Wasserkrise: Die Cadillac-Wüste hat Durst

Nr. 50 –

Im Südwesten der USA sind vierzig Millionen Menschen auf den Colorado River angewiesen. Doch der Fluss führt immer weniger Wasser. Was müsste sich ändern? Antworten von einem der grössten Liebhaber des Colorado, einem Geologen und einem libertären Biobauern.

der zum Lake Mead aufgestaute Colorado River beim Hoover Dam
Die Verfärbung des Ufers zeigt den früheren Wasserstand: Im Jahr 2000 war der vom Hoover Dam aufgestaute und 170 Kilometer lange Lake Mead zum letzten Mal voll. Seither sinkt der Pegel ­kontinuierlich. Alle Bilder auf dieser Seite stammen aus der Fotoarbeit «The Dying River» von Jonas Kakó. Foto: Jonas Kakó, Panos Pictures

Mitten in der rotbraunen Marslandschaft von Utah steht da plötzlich ein Schild: «No Trespassing – Private Property». Zutritt verboten – Privatbesitz.

John Weisheit bremst seinen Pick-up-Truck. Er kennt diese Gegend mit ihren spektakulären Felsen und Bergen in- und auswendig. Sein Haus im kleinen Ort Moab liegt nur fünfzehn Kilometer entfernt. Aber dieses Schild hat er noch nie gesehen. «Alles hier gehört dem Bergbauunternehmen», sagt Weisheit und schüttelt den Kopf. Dann setzt er seinen Truck wieder in Gang. Er will tiefer in die Berge, dorthin, wo das besagte Unternehmen Intrepid Potash eine der grössten Kalisalzminen der USA betreibt.

Eine halbe Stunde später linst Weisheit durch einen Maschendrahtzaun. Er schaut auf mehrere gigantische Becken, in denen Wasser hellblau schimmert. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man hier ein geheimes Luxusresort vermuten. Doch die surreale Erscheinung hat andere Gründe.

Weisheit erklärt, dass das Wasser in den Becken mit chemischen Mitteln aufgehellt wird, damit es schneller verdunstet. Am Ende bleiben Kalisalze übrig, die zu Kunstdünger verarbeitet werden. Für den Prozess würden enorme Mengen Wasser aus dem nahen Colorado River abgeleitet, sagt Weisheit. Zurück im Auto, schüttelt er wieder den Kopf. «Wir haben keinen Respekt vor der Natur», sagt er. «Wir versuchen, die Natur zu kontrollieren.»

Wer muss handeln?

Der 69-Jährige spricht bedächtig, benutzt kein Wort zu viel. Er strahlt eine grosse Ruhe aus. Dabei ist er im Osten Utahs bekannt dafür, Unruhe zu stiften. Seit über vier Jahrzehnten nimmt Weisheit Ortsansässige, Touristinnen und Reporter mit in die Natur, um ihnen die menschengemachten Veränderungen zu erklären. Seine zentrale Warnung lautet: Es wird zu viel Wasser verbraucht. Es geht ihm dabei nicht um einzelne Unternehmen oder Projekte, sondern um die generelle Art und Weise, wie die Menschen hier leben und produzieren. Und ganz besonders geht es ihm um den Colorado River, der ihm so viel bedeutet. Die Rettung des Colorado vor dem Kollaps ist Weisheits Lebensaufgabe. Allerdings spricht immer mehr dafür, dass er diesen Kampf verliert.

Der Colorado River ist nicht der schönste Fluss. An vielen Stellen ist er braun und dickflüssig. Das liegt am Schlamm, den er mitschleppt. Der Colorado entspringt in den schneebedeckten Rocky Mountains im Bundesstaat Colorado und schlängelt sich von dort Richtung Südwesten, durch Wüste und Berge, auch durch den Grand Canyon, bis er in Mexiko in den Golf von Kalifornien mündet. Mit 2330 Kilometern ist er nur der fünftlängste Fluss des Landes – aber wohl der wichtigste.

