Tourismus: Das grosse Zappeln
Die gute alte Zeit, all inclusive: Vier Schnappschüsse aus der unersättlichen Wunderbranche Fremdenverkehr, die als Bollwerk gegen die Zukunft auch etwas sehr Schweizerisches hat.
Klimagerechtes Reisen? Ökologischer Umbau des Fremdenverkehrs? Kaum sind die Reisebeschränkungen der Coronajahre weggefallen, hat der Tourismus ein triumphales Comeback hingelegt. Die Winter- und die Sommersaison 2023: Besucherrekorde in allen Hotspots des Fremdenverkehrs, von der historischen Innenstadt Venedigs über Mallorca und den Himalaja bis zum Flughafen Zürich zu Ferienbeginn. Die paar Schlagzeilen zu Hitzerekorden, Waldbränden und evakuierten Urlauber:innen am Mittelmeer fallen da nicht weiter ins Gewicht. 2024 wird das grösste je gebaute Kreuzfahrtschiff seinen Betrieb aufnehmen, die «Icon of the Seas», 370 Meter lang, Kostenpunkt: 1,1 Milliarden US-Dollar. Also alles wie immer in den «kostbarsten Wochen des Jahres»?
Vielleicht. Aber warum ist der Tourismus so unkaputtbar? Die Suche nach einer Antwort führt auf eine Reise zurück in die Geschichte – mit vier Ferienschnappschüssen aus dem vergangenen Jahr.
Tourismus ist Pop
Rom, im Spätherbst 2022. Auch an diesem kalten Novembermorgen stauten sich die Besucher:innen rund um die Fontana di Trevi, standen in langen Schlangen am Pantheon und vor den Vatikanischen Museen. «Overbooked» hiess die Tagung im Istituto Svizzero, die der Nachhaltigkeit des Städtetourismus gewidmet war, am Beispiel von Rom, Venedig und Luzern. Die versammelten Spezialist:innen aus der Forschung hatten eindrucksvolle Zahlen mitgebracht. Rom wird jährlich von sieben- bis achtmal mehr Personen besucht, als in der Stadt wohnen. Es fehlen mindestens 60 000 Sozialwohnungen. Dafür werden allein im historischen Zentrum auf Airbnb mehr als 18 000 Apartments angeboten. Zwei Drittel der Angestellten in italienischen Hotels und Restaurants schaffen es mit ihren Gehältern nicht über die offizielle Armutsgrenze.
Noch groteskere Proportionen hat die Entwicklung in Venedig angenommen, konnte man an der Tagung lernen. Zwar hat 2021 ein extra eingerichteter «Smart Control Room» zur Erfassung und Steuerung der Tourist:innenströme seinen Betrieb aufgenommen, liefert bislang aber keine offiziellen Zahlen; die neuen Besucher:innenrekorde von Ostern 2022 und 2023 beruhen auf Schätzungen. Von den häufig zitierten Zahlen von 25 bis 30 Millionen Besucher:innen, die jährlich das historische Zentrum mit seinen 50 000 Einwohner:innen fluten, halten die versammelten Spezialist:innen wenig. «Plastic numbers» nennen sie solche Angaben, nach Belieben dehnbar und nie nachzuprüfen. Und was ist mit den fünf bis sieben Millionen, die jährlich Luzern besuchen, wo rund 80 000 Menschen leben?
Die offizielle Vertreterin von Schweiz Tourismus hatte eine farbenfrohe Powerpoint-Präsentation mit eingebetteten Videos mitgebracht – und die spulte sie ab: alpine Idyllen, pittoreske Altstädte, leere Skipisten vor blauem Himmel und die denkmalgeschützten Viadukte der Rhätischen Bahn. «Swisstainable» sei das neue Zauberwort, sagte sie ein ums andere Mal, Nachhaltigkeit die neue Schweizer Tugend, die grosse Traditionen der Vergangenheit aufs Beste mit den Herausforderungen der Zukunft verbinde. Zahlen gab es keine. Irgendwann fingen die Zuhörer:innen in den hinteren Reihen zu lachen an, aber davon liess sie sich nicht beirren.
