Antifa in Budapest: Ein verhängnisvolles Geständnis?

Nr. 6 –

Was als unspektakuläre Vorverhandlung vor dem Bezirksgericht Budapest geplant war, endete mit grosser Empörung in Italien und einem unerwarteten Schuldbekenntnis eines der angeklagten Antifaschist:innen.

Ilaria S. am 29. Januar vor Gericht in Budapest
Mehr als ein halbes Jahr ohne Kontakt mit der Familie: Ilaria S. am 29. Januar vor Gericht in Budapest. Foto: Zsofia Szollar, Reuters

Bei der Vorverhandlung im Verfahren gegen die drei Antifaschist:innen Ilaria S. aus Italien sowie Tobias E. und Anna M. aus Deutschland zeigte der rechtsautoritäre ungarische Staat, wie es aussieht, wenn eine Justiz in Richtung Mittelalter äugt: Ilaria S. wurde zum Prozessauftakt am 29. Januar in Ketten in den Gerichtssaal geführt, eskortiert von Beamten in Tarnanzügen und Sturmhauben.

Die Bilder der 39-Jährigen in Fesseln lösten in Italien öffentliche Entrüstung aus und schlugen auch auf diplomatischer Ebene so hohe Wogen, dass sich die ihrerseits postfaschistische italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in einem Gespräch mit ihrem Kollegen Viktor Orbán für eine menschenwürdige Behandlung der Gefangenen S. einsetzte. Der italienische Aussenminister Antonio Tajani bestellte den ungarischen Botschafter ein, und auch Justizminister Carlo Nordio forderte Ungarn auf, die Rechte von S. zu wahren und die Haftbedingungen zu überprüfen. Einen Antrag von S.’ Anwälten und ihrem Vater, sie in den Hausarrest nach Italien zu verlegen, wollten die Minister jedoch nicht unterstützen. Mit einer Onlinepetition verlangen inzwischen 130 000 Unterzeichner:innen, die italienische Staatsbürgerin nach Hause zu holen.

Unmenschliche Haftbedingungen

Vorgeworfen werden Ilaria S. «schwere und lebensgefährliche Körperverletzung» sowie Mitgliedschaft in einer internationalen kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit mehreren Angriffen von Antifaschist:innen auf Neonazis während des sogenannten «Tages der Ehre» 2023 in Budapest. In der Vorverhandlung hatte die Staatsanwaltschaft elf Jahre Haft für die Italienerin gefordert, sollte sie sich schuldig bekennen. S. plädierte jedoch in beiden Anklagepunkten auf «nicht schuldig».

Inzwischen erwägen die Anwälte der Antifaschistin eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie werfen Ungarn vor, gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verstossen, der Menschen vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe schützt.

Bereits im Vorfeld der Verhandlung hatte ein achtzehnseitiger Brief der Gefangenen für Schlagzeilen gesorgt. Darin schilderte die 39-jährige Grundschullehrerin die schrecklichen Haftbedingungen in Ungarn und berichtete von Bettwanzen, Kakerlaken und Mäusen in den Zellen und Gängen (siehe WOZ Nr. 2/24). Ausserdem klagte S. über Unterernährung und darüber, dass sie mehr als sechs Monate lang keinen Kontakt zu ihrer Familie haben durfte.

Auch die aus Deutschland stammende Mitangeklagte Anna M. bekannte sich nicht schuldig. Anders Tobias E.: Er gab vor Gericht zu, Mitglied der kriminellen Vereinigung gewesen zu sein, und akzeptierte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Eine Überraschung – besonders vor dem Hintergrund der Einschätzung mehrerer Rechtsanwält:innen der im Budapester Verfahren beschuldigten Personen.

Dürftige Beweislast

In einer zwei Tage vor Prozessbeginn veröffentlichten Presseerklärung von Anwält:innen der Beschuldigten hiess es: «Konkrete Beweise für die Begehung der vorgeworfenen Taten durch eine kriminelle Vereinigung wurden bislang nicht vorgelegt, obwohl der erste Prozess in Ungarn bereits Ende Januar beginnen soll. Die mageren Ermittlungsergebnisse, die der Verteidigung der Beschuldigten vorgelegt wurden, geben wenig her.»

Wie es in Anbetracht dessen zum überraschenden Schuldbekenntnis von E. kam, ist ebenso unklar wie die Auswirkung des Geständnisses, das im Prinzip die Existenz einer «kriminellen Vereinigung» bestätigt, auf den weiteren Prozessverlauf. Denkbar wäre, dass E. nach einer rechtskräftigen Verurteilung als Zeuge geladen wird, um gegen andere Angeklagte auszusagen.

Fraglich ist auch, inwieweit die Verurteilung von Tobias E. in Ungarn Auswirkungen auf das Spiegelverfahren in Deutschland haben wird, in dem bereits ermittelt wird. Denn die Europäische Grundrechtecharta verbietet die Doppelbestrafung: Ist jemand wegen einer Straftat in der Europäischen Union bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden, darf er wegen derselben Tat in einem anderen Staat nicht erneut verfolgt werden. Das Verfahren gegen E. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung müsste daher in Deutschland eingestellt werden. Das Hauptverfahren gegen Ilaria S. und Anna M. in Budapest soll am 24. Mai beginnen.

Unterdessen warten die weiteren im selben Fall Angeschuldigten, Maja T. in Dresden und Gabriele M. in Mailand, auf die Entscheidung über ihre Auslieferung nach Ungarn. Eine Anhörung in Mailand soll am 13. Februar stattfinden. Für T.s Auslieferung könnte das deutsche Spiegelverfahren entscheidend sein, denn die Behörden könnten eine Auslieferung damit begründet ablehnen. Darauf hoffen die Eltern der Beschuldigten. In einer Petition gegen die Auslieferung schreiben sie: «Als Eltern der Betroffenen machen wir uns grosse Sorgen wegen der physischen und psychischen Folgen, die eine Auslieferung für unsere Kinder hätte.» Sie fordern eine Rücküberstellung der in Ungarn Inhaftierten in ihre Heimatländer sowie ein faires Verfahren in Deutschland.