Kost und Logis: Inklusion auf Kunstrasen
Karin Hoffsten erlebte in Winterthur, wie schön Fussball sein kann
Da sitze ich, die Fussballspiele höchstens während E- und WMs im Fernsehen schaut, am vorletzten Samstagabend doch tatsächlich auf der Tribüne des Nebenplatzes der Winterthurer Schützenwiese und freue mich. Nachdem wir lange durch regennasse Düsternis irrten, herrscht hier fröhliches Gewusel.
Hergelockt haben mich Neugier und ein vages Pflichtgefühl, bin ich doch in dieser Zeitung – selten genug – für Peoplejournalismus zuständig, und heute Abend sind hier jede Menge Promis angesagt: Es ist ein besonderer Match, dem wir entgegenfiebern und den The One and Only Beni Thurnheer kommentieren wird.
Besonders ist der Match aber vor allem, weil hier gleich der FC Winterthur Brühlgut nicht nur gegen, sondern auch mit den Swiss Legends, ehemaligen Natispieler:innen, über den Kunstrasen flitzen wird; die antretenden Teams – «Rot» gegen «Weiss» – setzen sich bunt gemixt aus beiden Gruppen zusammen.
Die Winterthurer Brühlgut-Stiftung begleitet und fördert Menschen mit Beeinträchtigung, und deren Fussballteam spielt heute Seite an Seite mit den Swiss Legends, gesetzteren Sportgrössen mit grosser Länderspielerfahrung, die in einem Verein unter der Präsidentschaft von Andy Egli weiterhin ihrer Leidenschaft frönen. Hier haben alle gleichberechtigt ihren Platz – der Match steht beispielhaft für gelungene Inklusion!
Nach einem herzlichen Willkommen, entboten von Michael Lötscher von der Brühlgut-Stiftung, verkündet Thurnheer, wer gleich alles auf den Rasen kommen wird, und bei jedem der Namen steigt lauter Jubel in die nasse Abendluft. Neben Kubilay Türkyılmaz (Sturmlegende), Diego Benaglio und Jörg Stiel (unvergessene Goaliegrössen), Thomas Bickel («Isch sechzgi, gseht uus wie vierzgi») und Martina Moser (heute SRF-Fussballkommentatorin) sind es noch viele mehr, für deren Namen hier leider der Platz fehlt. Bei nicht wenigen ergänzt Thurnheer das Kürzel AHV.
Team Rot wurde von Jonas Boller, Trainer des FC Winterthur Brühlgut, vorbereitet, Team Weiss trainierte Gilbert Gress, ehemaliger Nationaltrainer und bekannt als Mann mit der Frisur. Der Match dauere zweimal eine halbe Stunde, sagt Thurnheer noch, «demit de Dokter nüt z’tue überchunnt».
Vor den Anpfiff haben die Fussballgötter auch hier die Nationalhymne gesetzt, und dann – endlich gehts los und läuft, wie es im Fussball eben läuft: schöne Pässe, das erste Goal nach zwei Minuten. «Mit wem fiebern wir eigentlich mit?», fragt meine Begleiterin, «mit beiden!», finde ich, das Publikum moniert laut «Hands!», zu Unrecht, weiss Thurnheer, neben mir sagt jemand: «De Kubi isch scho no zwäg!», und Martina Moser, der roten Nummer 7, gelingt mit wehendem Pferdeschwanz manch tolle Intervention. Das Publikum tobt.
Am Ende hat Rot gegen Weiss mit 6 : 4 gewonnen. Und wirklich alle sind glücklich.
Karin Hoffsten findet Fussball grandios, wenn er – wie hier – kein Fifa-Milliardengeschäft ist, sondern wirklich Menschen zusammenbringt.