Knall im Zürcher Asylwesen: Mario Fehr belohnt Dumpingpreise

Nr. 48 –

Die schweizweit aktive Asylorganisation Zürich verliert den Auftrag für den Betrieb aller Durchgangszentren in Zürich. Die angemessene Betreuung der Geflüchteten war dem Kanton zu teuer.

Durchgangszentrum Sihlau in Adliswil
Weniger Geld heisst schlechtere Betreuung: Durchgangszentrum Sihlau in Adliswil. Foto: Michael Buholzer, Keystone

Auf einem Markt, heisst es, ist der Kunde König, und im Zürcher Asylwesen heisst der König Mario Fehr. Kürzlich war der Sicherheitsdirektor wieder mal auf Schnäppchenjagd.

Fehr suchte neue Betreiber für die Zürcher Asylunterkünfte, ausgeschrieben waren unter anderem die Verantwortlichkeiten für die regulären und der temporären Durchgangszentren. Betrieben wurden diese bislang von der in der ganzen Schweiz tätigen Asylorganisation Zürich (AOZ). Doch nun unterlag diese im Bieterwettbewerb. Der Grossauftrag ist weg und damit 150 Stellen und mehrere Millionen Franken Umsatz. Bis nächsten März muss sich die Organisation aus den kantonalen Zentren zurückziehen.

Die AOZ verlor den Auftrag, weil sie zu teuer war. Doch teuer heisst im Asylwesen: eine angemessene Betreuung der Asylsuchenden. Daran hapert es in Zürich seit Jahren. Gerade auch bei der AOZ: Erst war da der Skandal bei der Eröffnung ihres Bundesasylzentrums auf dem Zürcher Duttweiler-Areal 2019. Und letztes Jahr wandten sich mehrere Mitarbeiter:innen mit scharfer Kritik an die Öffentlichkeit: Bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender (UMAs) bestünden drastische Missstände. Als eine der Ursachen nannten sie fehlende Ressourcen wegen des zu tiefen Preises, den die AOZ 2018 offeriert habe.

Deutlich höherer Preis

Nun wollte sich die AOZ anscheinend vom Dumpingwettbewerb auf dem Asylmarkt emanzipieren. Bei der aktuellen Ausschreibung der kantonalen Unterkünfte offerierte sie einen deutlich höheren Preis als die Konkurrenz: die private, gewinnorientierte ORS Service AG und das Hilfswerk Caritas, die neu den Betrieb der Durchgangszentren verantworten werden.

Die Preisdifferenz hat der Zürcher Regierungsrat in einem Sitzungsprotokoll veröffentlicht. Demnach verlangte die ORS 38,5 Millionen Franken und die Caritas 50,8 Millionen Franken für den sechsjährigen Betrieb der Durchgangszentren. Das Angebot der AOZ belief sich dagegen auf 65,8 Millionen Franken. Vier AOZ-Mitarbeiter:innen, mit denen die WOZ gesprochen hat, sagen, das Angebot sei auch im Vergleich mit ihrer eigenen Offerte bei der letzten Ausschreibung 2018 deutlich teurer gewesen.

Die teure Offerte legt nahe, dass die AOZ aus der Kritik gelernt und eine intensivere und bessere Betreuung angeboten hat. Details gibt die Organisation keine bekannt. Sowohl in der internen Kommunikation als auch in der Medienmitteilung spricht sie von einer «Vision für die Betreuung», die sie erarbeitet habe. Das kantonale Sozialamt, das zu Mario Fehrs Sicherheitsdirektion gehört, habe aber «grosses Gewicht auf den Preis der Angebote» gelegt. Der Bewertungsschlüssel ist öffentlich: Der Preis wurde mit vierzig Prozent gewichtet – gleich stark wie das Fachkonzept für die Betreuung.

Das kam Caritas und ORS offensichtlich entgegen. «Sportlich» nennt deren Angebote die Zürcher SP-Gemeinderätin Tiba Ponnuthurai, die sich regelmässig mit der AOZ befasst: «Dass diese jetzt den Auftrag verliert, verdeutlicht einmal mehr, dass der künstliche Wettbewerb zwischen drei Organisationen zu einem Ergebnis führt: Der Kanton spart Geld zulasten der Menschen in den Unterbringungszentren.»

Und vermutlich auch auf Kosten der Mitarbeitenden. Es ist gut möglich, dass viele der 150 Angestellten, sollten sie in den Durchgangszentren unter neuer Führung weiterarbeiten wollen, künftig zu schlechteren Bedingungen angestellt werden. Der Kanton Zürich mache diesbezüglich bei der Ausschreibung kaum Vorgaben, sagt VPOD-Sekretärin Martina Flühmann, bei der Gewerkschaft für die AOZ zuständig. Die Caritas schreibt auf Anfrage, sie sei sehr daran interessiert, «die aktuellen Stelleninhabenden zu übernehmen».

Auskunft nur von oben

Eine Neuausschreibung des Auftrags für den Betrieb der kantonalen Unterkünfte findet alle paar Jahre statt. Es steht allen interessierten Dienstleistungsorganisationen offen, sich darauf zu bewerben. Die Sicherheitsdirektion hält dann jeweils den Daumen hoch oder runter.

Zu den kantonalen Unterkünften zählen nicht nur die Durchgangszentren, in denen Personen temporär wohnen, bis sie je nach Aufenthaltsstatus einer Gemeinde zugewiesen werden oder eine eigene Wohnung finden. Hinzu kommen die sogenannten Rückkehrzentren, in denen abgewiesene Asylsuchende untergebracht werden. Sie werden derzeit wie auch in Zukunft von der ORS geführt. Und die «MNA-Wohngruppen» für UMAs. Der Auftrag für die UMA-Strukturen wird an alle drei bietenden Organisationen vergeben, wobei die Hälfte des Auftragsvolumens in der Verantwortung der AOZ bleiben wird.

Über die Hintergründe ihrer Offerten schweigen sich alle beteiligten Organisationen aus. Sie dürfen auch gar nicht anders. In den Ausschreibungsunterlagen, die der WOZ vorliegen, heisst es explizit, dass alle Medienanfragen «im Zusammenhang mit der Auftragsausführung» direkt und «ohne weitere Auskunft» an die Sicherheitsdirektion weitergeleitet werden müssten. Tatsächlich schlägt die Caritas nach einigen internen Abklärungen eine Einladung zum Gespräch aus.

Die Macht über den Asylbereich liegt eben beim Kunden: der Politik. Und die hat keine Lust auf angemessene Preise.