Kost und Logis: My own private Arizona

Nr. 2 –

Bettina Dyttrich sucht die Wüste hinter der Lonza

Ich wollte nach Arizona. Schon immer. Seit der zweiten Klasse verfolgten mich diese Halbwüsten, Ebenen und Canyons. Mich faszinierte der Widerstand von Geronimo* und seiner Gruppe, die das US-Militär jahrelang an der Nase herumführte und erst 1886 besiegt wurde – und auch nur, weil übergelaufene Scouts den Weissen halfen.

Ziemlich sicher werde ich nie in Arizona sein. Ich fliege nicht, und vom Schifffahren hatte ich nach dreieinhalb Tagen auf dem Schwarzen Meer auch genug. Nach dieser Reise 2019 wusste ich wieder, dass mich solche romantisierten Backpackertrips in die Ferne nicht glücklich, sondern fertigmachen.

Aber raus muss ich trotzdem. Dauernd. Darum sitze ich am Weihnachtstag am Hang des Vispertals an der Sonne, zwischen Wacholder, Beifuss, vereinzelten Föhren. In der Walliser Trockensteppe wachsen erstaunlich ähnliche Pflanzen wie in manchen Gebirgen des US-Südwestens. Nur die Kakteen fehlen – aber nicht mehr lange. Rund um Sion gelten sie schon als Plage, bald werden Zivis ächzen bei ihrer Bekämpfung. Was natürlich auch fehlt, sind die weiten, menschenleeren Ebenen, auf denen ich endlich reiten lernen könnte. Stattdessen leuchtet irgendwo im Hintergrund das riesige Visper Lonza-Areal. Ein so harter Kontrast, dass er schon wieder gut ist.

Da sitze ich und lese im «Land des kargen Regens» von Mary Austin, ein Buch von 1903. Austin, Naturschriftstellerin und Feministin, schrieb mit grosser Liebe über die Mojave-Wüste und die Sierras um das Death Valley, nicht weit von Arizona. Sie war mit Indigenen befreundet und trug am liebsten deren Kleider. Ganz frei von Paternalismus sind ihre Texte nicht, aber sie stechen doch heraus, wenn man weiss, mit welcher Verachtung die Kolonisator:innen den Bewohner:innen der Halbwüste begegneten, die in Hütten lebten und sich von Kleintieren und Piniennüssen ernährten. Austin verstand auch, wie fragil diese Ökosysteme sind – vor dem Hintergrund der verheerenden Wasserkrise im Südwesten (siehe WOZ Nr. 50/23) lesen sich viele ihrer 120 Jahre alten Sätze prophetisch.

Im Herbst ist das erste Rotpunkt-Wanderbuch der Insta-Generation erschienen: Für «Closeby» haben Karin Rey und Maja Haus lauter Orte in der Schweiz besucht, die an berühmte Landschaften in der Ferne erinnern – mit Vergleichsfotos. Und es stimmt: Aus dem richtigen Winkel gleicht das Panorama von Lugano verblüffend jenem von Rio, der Seealpsee einem norwegischen Fjord, der Niesen dem Mount Fuji. Und der Étang de la Gruère im Jura ist kaum von einem finnischen Taigasee zu unterscheiden. Es sind malerische, meist leichte Wanderungen, und die CO₂-Mengen, die man dabei nicht ausstösst, ziemlich beeindruckend. Mir ist das alles etwas zu sehr auf die Optik reduziert. Aber das Prinzip ist dasselbe wie auf den Reisen in mein persönliches Arizona: hinausgehen und sich von der Fantasie unterstützen lassen. Jedenfalls hinausgehen. Es hilft.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.

* Geronimo, eigentlich Gokhlayeh (1829–1909), war Schamane und Kriegsstratege der Chiricahua-Apachen.

«Land des kargen Regens» von Mary Austin ist in der Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz erschienen, «Closeby. Die Welt vor deiner Tür» von Karin Rey und Maja Haus im Rotpunktverlag.