Rüstung: Der Chef mit den vielen Hüten

Nr. 36 –

Der neue Armasuisse-Chef Urs Loher ist mit der Rüstungsindustrie eng verbandelt – und soll für die Schweizer Armee Material im Wert von Milliarden Franken beschaffen. Kann das gut gehen?

Verteidigungsministerin Viola Amherd gratuliert Urs Loher zu seiner Ernennung zum Rüstungschef
Neuer Job in vertrauter Umgebung: Verteidigungsministerin Viola Amherd gratuliert Urs Loher zu seiner Ernennung zum Rüstungschef. Foto: Anthony Anex, Keystone

Im markanten, abgesicherten Gebäudekomplex am Guisanplatz in Bern findet in diesen Wochen ein wichtiger Personalwechsel statt: Die Schweiz erhält einen neuen Rüstungschef. Es ist ein wichtiges Amt – der Direktor von Armasuisse ist direkt Verteidigungsministerin Viola Amherd unterstellt. Den Posten übernimmt der promovierte Ingenieur und IT-Experte Urs Loher.

Loher muss in den nächsten Jahren, wenn es nach den Vorstellungen der Armee geht, Milliarden für neue Rüstungsgüter ausgeben. Für den Bundesrat ist er der beste Mann. Er kenne Armasuisse, die Armee und das Verteidigungsdepartement (VBS). Zudem sei er «mit der schweizerischen und internationalen Rüstungsindustrie bestens vertraut», steht in der Medienmitteilung zu seiner Ernennung im vergangenen Dezember.

Das ist kein Wunder, bringt Loher doch nicht nur viel Erfahrung, sondern auch ein grosses Netz mit. Er wechselte von Führungspositionen im VBS und bei Armasuisse zur Rüstungsindustrie und zurück. Vor seiner Ernennung zum Rüstungschef war er Geschäftsführer der Schweizer Tochtergesellschaft des französischen Rüstungskonzerns Thales, davor besetzte er verschiedene Positionen bei Rheinmetall Air Defence. Beide Firmen sind Zulieferer der Schweizer Armee.

Gute Freunde helfen sich

Loher ist ein Paradebeispiel für ein Schweizer Phänomen – für den Wechsel von Spitzenpersonal zwischen privaten Rüstungsfirmen und dem Bund. So verliess der damalige Rüstungschef Jakob Baumann Armasuisse 2011, um bei der Rüstungsfirma Bagira Schweiz anzuheuern, 2021 wechselte er zum Schweizer Ableger des Drohnenlieferanten Elbit Systems. Und der ehemalige Armasuisse-Kadermann Cäsar Stiefel entwickelte zunächst bei der Armee Aufklärungssysteme mit, bevor er auf dem Chefposten von Bagira Schweiz landete, wie die «Handelszeitung» vermeldete. Heute ist Stiefel Abteilungschef für «Defense and Public Safety» der Informatikfirma Elca, die kürzlich eine Kooperation mit Baumanns Elbit ankündigte. Diese Nähe wird an der Seilerstrasse in Bern offensichtlich, wo sich das Elbit-Büro im Sandwich zwischen Elca-Räumlichkeiten befindet.

Man kennt sich, man schätzt sich in der kleinen Schweizer Rüstungswelt. Doch der neue Rüstungschef Urs Loher hatte selbst für hiesige Verhältnisse viele Hüte zur gleichen Zeit auf. Bis zu seiner Beförderung war der Oberst im Generalstab nicht nur Manager bei Thales – sondern auch Stabschef der Fliegerabwehrtruppen.

Im März 2021 reichte Priska Seiler Graf, Nationalrätin der SP, mit Blick auf Baumann und Loher zwei Postulate ein, in denen sie den Bundesrat aufforderte, die Risiken zu klären, die bei solchen Stellenwechseln in der Schweiz bestehen. Die Kernfrage ist, ob der Bund hochspezialisierte Militärgüter so einkauft, wie es der Schweiz am meisten nützt – oder ob sich eine kleine Gruppe von freundschaftlich verbundenen Kollegen die Aufträge zuschanzt.

