Prozess gegen Brian Keller: Versagen der Behörden gehört aufgearbeitet

Nr. 45 –

Brian Keller, einst unter dem Pseudonym Carlos bekannt, wird am Freitag aus der Sicherheitshaft entlassen. Das hat am Mittwoch das Bezirksgericht Dielsdorf entschieden. Es verhandelte in diesem neusten Prozess rund dreissig Delikte, die Keller in Isolationshaft in der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies begangen haben soll. Dreieinhalb Jahre dauerte die menschenrechtswidrige Isolation, von August 2018 bis Januar 2022. In dieser Zeit lieferte sich der Gefangene einen Kampf mit den Aufsehern, spuckte, rebellierte, drohte, war aggressiv. Bei der Verhandlung drehte sich alles um die Frage: War Keller Täter oder wehrte er sich zu Recht gegen die unmenschliche Behandlung?

Behördenwillkür und drakonische Härte erfuhr Keller, der mit fünfzehn wegen einer Messerstecherei verurteilt wurde, bekanntlich nicht erst in der Isolationshaft. Die Behörden steckten ihn bereits als verhaltensauffälliges Kind in Einzelzellen. Nachdem ein Dokfilm über das erfolgreiche sozialpädagogische Sondersetting für den Jugendlichen ausgestrahlt worden war, liessen sich die Behörden von der «Kuscheljustiz-Kampagne» des «Blick» einschüchtern – und Keller fallen. Keiner weiss, ob dieser auch ohne diesen Verrat wieder straffällig geworden wäre. Was hingegen klar ist: Was seither folgte, ist ein riesiger Justizskandal.

Die Zürcher Strafverfolgungsbehörden drehten in den letzten Jahren, blind für die eigenen Verfehlungen, an der Repressionsspirale. Die Isolationshaft endete Anfang 2022 erst nach Eingreifen des Bundesgerichts. Das Bezirksgericht hat Keller nun zwar nicht freigesprochen, es blieb aber weit hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft von neun Jahren und sieben Monaten zurück und sprach stattdessen eine Haftstrafe von 2,5 Jahren aus, von denen Keller 370 Tage bereits abgesessen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, ob er die verbleibende Freiheitsstrafe zu einem späteren Zeitpunkt antreten muss, ist somit noch unklar.

Keller, inzwischen 28 Jahre alt, erhält also eine Chance in Freiheit. Damit aber darf das Kapitel nicht abgeschlossen sein: Nun gehört das Behördenversagen aufgearbeitet. Schadensersatz ist das mindeste, was diese Gesellschaft ihrem berühmtesten Gefangenen schuldet.