Fremdenverkehr, so hatte in Rom der streitbare Publizist und Stadtforscher Marco d’Eramo in seiner Eröffnungsrede erklärt, sei «l’ultimo modo di riciclarsi» – die letzte Möglichkeit des Recyclings, der Selbstverwandlung mit dem Material von früher. Das gilt nicht nur für die Tourist:innen selbst, sondern fast noch mehr für diejenigen, die den Tourismus fördern und weiterentwickeln: sich nicht beirren lassen; weitermachen – so wie 2019, in der guten alten Zeit vor Corona.
Denn die unberührte Alpennatur, die pittoresken Altstädte und der Strand als Sehnsuchtsort sind nicht das Gegenteil der touristischen Erschliessung. Sie entstehen überhaupt erst dadurch, dass die Tourist:innen kommen und sie sehen wollen. Die Besichtigung der Idylle von früher und die technische Beschleunigung ihrer Erschliessung widersprechen sich nicht – sie verstärken einander gegenseitig.
Das zeigt ein Blick zurück in die Geschichte. Die «Fremdenindustrie», wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geheissen hat, lebte und lebt noch heute von Bildern vermeintlich zeitloser, ewiger Idyllen. Tourismus ist jene Industrie, die von sich behauptet, dass sie das Gegenteil von Industrie sei. Sie beruht auf massenhaft produzierten standardisierten Gütern und Dienstleistungen, die ihren jeweiligen Benutzer:innen die Illusion vermitteln, sie seien exklusiv auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten. Das gilt für Zimmer im teuren Hotel (die Grandhotels des 19. Jahrhunderts wurden in derselben Stahlträgerbauweise errichtet wie die Fabriken, sie waren nur anders dekoriert) über den Pauschalurlaub am Strand bis zum Wohnmobil.
Gleichzeitig ist der Tourismus die Industrie des schlechten Gewissens – und auch das seit fast 170 Jahren. Der britische Kunstschriftsteller John Ruskin hat schon in den 1850er Jahren den Untergang Venedigs angekündigt und die Zerstörung der Schönheit der Alpen durch ihre unzähligen Besucher:innen beklagt. Der Tourismus reagiert darauf, indem er seinen Kund:innen das Entkommen vor seinem eigenen Erfolg verspricht – als Superreplikator sozusagen: Gegen die Probleme, die er erzeugt, hilft nur noch mehr vom selben.
Alternative und selbstverwaltete Ferien suchten schon die engagierten Wandervögel der Jugendbewegung um 1900; die Beatniks der 1950er, die Hippies der 1960er, die Alternativen der 1970er Jahre, die ökologischen Initiativen der 1980er und so fort. Sie erschlossen pittoreske neue Orte, wo vorher niemand hingewollt hatte. Der kommerzielle Normaltourismus wurde davon nicht weniger, sondern bekam neue Attraktionen. «Anders reisen» bedeutet in der Praxis schlicht: noch mehr reisen.
Fremdenverkehr ist Plastination: Einbalsamieren, Eingiessen in das klebrige Kunstharz der endlosen Wiederholung des bereits Bekannten und Berühmten. Ist ein Ort erst einmal zur touristischen Marke geworden, scheint diese unzerstörbar, egal wie monströs, übernutzt und banal das ursprünglich Besondere, Schöne geworden ist. Seit dem 19. Jahrhundert sind Tourismusorte «famous for being famous». Tourismus ist Pop, eine globale Industrie der endlosen Wiederholungsschleifen. Und wie beim Pop hat er sich aus gesellschaftlichem Gegenentwurf, Flucht und Revolte in einen Allesfresser verwandelt, der jede abweichende Position als «authentisch» eingemeindet und kommerziell nutzt. Wenn viele Tourist:innen kommen, passiert nichts Neues mehr an einem Ort – ausser: mehr Parkplätze, mehr Souvenirläden und noch mehr Bilder von den immer gleichen Wahrzeichen.