Seiler Graf stört sich daran, «dass ehemalige Armasuisse-Kader als hohe Offiziere militärische Anforderungen definierten, für die sie als Kader von Firmen Offerten einreichten oder als Generalunternehmer die Beschaffung gar selber steuerten». Dazu kritisiert sie, dass die Armee Anforderungen definiere, die nicht überprüft werden könnten und möglicherweise überrissen seien.

Hier geht es um einen Mechanismus, der noch viel diffuser ist als mögliche Klüngeleien beim Wechsel vom Staatsdienst zu einer Rüstungsfirma: Bei militärischen Beschaffungen definiert die Armee, was sie braucht. An diesem Prozess können auch Milizoffiziere beteiligt sein, die in ihrem Berufsleben bei Rüstungsfirmen arbeiten. Interessenkonflikte liegen nahe, doch sie sind schwer nachzuweisen.

Urs Loher beteuert auf Anfrage der WOZ, seine unterschiedlichen Rollen «konsequent voneinander getrennt» zu haben. Er sei als Offizier nicht an der Ausschreibung für ein neues Fliegerabwehrsystem beteiligt gewesen, für das Rheinmetall als Generalunternehmer im Rennen war und Thales schliesslich den Zuschlag erhielt – bevor der damalige Verteidigungsminister Guy Parmelin 2016 das gesamte Projekt sistierte.

«Es kam in keinem Moment zu Interessenkonflikten», versichert Loher. Jakob Baumann beteuert im Gespräch mit der WOZ, dass Industrievertreter, die sich als Milizoffiziere in der Armee mit ihren eigenen Rüstungsthemen beschäftigen, mit dieser Situation umgehen können. «Das Milizsystem in der Schweiz bedeutet auch, dass es um Freiwilligkeit geht», sagt er und hängt eine erstaunliche Aussage an: «Zu viel Compliance tötet diesen Gedanken der Freiwilligkeit.»

Zu viele Apéros

Es ist das ewige Dilemma eines kleinen Landes wie der Schweiz, in dem es einen noch kleineren Kreis von Leuten gibt, die die Materie und sich gegenseitig gut kennen. «Die Schweiz hat einen Nachteil: Sie ist sehr klein, und jeder kennt jeden», sagt Kurt Grüter, der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, der einen Untersuchungsbericht zum sistierten Fliegerabwehrsystem geschrieben hat und dabei keine Unregelmässigkeiten feststellen konnte. «In der Schweiz gibt es so viele Networkinganlässe, so viele informelle Apéros, wo man sich austauscht», sagt er. Klar definierte Abläufe und nachvollziehbare Prozesse seien wichtig, aber auch Grüter vertraut auf die Eigenverantwortung: «Wenn einer ein Spitzenamt innehat, verfügt er über genug Erfahrung und Berufsethos, dass er weiss, was er machen darf», sagt er.

Mehr Regeln fordert hingegen Martin Hilti von Transparency International Schweiz: «Korruption wird durch verschiedene Voraussetzungen begünstigt: so etwa bei Machtkonzentration bei wenigen Leuten, grossen Geldmengen, mangelnder Transparenz.» Rüstungsbeschaffungen seien überall auf der Welt einem hohen Korruptionsrisiko ausgesetzt. «Es handelt sich oft um grosse Auftragsvolumen. Meistens bestehen zudem Transparenzdefizite», hält er fest.

Ein OECD-Bericht von 2021 moniert, dass die Schweiz keine spezifischen Standards für Amtspersonen bei Interaktionen mit Lobbyist:innen kenne. Kein Wunder: Es gibt in der Schweiz, anders als in vielen europäischen Ländern, keine gesetzliche Definition davon, was ein Lobbyist oder eine Lobbyistin ist. Auch über Seitenwechsel könne Lobbying betrieben werden, sagt Hilti.

Die Netze rund um die Armee sind weitreichend. Um an Aufträge zu gelangen, unterhält etwa der Industrieverband Swissmem eine eigene Gruppe für Firmen in der Sicherheits- und Wehrtechnik sowie der Luftfahrt – Swiss ASD. Mitglieder erhalten gemäss eigenen Angaben «Zugang zum Netzwerk des Industriesektors» und «profitieren von der politischen Interessenvertretung». Der neue Rüstungschef Loher kennt Swiss ASD gut: Bis im Mai 2023 war er Präsident dieser Gruppe. Ein Problem mag er darin nicht sehen: «Weder gegenüber Thales Schweiz oder Rheinmetall Air Defence noch gegenüber irgendeiner Firma der ASD/Swissmem noch gegenüber ASD/Swissmem selbst bestehen Abhängigkeiten oder Verpflichtungen. Ich bin in meinen Entscheiden völlig frei», schreibt Loher auf Anfrage.

