Anti-Antifaschismus: Ein Exempel statuieren
Trotz Untersagung durch das Bundesverfassungsgericht wurde die Antifaschist:in Maja T. am Wochenende von Deutschland nach Ungarn ausgeliefert.
Das rechtsextrem regierte Italien scheint am Ende mehr Rechtsstaat zu sein als Deutschland: Das war die Erkenntnis von letztem Freitag. Am Abend zuvor hatte das Berliner Oberlandesgericht eine Auslieferung von Antifaschist:in Maja T. nach Ungarn für zulässig erklärt. T. wird vorgeworfen, im Februar 2023 mehrere Nazis in Budapest körperlich angegriffen zu haben. Für die nonbinäre Person kommt die Auslieferung einer Katastrophe gleich, hat doch die ungarische Regierung unter Premier Viktor Orbán in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe queerfeindlicher Gesetze auf den Weg gebracht. Mehrfach haben EU-Kommission und -Mitgliedsländer das zentraleuropäische Land dafür verklagt. Die mangelhaften Rechte von LGBTIQ+-Personen spiegeln sich in der Justiz und damit zwangsläufig auch in den Haftanstalten wider.
Noch im Mai hatte das Oberlandesgericht festgestellt, dass die ungarische Regierung als «gender-, homo- und transfeindlich» bezeichnet werden muss. Für eine Auslieferung sah es jedoch keine rechtlichen Hindernisse. Schliesslich erfolgte letzte Woche das Go.
Ein italienisches Berufungsgericht hatte Mitte Februar in einem vergleichbaren Fall anders entschieden: Aufgrund der drakonischen Haftandrohung von sechzehn Jahren hielt es eine Auslieferung des 23-jährigen Gabriele M., der ebenfalls an den Angriffen auf die Neonazis beteiligt gewesen sein soll, für unverhältnismässig. Ungarn habe keine ausreichenden Garantien für die Achtung der Menschenrechte im Gefängnis gegeben, hielt das Gericht fest.
Mehr Verachtung geht nicht
Dass die Strafverteidiger von T. vor diesem Hintergrund eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht anschoben, konnte niemanden überraschen. Auch nicht die Beamten des sächsischen Landeskriminalamts, die in der Nacht auf Freitag alle Hebel in Bewegung setzten, um die Auslieferung unverzüglich umzusetzen – und das, obwohl die Entscheidung über einen Eilantrag beim obersten Gericht noch ausstand.
Am Freitagmorgen um 10.50 Uhr entschied dieses, dass Maja T. nicht ausgeliefert werden dürfe. Zu spät: T. war bereits gegen 10 Uhr an der österreichischen Grenze den ungarischen Behörden übergeben worden. Das Bundesverfassungsgericht forderte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft zwar noch auf, eine Rückführung nach Deutschland zu erwirken. Diese aber stellte auf Durchzug: Für sie habe sich die Anordnung des Gerichts «erledigt», ein Auftrag, die Rückführung aus Ungarn zu veranlassen, sei der einstweiligen Verfügung nicht zu entnehmen. «Wir prüfen derzeit verschiedene juristische Möglichkeiten. Letztlich bleibt aber das Problem der tatsächlichen Durchsetzung von hiesigen Rechtsansprüchen in Ungarn», erklärt Sven Richwin, einer der Strafverteidiger von Maja T.
Interessant hierfür dürfte eine weitere Aussage der Berliner Generalstaatsanwaltschaft werden: Sie hatte mitgeteilt, dass die «Übergabe» nicht mehr habe «verhindert» werden können. Ein kürzlich in sozialen Medien veröffentlichtes Video stellt diese Version allerdings infrage. Zu sehen ist dort, wie Personen in Uniform mit der deutschen Aufschrift «Polizei» Maja T. an ungarische Beamte übergeben. Ein Abgleich der Schrift lässt vermuten, dass es die deutsche Polizei war, die T. an Ungarn übergab. Davon gehen auch T.s Strafverteidiger aus. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, stünde fest: Mehr Verachtung gegenüber dem höchsten deutschen Gericht, mehr Verfolgungslust gegenüber Antifaschist:innen geht nicht.
Zu Geständnissen anregen
«Leider ist genau das erreicht worden, was wohl auch das Ziel der nächtlichen Massnahme war: Ein effektiver Rechtsschutz wurde verhindert», sagt Anwalt Sven Richwin. Umso bitterer sei dies, weil der Rechtsschutz ja sogar gegriffen hätte. «Offenbar soll an Maja ein Exempel statuiert werden, um weitere in dem Komplex gesuchte Personen zu Geständnissen zu bewegen, um einer Auslieferung zu entgehen.» Am Montag konnte Richwin kaum etwas zu T.s Verfassung und den Haftbedingungen sagen. T. befinde sich in einem Gefängnis in Budapest, «den Angaben des dortigen Anwalts zufolge wirkte Maja bei der ersten Vorführung gefasst».