Der Colorado River

Karte des Verlaufs des Colorado River durch diverse US-Bundesstaaten
(grosse Ansicht der Karte) Karte: WOZ

Rund vierzig Millionen Menschen in sieben Bundesstaaten, darunter dreissig indigene Stämme, beziehen Wasser aus dem Colorado. Dazu kommen Millionen, die Produkte aus dem Einzugsgebiet des Flusses konsumieren. Auch die Tomaten im New Yorker Supermarkt wurden wahrscheinlich mit Kalisalz aus Utah gedüngt, fast alles im Westen beruht irgendwie auf diesem Fluss. Metropolen wie Phoenix oder Las Vegas wären ohne ihn gar nicht denkbar. Und genau diese Abhängigkeit hat zu seinem Niedergang geführt.

Der einst mächtige Colorado hat so viel Wasser verloren, dass er in vielen Bereichen kaum noch fliesst. Die Wassermenge ist im Vergleich zum Mittelwert des 20. Jahrhunderts um zwanzig Prozent gesunken. Die zwei grössten Stauseen, Lake Powell und Lake Mead, sind nur noch zu rund dreissig Prozent gefüllt. Man sieht immer mehr ausgetrocknete Flussbetten, gesunkene Boote kommen zum Vorschein, manchmal auch menschliche Knochen. Bis 2100 könnte die Wassermenge um die Hälfte zurückgehen. Wird diese Entwicklung nicht aufgehalten, ist die Versorgung von Millionen Menschen in Gefahr.

ein Hausboot liegt auf dem ausgetrockneten Grund des Lake Powell
Der Lake Powell schrumpft. Mit dem Wasser bleiben auch die Tourist:innen aus, die ein Hausboot mieten würden. Foto: Jonas Kakó, Panos Pictures

Das Schwinden des Colorado River ist Teil einer Wasserkrise, die zu den existenziellen Herausforderungen der USA gehört. Sie hat zwei Ursachen: Zum einen erlebt der Südwesten eine Megadürre, wie es sie seit 1200 Jahren nicht gegeben hat. Mitverantwortlich ist dafür die Erderhitzung. Zum anderen verbrauchen die Menschen seit langem mehr Wasser, als es die Natur auch in ihrem besten Zustand hergibt. Betroffen ist auch die Biodiversität. Fische wie der Colorado Pikeminnow und Vögel wie der Gelbschnabelkuckuck sind vom Aussterben bedroht.

Sucht man nach Verantwortlichen für diese Krise, bekommt man einfache Antworten. Aber diese bringen keine einfachen Lösungen mit sich. Besonders deutlich wird das mit Blick auf die Landwirtschaft, die achtzig Prozent des Wassers im Westen verbraucht. Allen voran die Herstellung von Milch- und Fleischprodukten verschlingt unfassbare Mengen. Nur logisch wäre es also, diese Industrie radikal umzustellen und die pflanzliche Ernährung zu fördern.

Doch wie lassen sich die Gewohnheiten einer immer weiterwachsenden Bevölkerung umstellen? Was tun, damit biologisch angebaute Lebensmittel für alle bezahlbar sind? Und wer bestimmt diesen fundamentalen Wandel? Die Bürger:innen durch ihre Konsumentscheidungen, die Politik durch Regulation und harte Strafen? Oder soll man darauf hoffen, dass der Fleischgrosshandel plötzlich ein Gewissen entwickelt?

Der Staat macht zwar manche Vorgaben, aber unter dem Strich haben in den USA Unternehmen über die natürlichen Ressourcen das Sagen. In 42 von 50 Bundesstaaten ist mehr als die Hälfte der Landfläche in Privatbesitz. In Texas sind es 96 Prozent. Einzelne Milliardär:innen wie der CNN-Gründer Ted Turner oder die Emmerson-Familie, der das Holzunternehmen Sierra Pacific Industries gehört, besitzen Landflächen von der Grösse mancher Bundesstaaten. Auch der Fleischmarkt wird von wenigen Firmen wie Tyson Foods und Cargill bestimmt, die mit ihrer Macht kleinere Höfe verdrängen. Was und wie produziert wird, folgt dem Profitzwang, jenseits von demokratischer Kontrolle.

