Von oben herab: Krankheit zum Tode

Nr. 33 –

Stefan Gärtner über den «Tesla der Sterbehilfe»

Meine Schreibtischschubladen klemmen, und vor unserem Urlaub hat ein Schreiner sich das angeschaut und gesagt, er kümmert sich, aber erst nach wiederum seinem Urlaub. Deshalb sitze ich hier zwischen den bereits ausgebauten Schubladen, die ich nächste Woche werde ausräumen müssen – oder werde ausräumen dürfen, das ist Geschmackssache.

Das Leben besteht nämlich aus Krempel, und eine Kindersendung wusste zuletzt, der Mensch besitze im Schnitt 15 000 Dinge. Ein Gutteil meiner 15 000 Dinge befindet sich in meinen Schubladen: alte Briefe, abgelaufene Reisepässe, defekte Uhren und peinliche Tagebücher; Tintenfässer, Tonabnehmer, Aufladegeräte unklarer Zugehörigkeit und Formulare für die Reisekostenabrechnung. Kaputte Schreibtischschubladen sind natürlich ein schöner Anlass, hier einmal für Remedur zu sorgen, nicht dass ich irgendwann sterbe und meinen Kindern das unfassbare Ausmass von Krempel hinterlasse, das ich in den Schränken meiner Eltern selig gefunden habe.

Gern denke ich hier an die Reportage aus dem Magazin der «Süddeutschen» zurück, die von zwei Alten handelte, die beschlossen hatten, es reiche nun, und einem Sterbehilfeverein beigetreten waren. Es gab dann natürlich ein Datum, an dem die Dame mit dem Suizidkoffer klingeln würde, und diesen Tag im Auge, räumten die zwei ihr Leben auf, entsorgten alte Briefe, abgelaufene Reisepässe, defekte Uhren und Aufladegeräte unklarer Zugehörigkeit. Als die Dame dann kam, war nichts mehr da, und die beiden gingen so nackt, wie sie gekommen waren. Ich fand das auf rührende Weise plausibel, und sollte ich Sterbehilfe je für pauschal unseriös gehalten haben, tu ichs jetzt nicht mehr.

Ich schreibe «pauschal», denn in der Schweiz gibt es neuerdings Streit über ein neues Sterbehilfegerät, das sein Erfinder als «Tesla der Sterbehilfe» anpreist: eine blaue Kapsel, die aussieht wie eins dieser Fahrgeschäfte, wie sie vor Supermärkten auf kleine Kundschaft warten, und die Idee ist, man legt sich hinein, drückt einen Knopf und schläft unter Stickstoffzufuhr schmerzlos ein. Schon das ist, weiss der «Tagi», «medizinisch umstritten», und die Sterbehilfeorganisation Exit bemängelt, dass ärztliche Begleitung «soweit wie möglich aus dem Spiel» genommen werde. Der Kantonsarzt des Wallis, wo das Gerät, nun ja, Premiere haben sollte, hat den Todes-Tesla fürs Erste untersagt.

Das von Vereinen wie Exit oder Dignitas verwendete Verfahren mit Natrium-Pentobarbital ist eigentlich ein bewährtes, und wenn es da nun plötzlich eine futuristische Sterbekapsel mit Selbstbedienungsappeal braucht, dann darum, weil Fortschritt ist, wenn Technik cleane Autonomie suggeriert. Den Jüngsten haben wir dazu verdonnert, statt des ewigen, kritiklose Technophilie in die jungen Hirne senkenden «Paw Patrol» mal wieder «Meister Eder und sein Pumuckl» zu sehen, und auch als erklärter Fan angelsächsischer Popkultur finde ich, dass das, anders als Hunde mit Düsenantrieb, immer noch ein Standard gelungenen Kinderfernsehens ist.

«Aber die Sehgewohnheiten haben sich nun einmal verändert!», findet da bestimmt ein kluger Mensch, doch ich bin sogar noch klüger und frage, ob nicht umgekehrt das laute, bunte «Paw Patrol» die Sehgewohnheiten geändert hat. Ich mache mir allerdings auch einen Spass daraus, beim je neusten Versuch, Auschwitz respektvoll einem Kinopublikum anzudienen, bei Youtube den fast fünfzig Jahre alten Film «Aus einem deutschen Leben» aufzurufen, der auf den Erinnerungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss basiert und neunmalkluge Krämpfe wie «The Zone of Interest» prätentionsfrei hinter sich lässt. Früher war mehr Lametta, ich weiss; aber dass unser atemberaubender Kapitalismus jetzt sogar den Tod zu einer Frage cooler One-Touch-Technik machen will, scheint mir nicht nur über «Paw Patrol» alles mitzuteilen.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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