Durch den Monat mit Hanno Loewy (Teil 3): Wie geht Ihr Museum mit dem Krieg um?
Was die Geschichte der einstigen jüdischen Gemeinde in Hohenems so speziell macht. Was die Schweiz damit zu tun hat. Und warum das Team des Jüdischen Museums gerade viel Zeit in Vorarlberger Schulen verbringt.
WOZ: Hanno Loewy, wie konnte im kleinen Hohenems ab dem 17. Jahrhundert eine bedeutende jüdische Gemeinde entstehen?
Hanno Loewy: Hohenems war lange eine Reichsgrafschaft, die einen eigenständigen Pufferstaat am Rhein errichten wollte. Dazu gehörte als Statussymbol eine jüdische Gemeinde. Einerseits um wirtschaftlich zu profitieren, andererseits als politisches Souveränitätssymbol – Habsburg-Österreich duldete keine jüdischen Gemeinden. So hat Reichsgraf Kaspar von Hohenems 1617 mit einem Schutzbrief die Ansiedlung von zwölf Familien ermöglicht. Im 19. Jahrhundert war die jüdische Gemeinde sehr kosmopolitisch – nicht nur wegen der Handelsberufe, in die man gezwungen war, sondern auch wegen des Niederlassungsrechts.
Wie sah dieses aus?
Es liess maximal neunzig jüdische Familien gleichzeitig zu. Und von den vielen Kindern, die man damals hatte, durfte nur eines in Hohenems heiraten. So entstanden europaweite Familiennetzwerke. Wirklich gleichgestellt waren Jüd:innen in Hohenems nie, auch wenn sie ab 1867 formell gleichgestellt wurden. Denn ab den 1880ern wurde der Antisemitismus zur neuen Heilslehre, als Gegenbewegung zur langsam entstehenden Arbeiterbewegung. Das hinterliess auch in Hohenems Spuren, auch wenn die Arbeiterbewegung in Vorarlberg schwach blieb und jüdische Textilfabrikanten im Ort die grössten Arbeitgeber waren.
Und in den dreissiger Jahren?
Die Nazis begannen, zunächst noch illegal, in Vorarlberg zu agitieren. Im Frühling 1938, mit dem Anschluss an Nazideutschland, gab es eine Fluchtwelle von Wien aus über Feldkirch in die Schweiz. Alles, was die Nazis in Deutschland bis dahin über Jahre an Gewalt ausgeübt hatten, fegte in Österreich in wenigen Tagen wie ein Sturm über die jüdische Bevölkerung. In Hohenems lebten da nur noch sechzehn Jüd:innen. Die Situation verschlimmerte sich zusätzlich, als die Schweiz die Visumspflicht für Österreicher:innen einführte. Die zweite grosse Fluchtwelle erfolgte nicht zuletzt über den Alten Rhein bei Hohenems – kurz bevor die Schweiz die Grenzen ganz dichtmachte.
Wie lässt sich das einem heutigen Publikum vergegenwärtigen?
Indem wir die Leute dazu einladen, sich zu Fuss oder mit dem Rad entlang der heutigen Grenze auf den Weg zu machen. Mit symbolischen Grenzsteinen und Hörinstallationen auf der Vorarlberger Radroute Nummer eins und an Orten in der Schweiz und in Liechtenstein erinnern wir die Vielfalt von Menschen, die damals versuchten, in die Schweiz zu fliehen. So schlagen diese Geschichten auch Brücken in die Gegenwart, zu einem besseren Verständnis dafür, warum Menschen es sich antun zu fliehen. Dass wir das realisieren konnten, ist nicht selbstverständlich. Man denke nur, wie heiss vor dreissig Jahren die Debatte um die Rehabilitierung des ehemaligen St. Galler Polizeichefs und Fluchthelfers Paul Grüninger war! Selbst 2012 war es noch nicht einfach durchzusetzen, dass die Brücke am Grenzübergang Hohenems–Diepoldsau seinen Namen trägt. Heute plant der Kanton St. Gallen dort zusammen mit dem Bund ein Memorial für NS-Opfer. Und wir wurden beauftragt, zusammen mit vielen Partnern aus der Schweiz dafür ein Konzept zu erarbeiten.
Wie geht das Museum nun damit um, dass in Israel und Palästina Krieg herrscht?
Unsere Bildungsabteilung ist damit beschäftigt, als Feuerwehr zu agieren. Mein Kollege Arnon Hampe ist fast pausenlos in Vorarlberger Schulen unterwegs. Glücklicherweise haben wir vor zwei Jahren von einer deutschen Stiftung das Projekt «Ohne Angst verschieden sein» finanziert bekommen. Dazu gehört auch der Austausch mit muslimischen Communitys. Das ist umso wichtiger, als dieser Diskurs durch den Vorwurf des importierten muslimischen Antisemitismus völlig vergiftet ist. Indem man nun ein – häufig auch unkritisches – Bekenntnis zu Israel quasi zum Lackmustest der Zugehörigkeit zu Europa macht, setzt man Muslim:innen oft einem pauschalen Verdacht aus. Darum war es uns wichtig, schon wenige Tage nach dem 7. Oktober mit muslimischen Kollegen eine gemeinsame Erklärung in die Welt zu schicken – aus der Überzeugung, dass man Antisemitismus und Rassismus nur gemeinsam bekämpfen kann. Was derzeit gerade auch bei Jugendlichen nicht einfach ist.
Woran liegt das?
Auf Kanälen im Internet, die bei Jugendlichen beliebt sind, wütet ein Propagandakrieg, in dem die Hamas die Nase weit vorne hat – und der nicht zuletzt junge Muslim:innen unter Druck setzt. Das verführt viele dazu, sich per se auf eine Seite zu stellen und dabei jedes Mass zu verlieren. Leider wissen auch viele Lehrkräfte wenig über den Konflikt und tendieren dazu, reflexartig für die einen oder anderen Partei zu ergreifen. Statt daran festzuhalten, dass beide Seiten das Recht darauf haben, in Frieden und Sicherheit zu leben. Das heisst freilich auch zu erkennen, dass die so erfolgreichen Scharfmacher:innen auf beiden Seiten ein Unrecht begehen. Dass in unserem Museum gerade jetzt, wo Forderungen nach einem gleichberechtigten Zusammenleben utopisch klingen, eine Ausstellung über junge israelische Palästinenserinnen in Tel Aviv läuft, ist von daher ein paradoxer Glücksfall.
Hanno Loewy (62) leitet seit 2004 das Jüdische Museum Hohenems. Näheres zu den erwähnten Projekten unter www.ueber-die-grenze.at und www.ohneangstverschiedensein.at.