Budapest-Komplex: Perspektivlose Kerkerhaft

Nr. 45 –

Seit Juni sitzt Antifaschist:in Maja T. in Budapest in Untersuchungshaft. Der nonbinären Person wird vorgeworfen, Neonazis angegriffen zu haben. Ein faires Verfahren ist nicht in Aussicht.

Solidaritätsdemo für Maja T. am 6. Juli in Leipzig
Maja T. berichtet von unsäglichen Haftbedingungen: Solidaritätsdemo am 6. Juli in Leipzig. Foto: Moritz Schlenk, Imago

«Man kann argumentieren, wie man will, das interessiert die Ungarn nicht. Die machen weiter wie bisher, auch was die Haftbedingungen angeht», erklärt ein offenkundig frustrierter Wolfram Jarosch im Gespräch mit der WOZ. Jarosch ist der Vater von Antifaschist:in Maja T. Die nonbinäre Person wurde im Dezember 2023 in Berlin festgenommen. Seit fast einem Jahr sitzt sie in Untersuchungshaft, seit Ende Juni im Budapester Fövàrosi-Gefängnis.

Maja T. wird die Beteiligung an zwei gewalttätigen Überfällen auf Teilnehmer:innen des rechtsextremen «Tages der Ehre» im Februar 2023 vorgeworfen. In einem Fall soll Maja T. drei Personen ausgespäht haben, die später von anderen Personen vor einem Café mit Schlagstöcken verprügelt worden seien. Sie trugen laut Ermittler:innen Prellungen, Quetschungen und teilweise Knochenbrüche davon. Im zweiten Fall werfen die Behörden Maja T. vor, gemeinsam mit Gesinnungsgenoss:innen zwei Personen auf offener Strasse hinterrücks angegriffen und mit Schlägen gegen den Kopf zu Boden gebracht zu haben. Dadurch habe einer der Rechtsextremen multiple Gesichts- und Schädelfrakturen erlitten.

Die jährlich in Budapest stattfindende Veranstaltung ist einer der grössten neonazistischen Aufmärsche Europas. Tausende Teilnehmer:innen kommen dort jeweils zusammen, um der am Ende des Zweiten Weltkriegs in Budapest eingekesselten ungarischen und deutschen Soldaten zu gedenken. Nicht wenige laufen in authentischen Wehrmachts- oder Waffen-SS-Uniformen auf.

Maja T. aus dem thüringischen Jena wurde aufgrund der Angriffe seit Februar 2023 von den ungarischen Behörden gesucht. Parallel dazu nahm die Generalstaatsanwaltschaft Dresden das Verfahren gegen Maja T. und weitere beschuldigte Personen auf.

Im Dezember 2023 fassten Zielfahnder des thüringischen Landeskriminalamts Maja T. in einem Berliner Hotel und überstellten Maja T. wegen des Dresdner Verfahrens in Untersuchungshaft. Währenddessen stellte Ungarn ein Auslieferungsersuchen an Deutschland. Es folgte zunächst ein juristisches Hickhack, welcher Gerichtsstand für das Verfahren der Auslieferung zuständig sei. Aufgrund des Festnahmeorts gingen die Zuständigkeiten schliesslich an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das Kammergericht Berlin. Wenig später übernahm die Bundesanwaltschaft das Hauptverfahren von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden.

Am 27. Juni 2024 entschied das Kammergericht, dass eine Auslieferung nach Ungarn rechtmässig sei, auch weil die ungarischen Behörden aufgrund von Maja T.s Geschlechtsidentität besondere Vorsichtsmassnahmen versprachen, um die nonbinäre Person vor möglichen Übergriffen anderer Gefangener oder des Wachpersonals zu schützen.

Fussfesseln und Kakerlaken

Maja T. und ihre Anwält:innen wurden durch die darauffolgenden Ereignisse überrumpelt. Schon in der Nacht auf den 28. Juni wurde Maja T. von Beamten des sächsischen Landeskriminalamts aus der Zelle geholt. Obwohl die Anwält:innen am Morgen des 28. Juni beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Auslieferung einlegten, wurde diese sofort ausgeführt: Als das Bundesverfassungsgericht dem Berliner Generalstaatsanwalt noch am selben Vormittag die Auslieferung bis auf Weiteres untersagte, war die Überstellung nach Ungarn bereits vollzogen.

