Es beginnt mit den Klängen einer Heilsarmeekapelle an der Zürcher Bahnhofstrasse, worauf die Kamera auf eine Wolldecke schwenkt, unter der sich ein Mensch zu bewegen beginnt: Jürg, ein ehemaliges Heimkind, das seit Jahrzehnten auf der Strasse lebt.

Die eigentliche Hauptrolle im neuen Dokumentarfilm von Thomas Thümena spielt ein Offizier der Heilsarmee: Alfred Inniger-Etzensperger, genannt Fredi. Der tiefgläubige Heilsarmist steht mit seiner Frau sogenannten Randständigen bei, auf die Thümena den Fokus richtet. So ist es ein obdachloser Querflötenspieler, der dem Film den Titel verleiht. Auf die Frage des Heilsarmisten, ob er für diese kalten Tage eine Unterkunft habe, sagt der junge Mann: «Mein Dach über dem Kopf ist der Himmel über Zürich.»

Unter diesem im Film über weite Strecken unfreundlichen Himmel geht Thümena auch der Frage nach dem Glauben nach. Derweil sich Fredi, der einstige Elektriker, als «Lichtinstallateur im geistlichen Sinn» versteht, vertraut Jürg lieber auf «kosmische Energie»: «Wenn du die freisetzen kannst und aufgeräumt hast mit all dem Scheissdreck, geht wieder ein Türlein auf.» Auch Joseph, der ehemalige Marktfahrer, mag nicht so recht an einen Gott glauben: «Ich sehs dann, wenn ich in den Himmel hinaufkomm. Der Teufel will mich sowieso nicht, und Fegefeuer habe ich genug gehabt.»

Die Dreharbeiten fanden zum Teil mitten in der schlimmsten Phase der Coronapandemie statt. Neben weiteren Armutsbetroffenen treten auch Geflüchtete aus der Ukraine vor die Kamera. So wird «Himmel über Zürich» zu einem wertvollen Zeitdokument, das weitgehend ohne Pathos auskommt – ausser vielleicht, wenn die Kamera zum sphärischen Sound (Roland Widmer und Anders Guggisberg) bedeutungsschwer in den Himmel schwenkt. Umso eindrücklicher sind Szenen, die ohne grosse Gesten auskommen: wenn Jürg an einem kalten Tag vor einer wegen Corona geschlossenen Kirchentür steht oder Joseph eine Beige Gratiszeitungen an Kolleg:innen hinter den Jahrmarktständen verteilt.  

Adrian Riklin