Rüstungspolitik: Heikler Transfer von Know-how?

Nr. 45 –

Im Berner Oberland erarbeitet der israelische Rüstungskonzern Elbit Systems das Rückgrat für die Kommunikation der Schweizer Armee. Neu entwickelte Technologie will er künftig auch für sich nutzen.

Soldat telefoniert mit einem Funk-Feldtelefon
Das Funksystem der Armee stammt aus dem letzten Jahrhundert. Nun soll die Kommunikation digitalisiert werden. Foto: VBS, CC BY-NC-ND

In Uetendorf, unweit von Thun, liegt der grenzfernste Punkt der Schweiz, wie die Gemeindeverwaltung auf ihrer Website schreibt. Trotz grosser Distanz zur nächsten Landesgrenze ist Uetendorf wichtig, wenn es darum geht, ebendiese zu verteidigen. Denn hier, vor prächtiger Alpenkulisse, tüftelt der israelische Rüstungskonzern Elbit Systems aran, die Kommunikation der Schweizer Armee zu digitalisieren.

Bisher stand Elbit vor allem als Lieferantin von sechs Aufklärungsdrohnen des Typs Hermes 900 im öffentlichen Fokus, für die sich das Verteidigungsdepartement (VBS) 2014 entschieden hat. Kaum Beachtung fand hingegen ein weiterer VBS-Auftrag für Elbit aus dem Jahr 2019: die Ersetzung der maroden Funkgeräte aus dem letzten Jahrhundert. Was unspektakulär klingt, kostet rund 300 Millionen Franken.

Die Aufträge veranlassten den Rüstungskonzern aus Haifa dazu, vor vier Jahren einen Ableger in der Schweiz zu gründen – Elbit Systems Switzerland mit Sitz in Bern. Im Juni 2022 eröffnete er in Uetendorf – wo übrigens bis Ende letzten Jahres der heutige SVP-Bundesrat Albert Rösti als Gemeindepräsident amtete – das Testzentrum NDC (Network and Digitization Center). Hier kommt auch das Alpenpanorama ins Spiel. Denn im bergigen Gelände neben Niesen und Stockhorn verhalten sich Funkwellen anders als im mehrheitlich flachen Israel. Zudem hat das NDC eine direkte Sichtlinie zu einem Forschungszentrum des Bundesamts für Rüstung Armasuisse, das sich nach Belieben in die Funksysteme ein- und wieder aus diesen ausklinken kann.

Oft kritisierter Konzern

Elbit Systems gehört mit einem jährlichen Umsatz von annähernd fünf Milliarden US-Dollar zu den dreissig grössten Rüstungskonzernen weltweit. Der israelische Konzern beschäftigt insgesamt rund 18 400 Mitarbeitende. Er ist führend in der Entwicklung von unbemannten Drohnen und im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Der Konzern ist einer der wichtigsten Zulieferer für die israelische Armee.

Immer wieder steht Elbit wegen seiner Geschäfte in der Kritik. So verkaufte die Firma letztes Jahr Waffen an die Militärjunta in Myanmar, und eine Tochterfirma belieferte Äthiopien mit Spionagesoftware gegen Dissident:innen. Der norwegische Pensionsfonds, einer der weltweit grössten Staatsfonds, nahm Elbit bereits 2009 aus seinem Portfolio – weil der Konzern Überwachungstechnologie für den Bau der Mauer zwischen Israel und Teilen des Westjordanlandes lieferte. Der amerikanische Ableger des Konzerns entwickelte KI-getriebene Applikationen für den Einsatz an der Grenze zwischen den USA und Mexiko.

Was im NDC geschieht, ist bislang kaum beleuchtet worden. Elbit selbst beschrieb es bei der Eröffnung als «Hub, um das eigene Know-how gemeinsam mit der Schweizer Industrie und Forschung weiterzuentwickeln». Eine Formulierung, die aufhorchen lässt. Denn der Bundesrat hatte 2019 auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärt, dass ein Technologietransfer nur «einseitig und ausschliesslich vonseiten Elbit» in die Schweiz stattfinden solle. Was stimmt denn nun?

Zum NDC gibt es zwar eine Mitteilung von der Beschaffungsbehörde Armasuisse und ein Werbevideo von Elbit, aber eine Postadresse ist nirgends veröffentlicht. Dennoch lädt die PR-Agentur Farner, die für die Kommunikation des Schweizer Elbit-Ablegers verantwortlich ist, auf Anfrage zur Besichtigung ein.