Hat man all das im Kopf, wirkt das Schild in der atemberaubenden Landschaft von Utah weniger grotesk. Zutritt verboten – Privatbesitz. Hier kommt ein sehr kaputtes System auf den Punkt.

Lieber keine Kinder

John Weisheit war ein Teenager, als er sich entschied, keine Kinder in die Welt zu setzen. Er hatte im Magazin «National Geographic» von der «Bevölkerungsbombe» gelesen. So hiess ein Buch des Biologen Paul R. Ehrlich, in dem dieser warnte, dass bereits ab den siebziger Jahren Hunderte Millionen zu Tode hungern würden. Ehrlichs Prognose hat sich zwar nie erfüllt, Kritiker:innen warfen ihm verkürzte Analysen und Rassismus vor. Hunger ist allerdings bis heute eines der akutesten Probleme der Menschheit. Laut dem Uno-Welternährungsbericht hatten letztes Jahr 735 Millionen Menschen zu wenig Nahrung. «Ich bin bei meiner Entscheidung geblieben», sagt Weisheit und zuckt mit den Achseln.

Der Colorado River war von Anfang an eine Grösse in Weisheits Leben. Als er klein war, fuhren seine Eltern so oft wie möglich von Los Angeles raus zum Fluss. Sie angelten, er lernte Wasserskifahren. Später las er Bücher über das Ökosystem des US-Westens, über Staudämme und Kanäle, auch über den Widerstand gegen diese Infrastrukturen. 1980 zog Weisheit nach Moab, um dort seinem Traum – River Guide – nachzugehen. Es dauerte nicht lange, bis eine Tourteilnehmerin nach seiner Nummer fragte. Ihre Hochzeit feierten Susette und er natürlich am Ufer des Colorado.

der Colorado River fliesst durch einen Kanal im Imperial Valley, Südkalifornien
Entlang der Grenze zu Mexiko führt der «All-American Canal» Wasser aus dem Colorado River über 130 Kilometer nach Südkalifornien. Er ist die einzige Wasserversorgung des Imperial Valley und ermöglicht den Anbau von Obst und Gemüse in der Wüste. Foto: Jonas Kakó, Panos Pictures

Gibt es irgendjemanden auf der Welt, der diesen Fluss besser kennt als er? Weisheit überlegt ein paar Sekunden und sagt dann lächelnd, aber ohne jede Arroganz: «Diese Person ist mir noch nicht begegnet.»

Weisheit bietet heute zwar keine regelmässigen Touren mehr an, aber wenn ein Reporter fragt, nimmt er sich Zeit. Er erklärt dann, dass die roten Felsen, auf denen man steht, vor 225 Millionen Jahren entstanden. Er zeigt auf eine Steinwand mit 3000 Jahre alten Felszeichnungen. Er sagt, dass dort, wo heute die Strasse verläuft, noch in den achtziger Jahren Wasser floss. Und als wir in der Nähe von Moab direkt am Fluss stehen, deutet er auf die andere Seite des Ufers und erzählt von Wohnhäusern, die dort bald gebaut werden sollen.

«Haben wir denn gar nichts gelernt?», fragt er.

Weisheit gibt nicht auf, er kämpft weiter. Gegen neue Bauvorhaben. Für mehr einheimische Pflanzen am Ufer. Gegen fossile Energien. Für ein radikal anderes Wassermanagement. Dass er den Wandel noch selbst erlebt, daran glaubt er allerdings nicht mehr.