Der Vorgang wurde zum bundesweiten Skandal, da sich die exekutiven Behörden offenbar in Antizipation einer möglichen Verfassungsgerichtsentscheidung bewusst auf eine äusserst schnelle und keinesfalls gängige Umsetzung der Abschiebung geeinigt hatten.

Der Skandal weitet sich mittlerweile aus, weil Ungarns Garantien für angemessene Haftbedingungen offenbar keinen Bestand haben. Mitte September sprach Maja T. mit dem Autor dieses Textes erstmals selbst über das Erlebte und die aktuellen Haftbedingungen und hob dabei vor allem die brutale Überstellung durch die österreichischen Behörden hervor: «Da habe ich die kalte Brutalität der Polizei kennengelernt. Ich wurde behandelt wie ein verschnürtes Paket. […] Das war wirklich ein Horrortrip.» Maja T. fährt fort: «Österreichische Beamte legten mir Fussfesseln an und zogen mir einen Sack über den Kopf. Im Gefangenentransporter brachten sie mich dann – die Fahrt dauerte mehrere Stunden, ohne Pause und die Möglichkeit, zu trinken – an die ungarische Grenze und übergaben mich an die dortigen Beamten.» Das österreichische Innenministerium wollte damals die Vorwürfe nicht kommentieren.

Maja T. will sich zu den juristischen Vorwürfen nicht äussern, erklärte aber, nach wie vor auf ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland zu hoffen. Weitaus mehr Auskunft gab Maja T. über ihre Haftbedingungen: «Die Versorgung mit Lebensmitteln ist mangelhaft. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken.»

Ausserdem berichtete Maja T. über die konstante Überwachung und besondere Sicherheitsmassnahmen: «In meiner Zelle ist eine Videokamera, die ununterbrochen angeschaltet ist. Zudem musste ich mich eigentlich jeden Tag komplett vor Beamten entkleiden, also Intimdurchsuchung, obwohl ich zu niemand anders physischen Kontakt habe.»

Daran hat sich laut Wolfram Jarosch bislang nichts geändert: «Mein Kind wird da kaputtgemacht.» Jarosch vermutet, dass mit der harten Behandlung ein Geständnis sowie weitere Informationen gegen andere Beschuldigte aus Maja T. gepresst werden sollen. Belegen kann er das nicht. Sven Richwin, einer von Maja T.s Anwält:innen, sagt gegenüber der WOZ: «Maja befindet sich jetzt fast ein Jahr in Untersuchungshaft und seit mehreren Monaten in einer kameraüberwachten Isolationshaft in Budapest.» Ende Oktober hätten die ungarischen Behörden die Haft unter diesen Bedingungen um zwei Monate verlängert, ohne einen Gerichtstermin festzusetzen. «Die Perspektivlosigkeit dieser Kerkerhaft ohne Urteil kann nur als Willkür bezeichnet werden.»

Hanna aus Nürnberg

Inzwischen hat die deutsche Bundesanwaltschaft Anklage gegen eine weitere Beschuldigte des Budapest-Komplexes erhoben: Hanna S. aus Nürnberg. Sie befindet sich seit ihrer Festnahme im Mai in Nürnberg in Untersuchungshaft. Die Anklage lautet in ihrem Fall neben Mitgliedschaft in einer «linksextremen kriminellen Vereinigung» und gefährlicher Körperverletzung auch auf versuchten Mord. Laut Bundesanwaltschaft habe die in ihrem Fall geschädigte Person erhebliche Kopfwunden erlitten, die zum Tod hätten führen können.

Ob das Oberlandesgericht München die Mordanklage zulässt, bleibt abzuwarten. Den Verteidiger:innen der beiden Antifaschist:innen wurden bislang nur Bruchteile der vorhandenen Akten zur Verfügung gestellt. Interessanterweise haben die ungarischen Behörden aber für Hanna S. bislang kein Auslieferungsersuchen gestellt. Und Jarosch will gemeinsam mit den Anwält:innen weiter gegen die Haft von Maja T. und ihre Umstände vorgehen.