Opposition in Argentinien: So leicht hats Milei nicht
Die Argentinier:innen haben den Rechtslibertären Javier Milei zum Präsidenten gewählt. Aber wird er seine Vorhaben auch umsetzen können?
Der Rechtslibertäre Javier Milei hat die Präsidentschaftswahl in Argentinien gewonnen – und damit libertäre Ideen in Lateinamerika salonfähig gemacht. Milei will die Zentralbank schliessen, den US-Dollar als Währung einführen, die öffentlichen Ausgaben um fünfzehn Prozent senken und das staatliche Ölunternehmen YPF privatisieren. Er lobt immer wieder die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher, die den Satz prägte: «Es gibt nur Individuen, keine Gesellschaft.» Und vertritt die Ansicht, der Markt regle alles, während der Staat bloss ein Hindernis darstelle.
Neu sind diese Ideen in Lateinamerika keineswegs. Neu ist, dass die Bevölkerung sie in demokratischen Wahlen unterstützt. In Chile führte Diktator Augusto Pinochet mithilfe der Chicago Boys – einer Gruppe von Ökonomen, die ähnliche Ansätze wie Milei verfolgten – neoliberale Reformen durch. Fünfzig Jahre nach dem Militärputsch von 1973 kämpft das Land mit dem Erbe der Diktatur, das auch in der Verfassung verankert ist: ein privatisiertes Rentensystem, privatisierte Bildung und Gesundheitsversorgung – und die daraus resultierende soziale Ungleichheit.
Die Kritiker:innen des Neoliberalismus in Chile haben immer mit Bewunderung nach Argentinien geblickt – das Nachbarland mit kostenlosen Universitäten, einem öffentlichen Gesundheitssystem und starken Gewerkschaften. Die Argentinier:innen haben sich ihre sozialen Rechte hart erkämpft. Warum setzen sie diese mit Mileis Wahl aufs Spiel?
Der libertäre Ökonom hat es geschafft, den Willen nach Wandel zu kanalisieren. Inflation, niedrige Löhne, Armut – viele Menschen hatten das Gefühl, viel schlimmer könne es nicht mehr werden. Insbesondere junge Menschen stimmten für Milei, ihre Unterstützung hat er mit einer geschickten Kampagne auf sozialen Netzwerken erreicht: Seine Videos werden millionenfach geteilt.
Mileis Wähler:innen setzten lieber den Sozialstaat aufs Spiel, als für den Wirtschaftsminister der Regierung zu stimmen, während dessen Amtszeit die jährliche Inflationsrate auf über 140 Prozent gestiegen war. Dass es so weit kommen konnte, ist auch auf ein Scheitern der Mitte-Links-Regierung unter Alberto Fernández zurückzuführen. Seine Amtszeit war ausserdem geprägt von der Coronapandemie und den Nachwirkungen des Rekordkredits vom IWF, den der rechtskonservative Vorgänger Mauricio Macri aufgenommen hatte.
Doch kann Milei seine Vorhaben auch umsetzen? Argentinischen Medienberichten zufolge will er keine Koalition mit anderen Parteien eingehen – seine Partei La Libertad Avanza hat allerdings nur fünfzehn Prozent der Sitze in der Abgeordnetenkammer und zehn Prozent der Sitze im Senat. Auch mit Unterstützung der traditionellen rechten Parteien kommt er nicht auf die nötige Mehrheit, um Gesetze zu verabschieden. Er wird also mit den anderen Parteien verhandeln müssen. Gleichzeitig hat die Koalition der amtierenden Regierung Unión por la Patria genügend Sitze, um Gesetzesvorhaben in beiden Parlamentskammern zu blockieren.
Milei steht eine starke Opposition bevor, sowohl im Parlament als auch auf der Strasse. Im Unterschied zu Chile in den siebziger und achtziger Jahren ist Argentinien eine Demokratie. Wenn die Bevölkerung sich gegen die Massnahmen der Regierung auflehnt, kann Milei sie nicht einfach verfolgen, wegsperren und verschwinden lassen. Und das Land hat eine stark organisierte Zivilbevölkerung. Die über drei Millionen öffentlichen Angestellten werden Budgetkürzungen und Entlassungen nicht einfach so hinnehmen.
Abgeordnete aus Mileis Partei haben bereits bekräftigt, dass die Abschaffung legaler Abtreibungen für sie Priorität sei. Zudem will die Partei Männern per Gesetz erlauben, sich von der Vaterschaft loszusprechen und keinen Unterhalt zahlen zu müssen. Vorhaben wie diese werden auf Widerstand der Feminist:innen stossen, einer der stärksten sozialen Bewegungen des Landes.
Mileis Wahlsieg könnte die rechtslibertären Bewegungen in anderen lateinamerikanischen Ländern stärken. Der neue Präsident hat bereits angekündigt, wen er zur Zeremonie des Amtsantritts einladen will: den brasilianischen Expräsidenten Jair Bolsonaro.
Kommentare
Kommentar von VPODZH
Fr., 24.11.2023 - 11:57
Es ist anzunehmen, dass Milei in Kürze das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen wird, um seinen Wahlerfolg auch in den beiden Kammern Argentiniens abzusichern. Leider könnte er damit Erfolg haben.