Protest gegen rechts: «Wir bleiben erst recht!»
«Wann gehe ich?» ist eine Frage, die aktuell vielen migrantischen Menschen durch den Kopf geht. Wann ist es Zeit, zu gehen?
Inzwischen liegen die «Correctiv»-Enthüllungen zwei Wochen zurück: Das Investigativportal hatte ein geheimes Treffen in Potsdam publik gemacht, an dem AfD-Politiker:innen, Neonazis, potenzielle Geldgeber und CDU-Mitglieder die Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland planten. Seitdem geht eine Schockwelle durch das Land: Insgesamt etwa eine Million Menschen demonstrierten am Wochenende in rund hundert Städten gegen die rechte Bedrohung.
Für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung dürften die Recherchen von «Correctiv» nicht sehr überraschend sein. Den Rechtsruck bekommen sie seit Jahren zu spüren. Und dass Deutsch- oder Schweizerin-Sein in weiten Teilen der Bevölkerung völkisch-rassisch verstanden wird und Pass oder Uniabschluss nur bedingt Akzeptanz und Sicherheit garantieren, ist vielen migrantisch gelesenen Menschen schon lange klar. Was aber neu Angst macht, ist, mit welcher Selbstverständlichkeit rechtsextreme Ideen diskutiert und Unwörter wie «Remigration» verwendet werden.
Auch in der Schweiz. So verbreitete das «Aktionsbündnis Urkantone», das gegen ein Asylzentrum in Arth-Goldau kämpft, Anfang Januar ein Video, in dem es eine Politik der «Remigration» fordert. Im Video zu sehen: Patrick Aschwanden, Präsident der SVP von Lauerz. Und erst vor wenigen Tagen forderte Claudio Zanetti, ehemaliger SVP-Nationalrat, auf der Plattform X: «Remigration jetzt!».
«So wird unser Leben in Nordafrika aussehen, nachdem die AfD uns alle abgeschoben hat», lautet die Überschrift eines Tiktok-Videos, das als pittoresken Zusammenschnitt Sandstrände, marokkanische Märkte und feine maghrebinische Gerichte zeigt. Solche Videos der migrantischen Community dürfen als Bewältigungsstrategie verstanden werden – mit satirischem Humor in den sozialen Medien wird versucht, die «Correctiv»-Enthüllungen zu verarbeiten. Trotzdem: Hinter dem Witz steckt die reale Angst vor einer Zukunft in Europa.
Es ist diese Angst, die bei vielen jungen Menschen eine «Fuck you»-Attitüde auslöst: «Ihr wollt uns deportieren? Pech gehabt, wir gehen selbst und bauen uns anderswo eine schöne Zukunft auf.» Doch würde ein wirkliches «Fuck you» nicht bedeuten: «Wir bleiben erst recht!» Über eine Auswanderung nachzudenken, ist zunächst einmal eine Frage von Privilegien. Sans-Papiers, ärmere Migrant:innen oder Geflüchtete können sich diese Überlegungen gar nicht erst erlauben. Darüber hinaus sind solche Pläne aber Ausdruck von Resignation – es kann nicht sein, dass gerade diejenigen mit Migrationsgeschichte aufgeben, die womöglich am ehesten die Kraft hätten, sich der erstarkenden Rechten entgegenzustellen.
Vor allem aber darf es nicht sein, dass überhaupt so viele schweigen. Die Rechten treffen sich nicht nur im Geheimen wie in Potsdam. Die menschenverachtenden Positionen der AfD sind bekannt. Auch in der Schweiz gelten rechtsnationale Vorstellungen weitherum längst als normal. Die SVP, seit zwanzig Jahren wählerstärkste Partei, arbeitet kontinuierlich daran, sie gesellschaftsfähig zu machen. Von der Debatte in Deutschland fühlen sich einige ihrer Exponenten nun offenbar dazu beflügelt, rechtsradikale Ideen offen hinauszuposaunen.
Die derzeitigen Massenproteste in Deutschland sind ein gewaltiges Zeichen – und ein erster Schritt in die richtige Richtung. Das braucht es auch in der Schweiz: Es braucht vehementen öffentlichen Protest, wenn rechtsextreme Gruppen Präsenz markieren, es braucht eine Mobilisierung im grossen Stil gegen die Normalisierung von rechter Hetze gegen Muslim:innen, Geflüchtete und queere Personen. Es braucht Mut, das Schweigen zu brechen und sich zu organisieren.
Das Potenzial ist da. Im Sommer 2020 demonstrierten während der «Black Lives Matter»-Proteste auch in der Schweiz Tausende gegen Rassismus. Jetzt politisch aktiv zu werden, ist ein Muss. Oder wie es die US-amerikanische Philosophin Angela Davis formuliert: In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht aus, nicht rassistisch zu sein. Wir müssen antirassistisch sein.
Kommentare
Kommentar von felix.schweiter
Fr., 26.01.2024 - 00:44
Das Schweigen in der Schweiz, zäh wie kaltes Fondue, das bauernschlaue Abwarten, ob man womöglich noch irgendwo profitieren könnte, um dann wieder einmal die Hände in Unschuld zu waschen: „Ja wir haben da nicht mitgemacht.“ Dieser schweizerische Sonderweg, der Zusammenarbeit mit und Zustimmung zu faschistischen Kräften als Neutralität verkauft: Das sind die 40% Wähleranteil von SVP und FdP.
Kommentar von kusto
Fr., 26.01.2024 - 15:11
Seit Jahrzehnten rutschen unsere politischen Parteien scheibchenweise nach rechts und mit dem Russland Putin's haben wir wieder "einen Feind", der unsere demokratische Grundordnung bedroht und damit einen Grund "die beste Armee der Welt" noch mehr auszurüsten. Frau Amherd kann seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine vom Parlament verlangen was sie will. Meist packen die Bürgerlichen noch einen drauf... Die Freiheitstrychler freuts und die Waffenlobby frohlockt. Wo bleibt unsere Linke?
Kommentar von Herklotz
Fr., 26.01.2024 - 16:37
Es ist wichtig auch im kleinen Rahmen durch eine klare Stellungsnahme den rechtsbraunen Ansichten Paroli zu bieten. Es gibt leider zu viele die einfach schweigen. Nur denken reicht nicht.