Israel und Palästina: In die falsche Richtung
Das Massaker der Hamas in Israel liegt drei Monate zurück. Den seither andauernden Krieg kann die israelische Regierung nicht gewinnen. Etwas Hoffnung birgt einzig ein neuer Vorschlag aus Ägypten.
Drei Monate ist es her, dass die radikalislamische Hamas Israel überfiel und ein grauenvolles Massaker verübte. Seitdem jagt eine furchtbare Nachricht die nächste – für Palästinenser:innen wie für Israelis –, und wenig deutet darauf hin, dass die allgemeine Depression, die sich vom Mittelmeer zum Jordan zieht, bald zu einem Ende kommen könnte.
Die Überzeugung, dass der israelische Staat seinen Bewohner:innen Sicherheit bietet – ein Kernelement des Zionismus –, wurde schlagartig zerstört. 110 der mehr als 200 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln wurden in einem Austausch mit palästinensischen Gefangenen freigelassen. Viele weitere wurden getötet – drei von ihnen von israelischen Soldaten. Hinzu kommt der schwere internationale Imageschaden, den das Land erlitten hat. Das Kriegsziel, das der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mantraartig wiederholt, nämlich die Hamas zu zerstören, wird er nicht erreichen. Die Hamas wird zwar deutlich geschwächt aus dem Krieg hervorgehen. Zerstört werden kann sie nicht.
Diese Überzeugung setzt sich auch in der israelischen Bevölkerung immer mehr durch, selbst unter Offizier:innen des israelischen Militärs. Einer räumte gegenüber dem Armeeradio Ende Dezember ein, dass es dem Militär zwar gelungen sei, die Abschussrampen für Raketen weitgehend auszuschalten. Trotzdem könne es sein, dass die Bewohner:innen in der näheren Umgebung des Gazastreifens selbst in zwei Jahren noch Raketenalarm hören würden. Hinzu kommt, dass die Hamas als Idee militärisch nicht zerschlagen werden kann. Einer Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) zufolge hat die Hamas im Westjordanland enorm an Unterstützung gewonnen (siehe WOZ Nr. 51/23), in Gaza ist sie leicht gestiegen. Siebzig Prozent der Palästinenser:innen unterstützen nun den bewaffneten Kampf gegen die Besetzung – ein Rekordwert.
Die Richtung wechseln
Am Weihnachtstag erschien in der US-Tageszeitung «Wall Street Journal» ein Interview mit Netanjahu. Im Gespräch nennt er drei Elemente als Grundbedingung für den Frieden: Die Hamas müsse zerstört, Gaza demilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft entradikalisiert werden. Mit seinem Weg wird er diese Ziele sicherlich nicht erreichen können.
Ein anderer Weg hätte sein können, dass sich Israel erst Zeit nimmt für Trauer, um die Toten zu begraben und um über eine Strategie nachzudenken, der Hamas zu begegnen. Die Geiseln hätten Priorität Nummer eins sein müssen. Das hätte bedeutet, sich die eigene Niederlage vorerst einzugestehen und der Hamas einen Teilsieg einzuräumen. Gerade dies hätte die Stärke Israels gezeigt.
Auch jetzt wäre ein politischer Richtungswechsel noch möglich. Ein erster Schritt müsste sein, die Palästinenser:innen und die Hamas nicht gleichzusetzen, auch in der Regierungsrhetorik, und natürlich die palästinensische Zivilbevölkerung so gut es geht zu schützen. Rache ist keine Strategie. Die israelische Regierung müsste die extrem rechten Kräfte, die Siedler:innen im Westjordanland und diejenigen zurückpfeifen, die mit den Hufen scharren, um den Gazastreifen langfristig zu besetzen. Sie müsste einen Plan für den Tag nach dem Krieg entwickeln und auf eine Zweistaatenlösung hinarbeiten. Nur sitzen in der israelischen Regierung eben genau diese extremen Kräfte. Sie wird keinen Richtungswechsel vornehmen. Immerhin erlitt diese Regierung Anfang Woche innenpolitisch einen schweren Rückschlag: Das oberste Gericht hat wichtige Teile ihrer umstrittenen Justizreform gekippt.
Boden für Gespräche
Ein wenig Hoffnung macht ein Vorschlag aus Ägypten. Ende Dezember legte das vermittelnde Nachbarland eine ambitionierte Roadmap hin zu einem Waffenstillstand vor, der gar zu einer Art Frieden führen könnte.
Als ersten Schritt sieht der Plan eine zweiwöchige Unterbrechung der Kämpfe vor. Während dieser Feuerpause sollen 40 israelische Geiseln gegen 120 palästinensische Inhaftierte aus israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Ausserdem soll humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen. In der zweiten Phase soll ein Gespräch zwischen den verfeindeten palästinensischen Fraktionen stattfinden, das auf eine Versöhnung von Fatah und Hamas abzielt sowie auf die Bildung einer technokratischen Regierung im Westjordanland und im Gazastreifen. Diese neue Führung soll unter der Aufsicht internationaler Kräfte gebildet werden und den Wiederaufbau im Gazastreifen beaufsichtigen sowie den Weg zu palästinensischen Wahlen ebnen. Der dritte Schritt wäre ein umfassender Waffenstillstand, bei dem die verbliebenen israelischen Geiseln im Gegenzug für eine wohl sehr hohe Anzahl von palästinensischen Inhaftierten freigelassen werden sollen. Als letzten Schritt würde Israel sein Militär aus dem Gazastreifen abziehen.
Noch wartet Ägypten auf offizielle Antworten von Hamas und Israel. Dass der Plan von beiden Seiten als solcher akzeptiert wird, ist sehr unwahrscheinlich. Doch von beiden Seiten kamen Stimmen, dass der Vorschlag als Gesprächsgrundlage gelten könnte.