«Wir werden unangenehme Diskussionen führen müssen», sagt Weisheit. Dazu gehört seiner Meinung nach auch die Frage der Geburtenkontrolle. Es ist ein irritierender Vorschlag, weil er an das autoritäre Regime Chinas oder an die faschistoide Biopolitik mancher White Supremacists erinnert, die bestimmen wollen, wer Kinder kriegen darf und wer nicht. Weisheit hat mit rechten Fantasien nichts zu tun. Dass ein so nachdenklicher und sanftmütig wirkender Mensch so etwas überhaupt in Erwägung zieht, spricht wohl vor allem für seine grosse Verzweiflung. Und damit ist Weisheit nicht allein.

Die Wasserkrise der Vereinigten Staaten lässt sich über mehr als 150 Jahre in die Vergangenheit zurückverfolgen. Sie zeichnete sich schon im 19. Jahrhundert ab, als die Weissen den Westen in Beschlag nahmen, Native Americans verdrängten und ermordeten, schliesslich überall in der Wüste trotz widrigster Bedingungen Städte hochzogen. «Es war ein verhängnisvolles Bestreben. Schlimmer noch, es war unwissenschaftlich», hielt der Umweltjournalist Marc Reisner 1986 in seinem Buch «Cadillac Desert» fest.

Eine wegweisende Rolle spielte der Homestead Act, ein 1862 erlassenes Gesetz, das amerikanische Bürger zum Landerwerb antrieb. Jedem Siedler wurde kostenlos eine Fläche von 65 Hektaren zur Verfügung gestellt, die nach fünf Jahren Bewirtschaftung in seinen Besitz überging. Immer mehr Menschen zogen gen Westen, womit auch der Wasserbedarf rapide stieg. Dass in diesen Gegenden indigene Völker eine nachhaltige Landwirtschaft betrieben hatten, wurde ignoriert. Bis heute haben viele der Stämme keinen adäquaten Zugang zu Wasser.

«Wir zeigen seit Jahrtausenden, wie man mit Wasser umgeht», sagt der indigene Umweltwissenschaftler Michael Kotutwa Johnson. «Trotzdem müssen wir immer noch darum kämpfen, dass unsere Methoden anerkannt werden.» Johnson arbeitet an der Universität von Arizona in Tucson und ist dort Teil des Indigenous Resilience Center. Zudem führt er eine kleine Farm im Hopi-Reservat, wo auf Trockenfeldern, also ohne künstliche Bewässerung, Mais, Bohnen, Melonen und Squashkürbisse wachsen.

Ohne Berücksichtigung der indigenen Bevölkerung einigten sich die sieben Bundesstaaten entlang des Colorado River 1922 auf einen Vertrag, der den Wasserverbrauch grob regelte. 1936 war der Hoover Dam, bis heute der grösste Staudamm der USA, fertig gebaut. 1966 ging der Glen Canyon Dam in Betrieb. Alles, damit mitten in der Wüste die Wirtschaft boomen konnte. Saftige Vorgärten, gefüllte Pools, gigantische Golfplätze. Die Stadt Phoenix wuchs zwischen 1950 und 1960 von rund 100 000 auf knapp 450 000 Einwohner:innen. «Die grossen Stauseen haben lange Zeit ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelt», sagt Amy Ostdiek vom Colorado Water Conservation Board. Seit über zwanzig Jahren aber fliesse dort mehr Wasser raus als rein. Weil das Problem so lange ignoriert worden sei, müssten die Einsparungen jetzt umso drastischer sein, sagt sie.

Phoenix ist heute mit rund fünf Millionen Menschen einer der grössten Ballungsräume der USA – trotz Sommertemperaturen über vierzig Grad. Der Grundwasserspiegel ist mittlerweile so niedrig, dass in den kommenden Jahrzehnten mit Engpässen und Ausfällen zu rechnen ist, sollte der Verbrauch nicht deutlich sinken. Katie Hobbs, die Gouverneurin von Arizona, kündigte im Juni an, dass Neubauten in bestimmten Gegenden bis auf Weiteres verboten würden.