Tourismus ist Konsum
Zweiter Schnappschuss: Luzern im Juni 2023, eine Pressekonferenz. Von touristischer Übernutzung wollte der Chef von Schweiz Tourismus nichts hören. Die Branche habe sich exzellent erholt, erklärte Martin Nydegger in gleich mehreren Interviews: «Overtourism gibt es in der Schweiz nicht.» Im Gegenteil – man wünsche dringend mehr Gäste aus Übersee, weil die mehr Geld ausgeben: Mit achtzehn Prozent der Übernachtungen würden sie für dreissig Prozent des Umsatzes sorgen. «Die phänomenale Infrastruktur» der Schweiz, sagte er ausserdem – all die Skigebiete, die Schifffahrt, die Restaurants, die Infrastrukturen, die auch die Einheimischen nutzten –, seien zu einem Grossteil dem Tourismus zu verdanken. Die Schweizerinnen und Schweizer, das war die Botschaft, sollten also gefälligst demütig und dankbar sein. Dass nur Wochen zuvor fast zwei Drittel der Luzerner Stimmberechtigten der Vermietung von Wohnungen via Airbnb einen Riegel geschoben hatten: Darüber schwieg Nydegger sich aus.
Der Mann weiss, wovon er spricht: In der Schweiz ist der Fremdenverkehr bis heute unantastbar. Er ist die Wunderbranche, die nie kritisiert wird und alles darf. Das hat weniger damit zu tun, dass der Tourismus immer so profitabel gewesen wäre – im Gegenteil: Schon lange vor Corona verlief er in abrupten Aufwärts- und Abwärtskurven, mit ordentlichen Crashs alle paar Jahrzehnte, 1871, 1914, 1929. Besonders nachhaltig war er nie, und profitable Jobs gab es immer nur für einige wenige, die meisten waren schlecht bezahlte Saison- und Gelegenheitsarbeiten. Heute ist es nicht anders: In einer Schweiz ohne Arbeitskräfte vom Balkan, aus Portugal oder Sri Lanka würde kein Hotel, kein Café, kein Restaurant mehr funktionieren.
Aber Tourismus – und das macht ihn so verlockend – liefert Bilder vom idyllischen «Früher», die einem die echte Vergangenheit vom Hals schaffen. Tourismus inszeniert sich als Antiarbeit und wiedergewonnene Lebenszeit. Aber er beruht auf den ökonomischen Unterschieden zwischen denen, die reisen, und denen, die bereist werden – und zwar seit ziemlich langer Zeit.
Wer vor dem Ersten Weltkrieg Urlaub machen konnte, gehörte damals automatisch zu den Bessergestellten. Dasselbe gilt heute in globalem Massstab: Ferienreisende haben sehr viel grössere Ressourcen an Geld (und damit an freier Zeit) als diejenigen, die bereist werden. Auf dem Abschöpfen dieser Unterschiede beruht der Fremdenverkehr. Konsument:innen mit viel Geld und Zeit stehen Arbeitskräften mit extrem niedrigen Löhnen gegenüber, dank deren man arbeitsintensive Dienstleistungen sehr billig anbieten kann – im 19. Jahrhundert wie heute.
Tourismus, so hat es Marco d’Eramo in seinem Buch «Die Welt als Selfie» 2017 formuliert, ist die Kolonisierung von neunzig Prozent des Planeten für das wohlhabendste Zehntel seiner Bewohner:innen.
In den Tourismus hat sich seither eine etwas gespenstische soziale Utopie eingeschrieben. Es ist die Vorstellung einer geschlossenen und ästhetisch befriedigenden Welt, die aber nur Angehörigen der eigenen sozialen Klasse zugänglich ist und in der arme Leute inexistent sind – oder zumindest unsichtbar. Die Freiheit als Tourist:in basiert, ja insistiert darauf, dass gleichgeartete Tourist:innen einen umgeben. Nicht auszudenken, wenn am Sehnsuchtsort plötzlich wirklich Andersartige auftauchten – noch dazu mit beträchtlichen ökonomischen Mitteln ausgestattet, die den eigenen ebenbürtig, wenn nicht überlegen sind: Das eigene Erleben und Geniessen würde dadurch gestört, bedroht und entwertet. Aber das war schon in der guten alten Zeit so. Und beim Alternativtourismus, der sich so gerne als das Gegenteil des üblichen Fremdenverkehrs darstellt, ist es noch viel spürbarer.
