Leser:innenbriefe

Nr. 46 –

Ja, so war’s

«Im Affekt: Parodie des Patriarchats», WOZ Nr. 45/23

Leider haben Sie recht mit Ihrer Kritik an meinem peinlichen Auftritt. Ja, so war’s. Aber eigentlich schade, dass Sie nicht mehr über Gilda Sahebis Ausführungen geschrieben haben, diese waren relevanter als mein Beitrag.

Tim Guldimann, per E-Mail

Zur USA-Berichterstattung

«US-Politik: Bidens Sinkflug», WOZ Nr. 44/23

«Bidens Sinkflug» betitelt die WOZ einen ganzseitigen Artikel am 2. November. Tage später erringt Präsident Bidens Partei triumphale Wahlsiege in mehreren Staaten.

Die Demokraten täten nichts für reproduktive Rechte, schrieb die WOZ am 22. Juni (WOZ Nr. 25/23). Progressive Aktivist:innen hätten sich «von der Partei abgewandt», weil «von der Politik nichts zu erwarten» sei. In der realen Welt haben die Partei und ihre Verbündeten soeben im republikanisch regierten Ohio per Volksinitiative ein Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert; haben in Virginia die Mehrheit in beiden Parlamentskammern errungen und dadurch ein vom republikanischen Gouverneur geplantes Abtreibungsverbot verhindert. Ähnliche Erfolge wurden im letzten Jahr in Wisconsin, Pennsylvania, Michigan, Kansas und anderswo errungen.

Die WOZ hat ausführlich über den erfolgreichen Streik in der Autoindustrie berichtet, liess aber Bidens aufsehenerregenden Solidaritätsbesuch bei streikenden Arbeiter:innen unerwähnt. Dass der Präsident ausserordentlich gewerkschaftsfreundlich ist und Arbeiter:innen nicht nur symbolisch, sondern auch durch konkrete Politik unterstützt – nicht zuletzt, indem er Progressive für das National Labor Relations Board nominierte –, erfuhr mensch in der WOZ nicht.

Die USA-Berichterstattung der WOZ – ich könnte weitere Beispiele aufzählen – scheint seit langem der Devise zu folgen: «über die Demokraten nur Negatives». Das ist keine kritische Haltung, sondern ideologisch begründete Realitätsverleugnung. So wird ein verzerrtes Bild von der US-Politik und ihrer de facto wichtigsten progressiven Kraft vermittelt, und daraus folgen oft fahrlässige politische Bewertungen. Das ist weit unter dem politischen und journalistischen Niveau, das die WOZ sonst auszeichnet.

Toni Menninger, Bern

Entfremdung

«Klimaaktivismus: Der Sinn des Klebens», WOZ Nr. 44/23

Ich bin dankbar für die neuen Taktiken, die Renovate und das A22-Netzwerk entwickelt haben. Sie ermöglichen zivilen Ungehorsam mit wenigen Menschen. Leider hat das A22-Netzwerk aber nicht verstanden, wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King polarisiert haben. Durch ihre Aktionen haben sie die Gesellschaft gezwungen, sich zu positionieren; so hat etwa der historische Marsch von Selma nach Montgomery die weisse Unterstützung für die Bürgerrechtsbewegung zementiert. Leider entfremden Renovates Aktionen wichtige gesellschaftliche Gruppierungen von der Klimabewegung, wie die Arbeiterschicht und Leute auf dem Land, die diese unbedingt abholen sollte.

Payal Parekh, per E-Mail

Sorgfältig oder unkritisch?

Zur WOZ-Berichterstattung über Israel und Palästina

In diesen komplexen Zeiten freue ich mich immer besonders auf den Donnerstag. Den Schreibenden der WOZ sei hiermit ein Kränzchen gewunden. Eure Berichterstattung und Einordnung zur grauenvollen Eskalation im Nahen Osten gehört zum Besten, was in diesen Zeiten in den gedruckten Medien zu finden ist. Danke für die sorgfältige Arbeit!

Pierre-Alain Niklaus, per E-Mail

Was ist passiert mit eurem Grundsatz, kritisch auf diejenigen zu blicken, die Macht ausüben? In eurer Berichterstattung werden Israelis «von Terroristen ermordet», während «Tausende der kriegerischen Eskalation zum Opfer fallen» – Täter und Opfer werden einseitig markiert, und zwar wiederholt.

Israelische Politiker:innen verwenden nicht erst seit diesem Monat eine klare genozidale Rhetorik. In Gaza werden Universitäten, Spitäler, Fluchtwege und Geflüchtetencamps zerbombt. Sieht so Terrorbekämpfung aus? Palästinenser:innen müssen derzeit nicht nur einen Genozid durchleben, sie müssen der Welt auch beweisen, dass es sich um einen handelt – auch euch, erfolglos. Wieso nennt ihr die Angriffe der Hamas «grauenhaft», nicht aber die Bombardierungen durch die israelische Armee?

Kritisch auf die Geschehnisse der letzten vier Wochen zu schauen, würde bedeuten, auf den Kontext des Massakers einzugehen, in dem Palästinenser:innen seit 75 Jahren vertrieben, unterdrückt, entmenschlicht und ermordet werden. Ihr würdet über die zwar laute, aber bisher machtlose Stimme der propalästinensischen Bewegung in Europa und den USA schreiben. Was hat es mit Eurozentrismus und Rassismus zu tun, wenn sich euer und der Diskurs der Linken des Globalen Nordens nur eingeschränkt für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzen kann? Eure Zweifel gelten den Angaben über die Getöteten in Palästina, die sich laut euch «nicht verifizieren lassen». Wieso hingegen stellt ihr den israelischen Zahlen nicht voran, dass diese Angaben von einer faschistoiden Regierung kontrolliert werden? Die gehäuften antisemitischen Ausschreitungen in Europa und den USA seit dem 7. Oktober gilt es klar zu verurteilen. Sie dürfen jedoch nicht abstrakt gegen die existenzielle Gefahr für eine gesamte Bevölkerungsgruppe aufgerechnet werden. Uns ist aufgefallen, dass ihr es tunlichst vermeidet, Begriffe wie «Apartheid» und «Kolonialismus» zu verwenden, und wenn, dann wischt ihr sie argumentationslos vom Tisch. Wir fordern dringend mehr Analysen und Einbezug palästinensischer Stimmen sowie linker Perspektiven aus dem Globalen Süden, sonst tragt ihr weiterhin Mitverantwortung für die blanken Flecken und die Arroganz des hiesigen Diskurses.

Caroline Baur, Tillo Spreng, Tina Omayemi Reden, Xenia Meier, Vanessà Heer, Kenza Benabderrazik, Arzu Hardegger, Rebecca Thomann, Tyan Fritschy

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Niels Zubler

So., 19.11.2023 - 10:19

Entfremdung: Payal Parekh hat in seiner Analyse recht. Die Intention von Act Now wäre es, eine Massenbewegung zu generieren. Ziel 1% der Bevölkerung. Die Frage ist, warum das, trotz der Betroffenheit aller, nicht gelingt. Niemandem. Meine Hypothese. Wir sind auf den Wohlstand fixiert, selbst wenn er prekär ist. Da hat der Kapitalismus und der Sozialismus ganze Arbeit geleistet.