Egal wo man hinschaut: Die Wasserkrise ist bereits in vollem Gange. Die Erderhitzung hat dazu geführt, dass in den Rocky Mountains weniger Schnee fällt. Das hat den Wasserspiegel sinken lassen, woraus sich ein Problem für die Stromversorgung ergibt. Das Kraftwerk des Hoover Dam versorgt rund 1,3 Millionen Menschen mit Elektrizität. Sollte der Pegel des Sees die Marke von 290 Metern über Meereshöhe unterschreiten, fällt das ganze System aus. «Dead Pool» sagt man dazu.

Plötzlich Löcher im Boden

Wie wenig die Erde das verträgt, was da auf ihr passiert, erkennt man besonders deutlich in Enoch, einem kleinen Ort im Südwesten von Utah. Ende der nuller Jahre sollte dort eine neue Siedlung namens Parkview entstehen: 300 Häuser für mehr als 600 Menschen waren geplant. Im Frühjahr 2009, als schon einige Strassen angelegt und das Musterhaus gebaut worden waren, stellten Bewohner:innen jedoch fest, dass etwas nicht stimmte. Im frischen Asphalt taten sich Risse auf, zum Teil sogar klaffende Löcher. An manchen Stellen senkte sich der Boden um mehr als einen Meter.

«Die Risse und Senkungen kommen zustande, wenn zu viel Grundwasser abgepumpt wird», erklärt der Geologe Tyler Knudsen. Es entstünden dadurch Hohlräume, in die die darüberliegende Erde hineinsacke, so Knudsen. Die Erde verliert im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gleichgewicht.

Knudsen arbeitet seit 2006 für das Departement für natürliche Ressourcen von Utah, Abteilung «Geologische Gefahren». Als er anfing, war von Bodensenkungen noch keine Rede. Seit dem Vorfall in Enoch seien er und seine Kolleg:innen regelmässig damit konfrontiert, sagt Knudsen. Aus rein beruflicher Sicht sei es faszinierend, Geologie so aktiv und lebendig verfolgen zu können. Aber jeder neue Riss mache das wahre Ausmass der Wasserkrise klar.

Knudsen steht an einem klaren Novembertag dort, wo die Siedlung einst geplant war. Fast alles hier ist mit Gras und Sträuchern überwuchert, an einigen Stellen häuft sich Schutt. Besonders dramatisch sehen die Überreste des Musterhauses aus. Die Grundmauern stehen noch, genauso die drei Treppenstufen des Eingangs, die nun ins Nichts führen. Teile der Ziegelwand liegen verformt auf dem Boden, ringsherum Glasscherben, dreckige Kissen und verrostetes Metall.

Knudsen zeigt auf eine umzäunte Wiese, die direkt an die Geistersiedlung anschliesst. Sie gehört dem Immobilienunternehmen Valley Gates Estates, das dort in den kommenden Jahren bauen will. Genehmigungen hat die Stadt schon erteilt. Haben die Menschen denn gar nichts gelernt? «Privatbesitz ist in den USA heilig», sagt Knudsen und wirkt zerknautscht.

Macht er sich Sorgen? «Ja, natürlich. Ich glaube, dass wir die Art und Weise, wie wir im Westen leben, neu gestalten müssen.»

Der Bitcoin-Biobauer

Jedes Gespräch über die Wasserkrise landet irgendwann beim Thema Luzerne, auf Englisch Alfalfa. Die Pflanze dient vor allem als Rinderfutter und schluckt enorme Wassermengen. Bundesstaaten wie Kalifornien, Montana und Arizona sind voller Luzernefelder, man sieht sie gut auf Luftaufnahmen: grüne Kreisflächen, umgeben von Wüste. Grosse Mengen werden in Länder wie Saudi-Arabien exportiert, in denen der Anbau verboten ist – weil er so viel Wasser benötigt. Nicht zuletzt deshalb ist das Ganze längst ein Politikum. Die US-Regierung bezahlt Landwirt:innen sogar dafür, dass sie weniger Luzerne anbauen, um Wasser zu sparen. Die Suche nach alternativen Nutzpflanzen läuft. Doch lässt sich etwas, das für die Landwirtschaft so elementar ist, überhaupt ersetzen?