Weitere Schritte geplant

Jakob Baumann, Verwaltungsratspräsident von Elbit Systems Switzerland und ehemaliger Schweizer Rüstungschef (siehe WOZ Nr. 36/23), empfängt im Industriegebiet von Uetendorf. Das NDC liegt im zweiten Stock eines unscheinbaren Gebäudes, über einem hellgrün dekorierten Café. Das Labor besteht aus einem Computerraum mit vielen technischen Geräten, einem Büro und einem Sitzungszimmer. Das einzige Fenster geht auf einen Innenhof, das ganze Stockwerk ist videoüberwacht. Schnell wird klar, dass es hier nicht nur um ein paar neue Funkgeräte geht. Nicht umsonst prangt an der Wand des NDC in grossen Lettern der Schriftzug «Multi-Domain Network Combat Solutions». Das bedeutet, dass militärisch relevante Informationen von verschiedenen Stellen zu einem Gesamtbild kombiniert werden.

«Wir haben den Auftrag, die neuen Funkgeräte in sämtliche IT-Systeme zu integrieren, mit denen die Armee arbeitet», erklärt Baumann. Die Funkgeräte sind Teil eines übergeordneten 1,6 Milliarden Franken teuren Projekts, das die Kommunikations- und Führungssysteme der Armee bis 2035 neu aufsetzen soll. Ziel ist ein durchgängiger Datenaustausch über eine einheitliche Plattform, die alle Systeme vernetzt.

«Wir haben die analoge Welt verlassen, die ganze Kommunikation ist jetzt IT-basiert», sagt Sefi Mizrachi, technischer Leiter des NDC, der zuvor für den Mutterkonzern Elbit in Israel arbeitete. Anhand von zwei Test-Funkstationen, die auf Pulten an einer Wand des dämmrigen Raums stehen, demonstriert er, was das bedeutet. Die Besatzung eines Panzers oder Jeeps sieht auf einem Tablet andere Fahrzeuge und kann mit deren Besatzungen sprechen oder diesen Textnachrichten übermitteln. Zur Ausrüstung gehört neben dem eigentlichen Funkgerät auch ein «taktischer Router», der Daten von anderen Quellen integriert. «Das ist das Herzstück des Systems und erlaubt jegliche Konnektivität», sagt Mizrachi – also die Verknüpfung mit Signalen aus der militärischen Aufklärung, der Artillerie oder dem Heer. Mizrachi spricht von Netzwerken, die weiter funktionieren, wenn einzelne Teilnehmer ausfallen. Kein einzelner Punkt soll die Kommunikation unterbrechen können.

Export «nicht vorgesehen»

Noch ist das Zentrum in Uetendorf nur ein kleiner Ableger des grossen Rüstungskonzerns. Bis im Sommer war Mizrachi der einzige feste Mitarbeiter im NDC, derzeit werden weitere Netzwerkspezialist:innen rekrutiert. Insgesamt beschäftigt Elbit Systems Switzerland in Bern und Uetendorf acht Mitarbeitende, seit kurzem ist mit Andreas Cantoni auch ein Schweizer CEO mit an Bord. Die Funkgeräte sollen 2026 ausgeliefert werden.

Doch Elbit erhofft sich mehr. Die Vorführung in Uetendorf lässt diesbezüglich keine Zweifel offen: Geht es nach dem Konzern, werden Elbit-Systeme zum Zentrum der taktischen Kommunikation der Schweizer Armee.

«Wir sind ein KMU im Aufbau, mit der Ambition, ein mittelgrosses Rüstungsunternehmen zu werden», sagt Verwaltungsratspräsident Baumann. Die Schweiz als Absatzmarkt sei dafür nur ein Fokus. Hinzu kommt eine exportwirtschaftliche Überlegung: Elbit sieht die Schweiz als Standort, um in Europa zu wachsen. Die Schweiz sei ein bedeutender Markt, weil sie international als gute Referenz gelte, sagt Baumann. Wenn die Schweizer Armee ein Produkt getestet und akzeptiert habe, sei das ein Verkaufsargument in anderen Ländern. Zudem seien der gute Nährboden für Softwareentwicklungen und die Forschungslandschaft interessant. «Schweizer Universitäten sind natürlich gute Partner, mit ihnen möchten wir mehr Zusammenarbeit aufbauen», so Baumann. Ganz einfach sei das aber nicht. «Manche haben etwas Berührungsängste mit dem Defense-Bereich.» Baumann macht kein Geheimnis daraus, dass er mit Elbit in der Schweiz Telekommunikations- und IT-Lösungen entwickeln will, die der Konzern dann für sich nutzen kann.

