auf den Ruhestand und darauf, mit niemandem etwas zu tun haben zu müssen. Mit Männern schon gar nicht, aber auch nicht mit ihren böse tratschenden Freundinnen, die sie offen für ihre Körperfülle und ihr einsames Leben bedauern und ihr zu verstehen geben, dass man ihr die Verantwortung für den Tod ihrer Mutter wegen Geburtskomplikationen gibt.

Etero fällt nicht in die Fluten. Auf dem Heimweg stellt sie sich die Freundinnen vor, die unberührt ihren toten Körper anstarren. Dieser öffnet seinerseits die Augen und blickt direkt in Eteros Seele. Zurück in ihrem Laden, dreckig und zerkratzt, verführt Etero den Lieferanten Murman. «Das wars also mit 48 Jahren Jungfräulichkeit», bemerkt sie danach lakonisch zu sich selbst, und die Welt ist plötzlich gefährlich offen.

Elene Naveriani (siehe «wobei» Nr. 1/22) bewies bereits in «Wet Sand» (2021) ein eindrückliches Gespür dafür, den subtilen, aber gnadenlosen Druck, dem nonkonforme Personen in dörflichen Gemeinschaften ausgesetzt sind, in präzisen Bildkompositionen mit wenigen Dialogen und Gesten einzufangen. Während «Wet Sand» noch mit einer dramatisch leicht ausschweifenden Handlung aufgeladen war, konzentriert sich «Blackbird Blackbird Blackberry» ganz auf seine faszinierende Hauptfigur. In deren Körper, deren Bewegungen und Blicken zeigen sich immer mehr Zeichen für die langsame Auflösung des Ungleichgewichts zwischen Eteros innerer und äusserer Freiheit. Zum Ansehen ist das fast so schön wie eine Amsel auf einem Brombeerstrauch, kurz bevor sie wegfliegt.