Auch der frühere Rüstungschef Jakob Baumann nutzt sein Know-how und seine Kontakte. So sitzt er im Vorstand einer Firmengruppe namens GRPM, die sich in der Westschweiz um Aufträge der Armee bemüht. «Der Vorteil des Milizsystems in der Schweiz ist, dass man sich kennt und sich vertraut», sagt Baumann dazu. Mögliche Interessenkonflikte sieht er keine, im Gegenteil: «Es gibt kein Land, das in der Rüstungsbranche so transparent ist wie die Schweiz.»

Auf die Frage an seinen früheren Armasuisse-Kollegen Cäsar Stiefel zu möglichen Interessenkonflikten schreibt dessen Arbeitgeber Elca: «Die Bestimmungen unseres internen Verhaltenskodex in Verbindung mit den strengen Bedingungen für öffentliche Ausschreibungen verhindern jegliches Risiko von Interessenkonflikten.» Nachfragen dazu, was die internen Bestimmungen im Verhaltenskodex genau beinhalten, beantwortet der Elca-Firmensprecher nicht.

Keine Lust auf Ausstand

Der Bundesrat nahm sich mehr als zwei Jahre Zeit, um auf die Postulate von Priska Seiler Graf zu antworten. Im Juni war es schliesslich so weit. In zwei Berichten stellt er Armasuisse ein gutes Zeugnis aus. Der Tenor: Alles ist in Ordnung.

Der Bericht zu den Stellenwechseln stützt sich auf ein Gutachten der Universität Fribourg zu den Jobwechseln von Urs Loher und Jakob Baumann. Demnach könne nicht abschliessend beurteilt werden, ob es tatsächlich zu Interessenkonflikten der entsprechenden Angestellten gegenüber Armasuisse gekommen sei, schreibt der Bundesrat.

Immerhin empfiehlt das Gutachten der Universität Fribourg, mit Urs Loher «eine Vereinbarung über den Ausstand zu prüfen». Dies, um «scheinbare, potentielle oder tatsächliche Interessenkonflikte zu vermeiden». Der neue Rüstungschef solle «für eine gewisse Zeit nach Amtsantritt in allen Geschäften betreffend die Thales-Gruppe» und «zeitlich unbegrenzt in sämtlichen Geschäften, in die er auf Seiten der Thales Schweiz AG oder der Rheinmetall Air Defence AG involviert war oder in die er als Präsident des Industriesektors ASD bei Swissmem interveniert hat», in den Ausstand treten, schlägt das Gutachten vor.

Der Bundesrat hingegen sieht keinen Handlungsbedarf: «Die bestehenden gesetzlichen Grundlagen und die Vereinbarungen, die Armasuisse mit allen Mitarbeitenden im Rahmen der Arbeitsverträge bezüglich der Ausstandspflicht abschliesst, sind ausreichend.» Das ist ganz im Sinn von Urs Loher, der seine künftige Rolle herunterspielt. «Der Entscheidungsspielraum des Rüstungschefs bei Vergaben ist minimal», sagt er. Die Vergabeentscheide würden durch ein breit abgestütztes Team und nach transparenten Kriterien erfolgen. Loher selbst geht davon aus, «nur ausnahmsweise – falls überhaupt – in den Ausstand treten» zu müssen.

Immerhin: Mit Loher traf Armasuisse eine individuelle Vereinbarung. Wechselt er wieder in die Privatwirtschaft, muss er eine unbezahlte Karenzfrist von zwölf Monaten einhalten. Sein direkter Vorgänger Martin Sonderegger wird dieser Tage pensioniert. Gemäss Bundesamt für Rüstung verlässt er Armasuisse und das VBS «ohne weitergehende Vereinbarungen und frei von jeglichen Auflagen».

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Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt: www.journafonds.ch.