Von der touristischen Erschliessung und Entwicklung eines Ortes profitieren nicht alle, die dort wohnen. Es profitieren nur jene – das zeigen historische Studien ebenso wie aktuelle sozialwissenschaftliche und ökonomische Analysen –, die dort Immobilien besitzen, Grundstücke und Häuser. Airbnb ist bloss die logische Konsequenz dieser Entwicklung, wo ausser der Plattform nur noch Besitzer:in und Putzkraft auftreten.
Alle Reiseanbieter verkaufen etwas, das ihnen nicht gehört: Landschaften, Stadtbilder und den damit verbundenen öffentlichen Raum. Sie ziehen Gewinn daraus, den Zugang zu etwas zu vermarkten, für das sie selbst nichts bezahlt haben. Die Freiheit der Ferienreisenden ist deswegen die Freiheit zum Konsum – denn nichts anderes ist Tourismus, wenn man die üblichen Klischees von der Begegnung mit dem Fremden und der persönlichen Erfüllung einmal weglässt: Tourismus ist Konsum in Reinform.
Nur stösst diese Wunderbranche seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich an Grenzen des Wachstums. Wenn die Besucher:innenzahlen sehr lange sehr stark steigen, vermögen die Destinationen nicht mitzuwachsen: Immer mehr Reisende müssen über immer längere Zeiträume pro Jahr verteilt werden. Der Aufenthalt im attraktiven touristischen Raum selbst ist so zur Ware geworden, die portioniert und verkauft wird.
Tourismus ist … «swisstainable»
Dritter Schnappschuss: September 2023, eine bayerische Universitätsstadt. «Zur Veränderung des Reisens» rief die Tagung im Zentrum für Entrepreneurship. Man versammle Spezialistinnen und Spezialisten für die Zukunft des Fremdenverkehrs, hatte es in der Einladung geheissen – Forscherinnen, Praktiker und Verantwortliche aus der Branche –, überschrieben war das Ganze mit Ausrufezeichen: «Transformation ist eine Haltung!»
Und wie wird sie aussehen, die grosse Ver änderung? Der Spezialist von der World Tourism Organization hatte die aktuellsten Vorhersagen mitgebracht. Vor der Pandemie, so hatten Statistiker:innen ausgerechnet, waren jedes Jahr weltweit 20 Milliarden Reisen unternommen worden. 2030, so ihre neue offizielle Prognose, würden es 37 Milliarden sein. 2010 hatten 14 Prozent der Weltbevölkerung eine Ferienreise gemacht. Bis 2030 steige ihr Anteil auf 22 Prozent, schätzt die Organisation. Und weil in Europa die Bevölkerung überaltert ist und schrumpft, sie anderswo aber zunimmt, werden aus Europa im Jahr 2030 deutlich weniger Reisen unternommen werden, als es selbst zum Ziel von Ferienreisenden von ausserhalb werden wird. Also mehr, und zwar viel mehr, und von allem.
Er selbst, sagte der freundliche Spezialist am Mikrofon, leite die Abteilung für nachhaltige Entwicklung. Im Jahr 2030 würde ein Viertel aller menschengemachten CO₂-Emissionen über haupt durch den Tourismus erzeugt werden. Das meinte er als Warnung; die eindrucksvollen Zahlenkaskaden seines Vortrags hatte er mit schönen Luftbildern von menschenleeren Wasserlandschaften mit Bäumen unterlegt.
Wenn sich in sieben Jahren fast doppelt so viele Leute in die Ferien aufmachten wie noch 2015, fragte ein Tagungsteilnehmer, brauche es eigentlich noch Tourismusförderung? Allein in Deutschland gibt es offenbar mehr als achtzig Verbände, die sich mit nichts anderem beschäftigen. Hierzulande sind es laut dem Schweizer Tourismus-Verband (STV) rund vierzig – aber das sei lediglich eine Schätzung, heisst es. Und alle diese Verbände verbreiten, dass es zur Fremdenverkehrsförderung keine Alternative gebe. Denn dafür sind sie da.
