Kost und Logis: Ein Gemeingut für die Wildkatz
Bettina Dyttrich verliert sich im Wald Richtung Tschechien

An der alten Grenze der westlichen Welt gibt es Leberknödelsuppe. Der Dorfladen ist klein, und man merkt ihm an, dass hier vor allem alte Leute leben. Es sind weniger als hundert, und sie kaufen lieber Dosen als Frischprodukte.
Das Dorf behauptet allerdings, es sei eine Stadt: Hardegg an der Thaya, im Nordosten Österreichs direkt an der tschechischen Grenze, hatte im Mittelalter tatsächlich Stadtrecht – und noch vor hundert Jahren diverse Gewerbe, vier Pensionen sowie ein Kaffeehaus. Die riesige, geradezu surreale Burg ist geblieben. Sie gehört einem jungen Mann namens Octavian Graf Pilati von Thassul zu Daxberg, der unter der Woche bescheiden in Wien leben soll.
Meine kulinarischen Erinnerungen an Österreich sind Klischees: Manner-Schnitten, Mozartkugeln, Knödel. Meine Oma panierte das Gemüse, als wäre es ein Schnitzel. Mein Vater machte manchmal am Sonntag Palatschinken, die liebte ich. Die Leberknödelsuppe aus dem Beutel liebte ich auch. Jetzt sitze ich in einer gemieteten Küche in Hardegg und staune, wie gut diese Fertigsuppe schmeckt. «Ohne Zusatzstoffe» steht auf dem Beutel.
Der Nationalpark Thayatal ist winzig, gerade halb so gross wie die Gemeinde Grenchen. Zusammen mit dem tschechischen Nationalpark Podyjí auf der anderen Flussseite kommt das Schutzgebiet aber doch auf 76 Quadratkilometer. Beim Dorf Čížov steht noch ein Stück des Eisernen Vorhangs: ein Stacheldrahtzaun mit Wachtürmen. In der Zone zwischen Zaun und Fluss durfte niemand wohnen, Pflanzen und Tiere konnten tun, was sie wollten. Hopfen überwuchert die Hecken. Es gibt Bestrebungen, die ehemalige Grenze zum Ostblock, die sich vom Polarkreis bis zum Schwarzen Meer zieht, als «Grünes Band Europa» unter Schutz zu stellen. Die beiden Nationalparks hier sind ein Teil davon.
«Unberührt» ist hier gar nichts: Direkt oberhalb des Schutzgebiets liegt ein grosser Stausee, der den Fluss völlig verändert hat. Und doch kann man sich hier im Wald verlieren und das Gefühl bekommen, es gebe auf der Welt nichts ausser Linden, Weissbuchen, Felsen und Fluss. Einmal schwimmt ein Fischotter ans Ufer, schnauft laut und taucht wieder weg. Statt sich Illusionen über «Wildnis» zu machen, hat es wohl mehr Sinn, Nationalpärke als Gemeingüter zu betrachten, die nicht nur Menschen zugutekommen. Sondern zum Beispiel auch den Wildkatzen, die hier vor einigen Jahren wieder eingewandert sind.
Im Brückenhäuschen von Hardegg eine kleine Ausstellung über die Grenze. Ein Foto zeigt strahlende Menschen, die im November 1989 über das Stahlgerüst der damals stillgelegten Brücke klettern. Im Frühling 1990 dann offizielle Wiedereröffnung des Grenzübergangs, grosses Volksfest, die Blasmusik spielte einen extra für den Tag komponierten Marsch. Das «Ende der Geschichte» ist heute sehr weit weg. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es einmal vermisse.
Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. Mehr zum Nationalpark gibt es auf www.np-thayatal.at.