Für die offizielle Schweiz stellen sich bei solchen Ambitionen politische Fragen. Das Risiko, dass in der Schweiz entwickelte Technologie vom israelischen Mutterhaus im Nahost-Konflikt eingesetzt wird, kam bereits 2018 in einer parlamentarischen Anfrage zur Sprache. Der Bundesrat antwortete im Februar 2019, dass der Technologietransfer von Elbit in die Schweiz im Vordergrund stehe: «Bei Beschaffungen von Systemen für die Armee bei Herstellern im Ausland ist es wichtig, dass mit einem Technologietransfer Fähigkeiten in der Schweiz aufgebaut werden, um die Einsatz­bereitschaft und den Unterhalt dieser Systeme zugunsten der Armee zu ermöglichen.» Es sei «nicht vorgesehen», dass Leistungen von Elbits Kooperationen in der Schweiz «zurück nach Israel ausgeführt oder Know-how transferiert wird».

Ob vorgesehen oder nicht: Grundsätzlich ist ein Technologietransfer nach Israel möglich. Funkgeräte und Telekommunikationssysteme gelten als Dual-Use-Güter – Produkte, die sowohl militärisch wie auch zivil eingesetzt werden können. Ihr Export ist international reguliert, in der Schweiz untersteht er dem Güterkontrollgesetz. Auf eine Anfrage, ob Elbit-Technologie aus der Schweiz nach Israel transferiert werde und wie dies überprüft werde, antwortet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): «Wir äussern uns nicht zu einzelnen Unternehmen.»

Keine politischen Kriterien

Anders ist die Lage beim Kriegsmaterial, also bei Waffen, Waffensystemen, Munition oder militärischen Sprengmitteln. Deren Export nach Israel ist verboten: «Der Ausschlussgrund der Verwicklung in einen bewaffneten Konflikt gilt mit Blick auf den aktuellen Nahost-Konflikt als erfüllt», schreibt das Seco auf Anfrage. «Generell bewilligt die Schweiz seit Jahren keine Exporte von Kriegsmaterial nach Israel. Die aktuelle Eskalation hat keinen Einfluss auf diese Praxis. Im Rahmen der Einzelfallbeurteilung wurden einzig temporäre Ausfuhren bewilligt.»

Jakob Baumann hat bei Dual-Use-Gütern keine Bedenken. Die Schweizer Elbit-Tochter halte sich an die Regelungen des Seco. Und so ist für ihn klar: «Wir entwickeln in der Schweiz Produkte für den Elbit-Konzern mit. Der Techtransfer läuft in beide Richtungen.»

Die enge Zusammenarbeit mit ausländischen Rüstungsfirmen ist in der Schweiz Programm. Armasuisse verpflichtet Auftragnehmerinnen, in hiesige Unternehmen zu investieren. Ziel dieser sogenannten Offset-Politik ist es, strategische militärische Fähigkeiten in der Schweiz aufzubauen. Die Schweiz will sich möglichst autonom verteidigen können – sechs Monate soll sie bei geschlossenen Landesgrenzen durchhalten können. Der Bund hat dafür sicherheitsrelevante Technologien definiert, Informatik und Telekommunikation stehen ganz oben auf dieser Liste.

Doch die Schweiz bleibt abhängig von den ausländischen Mutterkonzernen und setzt sich damit den Entwicklungen in deren Herkunftsländern aus. So steckt Elbit Systems aufgrund des neu eskalierten Krieges in Nahost die Energie in die Produktion für die israelische Armee.

Als die Beschaffungsbehörde Armasuisse 2019 entschied, dass Elbit Systems mit den neuen Funkgeräten die mobile Kommunikation der Schweizer Armee digitalisieren soll, hatte sie das geltende Gesetz, aber keine spezifischen politischen Kriterien zu berücksichtigen. 

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Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.