Der Landwirt Dax Hansen ist guter Dinge. Er steht an einem Vormittag Mitte November vor einer Herde Schafe und freut sich über deren Urin und Mist. Darin seien wertvolle Stoffe wie Phosphor und Stickstoff enthalten, die man als natürliche Düngemittel für den Boden benutzen könne, erklärt Hansen. «Und je gesünder der Boden ist, desto weniger Wasser braucht er.»

Hansen wagt seit fünf Jahren ein Experiment. Er führt rund hundert Kilometer ausserhalb von Phoenix, mitten in der Wüste von Arizona, die erste Farm im Südwesten der USA mit einem offiziellen Zertifikat für nicht nur biologischen, sondern auch regenerativen Anbau. Sein Ziel ist es, mit so wenig Wasser wie möglich hochwertigste Produkte zu erzeugen. Ohne Luzerne. Und ganz ohne Chemikalien. Dafür mit Techniken des nachhaltigen Anbaus, die er sich von indigenen Farmer:innen abgeschaut hat.

Seine Oatman Flats Ranch hat 270 Hektaren Fläche – winzig im Vergleich zu den führenden Betrieben. Hansen geht es darum, erst im Kleinen zu zeigen, dass sich die Landwirtschaft revolutionieren lässt, um das dann irgendwann auch im Grossen zu tun. 200 Schafe seien es derzeit, mehr als 1000 sollen es bald sein. Die Tiere sollen nicht nur für guten Boden sorgen, sondern auch für Fleisch. Hansens Hauptgeschäft ist allerdings eine Weizensorte namens White Sonora Wheat, aus der er unter anderem Backmischungen herstellen lässt.

Hansen trägt einen Cowboyhut und Cowboystiefel, wie es Landwirte im Westen eben so tun. Dabei kommt er aus einer ganz anderen Welt. Hansen ist Anwalt, ein sehr erfolgreicher sogar. Als Partner in einer grossen Kanzlei hat er sich im Bereich Finanztechnologien einen Namen gemacht. Zu seinen Klienten gehören Unternehmen wie Paypal und Microsoft, die er vor allem zur Kryptowährung Bitcoin berät.

Weil Hansen sehr früh im Thema drin war, investierte er auch früh, 2011 war das. Es sollte sich lohnen: Hansen hat nach eigenen Angaben mehr als eine Million Dollar mit dem Bitcoin gemacht. Er ist ein reicher Mann. Und es ist genau dieser Reichtum, der es ihm 2018 ermöglichte, die Oatman Flats Ranch von seiner Tante und seinem Onkel für mehrere Millionen zu kaufen und in Schuss zu bringen. «Ohne den Bitcoin hätte ich das nie gekonnt», sagt er.

Wenn Hansen seine Geschichte erzählt, ist er sich der Ambivalenz bewusst. Er weiss, dass der Bitcoin unfassbare Mengen von Wasser verbraucht. Laut einer aktuellen Studie sind es pro Jahr 660 000 olympische Schwimmbecken. Und er gibt zu, dass es nicht optimal sei, wenn der Aufbau nachhaltiger Landwirtschaft vom Vermögen einzelner Bürger:innen abhänge.

Hansen, der sich als libertär bezeichnet, will weiter an den freien Markt glauben. «Meine Hoffnung ist, dass die Tausende kleinen Landwirte im Land nicht ihre Betriebe aufgeben, sondern investieren», sagt er. Doch mit welchem Geld soll das passieren?

Hansen zögert und sagt dann einen Satz, der viel über das Ausmass der Wasserkrise erzählt: «Wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich die Regierung einschalten muss.» Ohne den Staat sei der Wandel der Industrie schlichtweg nicht möglich. So ganz scheint selbst einer wie er nicht mehr an die Privatwirtschaft zu glauben.

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