So formulierte es auch die Vertreterin des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft auf der Konferenz: Tourismus sei das beste Mittel, die Abwanderung aus den Berggebieten zu reduzieren. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende eines grossen deutschen Reiseveranstalters dagegen, ein strenger Mann im engen Anzug, hatte eine andere Botschaft mitgebracht. «Wenn wir aufhören, nach Ägypten zu reisen», sagte er mit drohendem Unterton, «werden sich von dort noch mehr verzweifelte junge Menschen auf den Weg nach Westeuropa machen.» Also Urlaub machen, damit alles beim Alten bleibt? Meldung in der Lokalzeitung am nächsten Morgen: In Mittelbayern würden jetzt versuchsweise Erdnüsse angebaut. Die seien besser angepasst an die heissen Sommer als die traditionellen Kartoffeln.
Was haben wir also gelernt im Fremdenverkehrsrekordjahr 2023? Tourismus ist nicht nur die Produktion von künstlichen Welten mit sehr realen Renditen. Er ist auch der grosse Raum-Zeit-Kleber, ein nostalgischer Bestätigungsloop – wir sind wir, alles ist wie früher, wenn wir an die richtigen Orte fahren. Schon die Grandhotels in Luzern, Montreux und anderswo hatten ihren Gästen die Teilhabe an einer idealen Gemeinschaft auf Zeit in schöner Landschaft versprochen, die nur die Reichen und Schönen, die Wohlhabenden und Eleganten versammelte.
Diese Verheissung sollte schon vor 150 Jahren die Angst davor vertreiben, dass sich die vertrauten sozialen und ökonomischen Strukturen und Spielregeln unwiderruflich veränderten.
Seither sind Ferien die grosse Rewind-Taste, mit der man sich in ein heiles Bild der Vergangenheit zurückspulen kann. Heute gehen wir dafür nicht mehr ins Grandhotel als gepanzerte Reiche-Leute-Blase, sondern in die Skiferien, an den Strand oder gleich in die tropische koloniale Idylle. Schweiz Tourismus verkündet mit vielen bunten Websites und Kampagnen, dass Nachhaltigkeit ihr höchstes Gut sei und nationale Eigenschaft ohnehin – swisstainable. Und bemüht sich gleichzeitig um mehr Gäste aus Übersee.
Tourismus ist Pflicht
Letzter Schnappschuss: Eine Meldung in der Digitalausgabe des britischen «Guardian», Februar 2023. Aus den Halbwüsten Mexikos eingeschleppte stachelige Opuntien, eine Kakteenart, bedeckten mittlerweile fast dreissig Prozent der Brachflächen rund um Sion, den Hauptort des Wallis. Auch im benachbarten Tessin und in Graubünden vermehrten sie sich extrem. Die Temperaturzunahme in der Schweiz, so der Bericht, sei mittlerweile fast so dramatisch wie in der Arktis.
Man könnte es auch das grosse Zappeln nennen: Wir wollen uns überallhin bewegen, aber alles soll dabei so bleiben, wie es ist, und jede und jeder dort, wo sie respektive er hingehört. Fremdenverkehr in dem uns vertrauten Sinn ist vermutlich nichts anderes als ein Bunker zum Schutz vor der Zukunft, eine Art selbstorganisierte Festung gegen Veränderung. Und eine Pflicht, die erfüllt werden muss, damit die vertrauten Bilder – die künstlichen Welten – weiterhin aufrechterhalten bleiben. Oder, wie man als Historiker sagen könnte: damit alles so bleibt, wie es nie war.
Valentin Groebner ist Professor für Geschichte an der Universität Luzern und Autor mehrerer Bücher zum Thema Tourismus. Zuletzt erschien «Ferienmüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat» (Konstanz University Press, 2020).