Von oben herab: Berner Burger

Nr. 3 –

Stefan Gärtner beisst in den Stadtadel

Mein aufmerksames Publikum wird sich erinnern, dass mich neulich erst der Zufall darüber belehrte, dass ich seit dreissig Jahren das Wort «sakrosankt» falsch geschrieben hatte, nämlich ohne das zweite k, was mir immer noch seltsam vorkommt. Also nicht der Fehler als solcher – ich habe im Leben derart viel derart schlimm verbockt, dass mich da nicht mehr viel überrascht –; aber dass dieses zweite k, das aus einem schönen Wort, das hart beginnt und samtweich endet (so wie das Leben, ist es ein schönes und rundes, eben auch), eins macht, dessen hartes Ende den harten Anfang beglaubigt, das mag der Calvinismus gut finden, mich irritiert es.

Was ich sagen will: Mein fehlerhafter Nach- als Eigenbau gefällt mir besser als das lateinische Original, was aber, wie ich sehr wohl weiss, bloss die Gewohnheit ist. Weil ich es so und nicht anders gewohnt bin, finde ich es plausibel, und was ich plausibel finde, finde ich schön. Deshalb bin ich im Grund meines Herzens so wie alle andern, die den Fortschritt dadurch aufhalten, dass sie keine Lust haben, sich an was Neues zu gewöhnen.

Um zu beweisen, dass es auch anders geht, könnte ich jetzt den Versuch unternehmen, den folgenden Absatz (aus der «Süddeutschen Zeitung») so zu lesen, wie er gemeint ist; ich nehme aber vorweg, dass es nicht geht: «Die Berner Burger sind so etwas wie die Freimaurer der Stadt, eine Art Geheimgesellschaft, der mehr als 18 000 Menschen angehören. Ein geübtes Auge kann das Burger-Wappen überall entdecken: an Museumstüren, ­Bibliothekseingängen, Veranstaltungssälen. Es erinnert die knapp 150 000 Berner praktisch auf Schritt und Tritt daran, dass es neben ihrer normalen Stadtverwaltung noch eine andere, heimliche Macht in dieser Stadt gibt», nämlich, hahaha, McDonald’s! Denn mein geübtes Auge hat nicht dreissig und mehr Jahre lang das Wort «Burger» gelesen und dem gängigen Sinn nach verstanden, um jetzt etwas völlig anderes darunter zu verstehen: «Die Berner Burgergemeinde gehört zu den reichsten des Landes. […] Eine Historikerin, die die Geschichte der Burger erforscht hat, sagte vor einigen Jahren in einem Interview: ‹In Bern weiss man intuitiv, was den Burgern gefällt und was nicht, und man verhält sich dementsprechend.›»

Und also weiss ich (obwohl ich es ja jetzt besser weiss) intuitiv genauso, was den Burgern gefällt und was nicht, und verhalte mich gleichfalls dementsprechend: Ich gebe einen handtellergrossen Fladen aus Pflanzenprotein in eine mit Raps- oder Sonnenblumenöl ausgelegte Pfanne, lasse ihn bei erst grosser, dann mittlerer Hitze für fünf oder sieben Minuten drin, wende ihn und stecke ihn zwischen zwei Brötchenhälften, mit Senf, Ketchup, Zwiebeln, Tomaten und Gürkchen; und falls eine Scheibe Berner Käse den Burger zum Berner Burger macht, ist es mir auch sehr recht, gehöre ich doch seit Kindertagen zur deutschen Burgergemeinde, deren Einfluss auch in Deutschland sehr gross ist, auch wenn ihr Reichtum überschaubar sein mag. Was den Burgern, fragt man mich, dagegen nicht gefällt, ist, den Fladen durch einen Gemüsebratling oder, noch ärger, Auberginen zu ersetzen. Wo es doch heutzutage so guten Hackfleischersatz gibt!

In Bern, auch das weiss die Korrespondentin der «SZ» besser als ich, trägt die lokale Burgerinstitution nicht den Namen «Hans im Glück», sondern «Naturhistorisches Museum», und der Tierpark wird «unterstützt von Burger-Geld», was Vegetariern oder gar Veganerinnen zynisch vorkommen muss. Dass die linke Mehrheit der Berner Stadtregierung jetzt «ein Ende der Burgergemeinde in ihrer heutigen Form» (watson.de) anstrebt, wird indes zumal den Berner Stadtpräsidenten und Edelburger Alec von Graffenried bekümmern, ist er doch sozusagen Burger King; während die legendäre DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933–1973) sogar eine Burgerin (vgl. Wikipedia) war. Und das als Sozialistin.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»).

An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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