Gegen die AfD: Mit Beharrlichkeit und Solidarität
Nach dem Publikwerden rechter Deportationspläne demonstrieren in Deutschland Zehntausende gegen Rechtsextremismus. Aber der Zustand im Land ist bedrohlich.
Das «Unwort des Jahres» 2023 lautet «Remigration». Es sei ein rechter Kampfbegriff, begründete die Jury am Montag ihre Wahl – und griff damit eine hochaktuelle Debatte auf. Letzte Woche veröffentlichte das Investigativportal «Correctiv» eine Recherche, die die grausame Menschenfeindlichkeit der Rechten offenbart. Bei einem Geheimtreffen im November – nur acht Kilometer vom Ort der Wannseekonferenz in Potsdam entfernt, an der die Nationalsozialist:innen 1942 die Vernichtung der elf Millionen Jüd:innen in Europa planten – diskutierten AfD-Politiker:innen, Neonazis, potenzielle Geldgeber und CDU-Mitglieder über Pläne, Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu vertreiben.
Unterschriften gegen Höcke
Seither ist der Ruf nach einem AfD-Verbot wieder lauter geworden. Rechtsexpert:innen wie die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff halten ein solches indes für unwahrscheinlich. Ein «Remigrationsplan» genügt laut Lübbe-Wolff dafür nicht. Sie hält Verfahren gegen einzelne Akteur:innen für wirksamer. Ein weiteres Instrument wäre Artikel 18 des Grundgesetzes: Wer Grundrechte «zum Kampfe gegen die demokratische Grundordnung missbraucht», dem können sie entzogen werden. Auf der Plattform Campact gibt es dazu bereits eine Petition, die in Bezug auf Björn Höcke, den Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, mehr als eine Million Unterschriften gesammelt hat.
Weiterhin ist die politische Konstellation heikel. Sollten die Verfassungsrichter:innen ein Verfahren gegen die AfD ablehnen, wäre das ein riesiger PR-Erfolg für die in weiten Teilen erwiesen rechtsextremistische Partei. Doch auch ein Verfahren birgt Risiken: Bei einem Verbot könnte sich die AfD als Märtyrerin inszenieren; bei einem Sieg wäre der Triumph der Rechten umso grösser. 2017 lehnte das Verfassungsgericht ein Verbot der NPD ab: Die Partei verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, sei jedoch zu unbedeutend, um diese zu erreichen.
Die AfD befindet sich im Umfragehoch und rangiert auf Bundesebene bei bis zu 24 Prozent. In diesem Superwahljahr – mit den Europa-, den neun Kommunal- und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – droht ein weiterer Rechtsruck. Im Osten liegt die AfD auf Länderebene bei über 30 Prozent. Ein Verbotsverfahren oder ein richterliches Verbot würde weder die ideologischen Rechten noch die Protestwähler:innen umstimmen. So wird klar: Die Weichen für diese beklemmende politische Gegenwart wurden schon vor langem gestellt. Ignoranz gegenüber Rechtsextremist:innen hat in Deutschland durchaus Tradition: Einem Staat, der beim NSU-Komplex jahrelang weggeschaut hat, einer Politik, die den extrem rechten Hans-Georg Maassen als Verfassungsschutzpräsident ermöglichte, ist mit Misstrauen zu begegnen. Es reicht nicht, über die Deportationsfantasien entsetzt zu sein. Jetzt muss sich die Mehrheit innerhalb und ausserhalb der Parlamente bewegen und beharrlich die Normalisierung von rechts verhindern.
«Deutsche Realitätsflucht»
Immerhin demonstrieren nun Zehntausende gegen die AfD. In Potsdam marschierten Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gegen die Partei. Dabei ist es Teil des Problems, dass die Regierungskoalition durchaus die Anschlussfähigkeit nach rechts sucht. Nächste Woche kommt das neue Abschiebegesetz der Ampel in den Bundestag; es wird eine harte Wende einläuten. Auf Migrant:innen und Linke kommen beängstigende Zeiten zu. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hetzte noch am Montag gegen Geflüchtete und Klimaaktivist:innen.
«Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um blosse Meinungen», hatte die Philosophin Hannah Arendt einst gewarnt. Nicht sehen zu wollen, was mit «Remigration» gemeint ist, lässt sich mit Realitätsflucht kaum erklären.