Antifa in Budapest: Mit Kakerlaken in der Zelle

Nr. 2 –

Deutschland und Italien unterstützen das rechtsautoritär regierte Ungarn bei einer gross angelegten Verfolgung von Antifaschist:innen. Wie kam es dazu?

Die Geschichte beginnt vor rund elf Monaten, am 9. Februar 2023, in Budapest – kurz vor dem sogenannten Tag der Ehre. Wann und wie sie enden wird, hängt auch davon ab, ob es gelingt, eine drastische Repressionsspirale zu durchbrechen.

Jedes Jahr versammeln sich am 11. Februar Hunderte Neonazis aus ganz Europa in der ungarischen Hauptstadt, um in geschichtsrevisionistischer Manier den Tausenden deutschen Nazisoldaten und ihren ungarischen Kollaborateuren zu huldigen, die 1945 versuchten, die Belagerung durch die Rote Armee zu durchbrechen. Was einem Selbstmordkommando gleichkam, motiviert heutzutage neonazistische Gruppen zum kollektiven Abfeiern des Nationalsozialismus – die ungarischen Behörden hindern sie nicht daran.

2023 blieben die Neonazis allerdings nicht ungestört. Schon zwei Tage vor dem Tag der Ehre kam es zu mehreren Angriffen von Antifaschist:innen auf Neonazis. In diesem Fall blieb die ungarische Polizei nicht untätig und bildete umgehend eine Sonderkommission, um nach den Antifaschist:innen zu fahnden.

Seither sitzen die Aktivistin Ilaria S. aus Italien und der deutsche Antifaschist Tobias E. unter extrem widrigen Bedingungen in ungarischer Haft. Vorgeworfen werden ihnen «schwere und lebensgefährliche Körperverletzung» sowie Mitgliedschaft in einer internationalen kriminellen Vereinigung. Bei einer Verurteilung drohen jahrelange Haftstrafen. Der Prozess soll am 29. Januar in Budapest beginnen.

10 000 Euro Belohnung

Derweil fahndet die ungarische Polizei mit europäischen und internationalen Haftbefehlen nach weiteren Antifaschist:innen aus mehreren Ländern, darunter zehn Personen aus Deutschland.

Dort wird seither kein Stein mehr auf dem anderen gelassen, um die Antifaschist:innen, die von den Behörden dem Antifa-Ost-Komplex um Lina E. zugeordnet werden, zu finden (siehe WOZ Nr. 35/21). Die Sonderkommission Linx des Landeskriminalamts Sachsen sagte gegenüber der «Bild»-Zeitung: «Wir fahnden in einem eigenen Spiegelverfahren mit der Generalstaatsanwaltschaft nach den gesuchten Personen.» Das heisst: Die deutsche Polizei fahndet auch mit eigenen Haftbefehlen nach den Gesuchten. Seit September 2023 wird nach Johann G., der mit Lina E. und weiteren im Antifa-Ost-Verfahren beschuldigt wird und seit 2020 für die Behörden nicht greifbar ist, mit einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Belohnung: 10 000 Euro. Zuletzt verhaftete die Polizei am 11. Dezember Maja T., eine der von Ungarn gesuchten Personen, in Berlin. T. sitzt seither in Untersuchungshaft. Es ist zu erwarten, dass die ungarischen Behörden einen Auslieferungsantrag stellen.

Ohne Kontakt zur Familie

So wie bei Gabriele M. aus Italien: Nachdem die ungarischen Behörden am 8. November einen europäischen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatten, wurde er am 22. November in Mailand festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Laut der linken Tageszeitung «il manifesto» wird ihm die Beteiligung an zwei Angriffen auf Neonazis vorgeworfen.

Der erste Angriff soll bei einem Mann zu Verletzungen geführt haben, die innerhalb von acht Tagen abgeheilt seien. Im zweiten Fall geht es um einen Angriff auf zwei Neonazis, die «mehrere Prellungen an Kopf und Beinen» davongetragen haben sollen. Die vorgeworfenen Straftaten gelten in Italien als einfache Körperverletzungen und werden daher erst strafrechtlich verfolgt, wenn es zu einer Anzeige durch das Opfer kommt. In diesem Fall könnte in Italien eine Gefängnisstrafe von maximal vier Jahren verhängt werden. In Ungarn hingegen droht M. eine Haftstrafe von bis zu sechzehn Jahren.

Eine Auslieferung sei vor diesem Hintergrund unverhältnismässig, folgerte am 5. Dezember der mailändische Generalstaatsanwalt Cuno Tarfusser, der den Antrag Ungarns ablehnte. Beim Entscheid spielten auch die Haftbedingungen von Ilaria S. eine Rolle. Die Anwälte hatten dem Berufungsgericht in Mailand einen achtzehnseitigen Brief der Gefangenen vorgelegt, in dem sie von Bettwanzen, Kakerlaken und Mäusen in den Zellen und Fluren berichtet. S. klagt darin über Unterernährung und schildert, dass sie mehr als sechs Monate keinen Kontakt zu ihrer Familie haben durfte. Die Anwälte von S. hatten viermal beantragt, sie in den Hausarrest nach Italien zu verlegen, dies wurde jedoch von der ungarischen Justiz wegen «Fluchtgefahr» abgelehnt.

Dass ungarische Gefängnisse eher den Namen Kerker verdienen, ist nicht neu. Diverse deutsche Gerichte lehnten in der Vergangenheit Auslieferungen aufgrund der dortigen Haftbedingungen ab. Auch die EU-Kommission sieht grosse Mängel im ungarischen Rechtsstaat. Der einzig richtige Schluss für die Strafverfolgungsbehörden müsste demnach sein, eine Auslieferung der Antifaschist:innen an Ungarn auszuschliessen. Ob das Berufungsgericht Mailand dem Generalstaatsanwalt indes folgen wird und eine Auslieferung Gabriele M.s verhindert, steht bisher nicht fest. Das Gericht hat den Entscheid auf den 16. Januar vertagt.