Friedensgipfel in der Schweiz: Um seiner selbst willen

Nr. 4 –

Die ukrainische Regierung konnte am Wef in Davos mit ihrer Friedensformel punkten. Doch was kann die in der Schweiz geplante Konferenz tatsächlich bewirken?

Der Start ins neue Jahr war für die Ukraine erwartungsgemäss schwierig. Neben mehreren heftigen Luftangriffen auf das ukrainische Hinterland setzt die russische Armee ihre Offensiven auf die Städte Awdijiwka in der Region Donezk und Kupjansk im Bezirk Charkiw fort. Strategische Erfolge kann Russland dabei aber weiterhin nicht erzielen.

An der diplomatischen Front feierte die Ukraine nun jüngst einen Achtungserfolg: Am Rand des Weltwirtschaftsforums (Wef) in Davos fand das bisher grösste Treffen politischer Berater:innen von Staats- und Regierungschef:innen statt – um die Friedensformel des Präsidenten Wolodimir Selenski zu besprechen. Wenn auch China, an dessen Teilnahme die ukrainische Regierung besonders interessiert zu sein scheint, genauso wie bei zwei der drei vorherigen Treffen fehlte, haben sich doch Vertreter:innen von 83 Staaten in Davos versammelt. Letztlich hat sich die Schweiz bereit erklärt, einen Friedensgipfel auf der höchsten Ebene zu organisieren. Einen Termin dafür gibt es bisher nicht.

Frieden in weiter Ferne

Dass Selenskis aus zehn Punkten bestehende Formel tatsächlich irgendwann als Grundlage für einen Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland dienen könnte, ist äusserst unwahrscheinlich. Die Formel sieht de facto den vollständigen Abzug der russischen Truppen, die Bestrafung der russischen Führung für den Angriffskrieg und die Zahlung von Reparationen vor – Bedingungen, auf die sich der Kreml höchstens im Fall einer kompletten Niederlage einlassen müsste. Auch darüber hinaus liegt ein prinzipieller Friedensdeal, der nicht nur die Bedingungen eines temporären Waffenstillstands festlegt, nahezu ausserhalb der Vorstellungskraft. Selbst in ferner Zukunft.

Denn sowohl die ukrainische als auch die russische Verfassung beanspruchen die gleichen sechs ukrainischen Gebiete für sich – die Ukraine zu Recht, Russland nicht. Der Ausschluss dieser sechs Regionen aus der russischen Verfassung dürfte sich aber praktisch – selbst in der Zeit nach Wladimir Putin – als schwierig erweisen. Dass die Ukraine keines ihrer Gebiete offiziell für russisch erklären wird, ist selbstverständlich.

Was könnte die Friedensformel dennoch bewirken? Ihre Bedeutung darf in der Praxis weder über- noch unterschätzt werden. «Wenn wir unsere Friedensformel nicht fördern, wird uns eine fremde Formel aufgezwungen, die für uns kaum akzeptabel wäre», formuliert es der prominente Kyjiwer Politikwissenschaftler Wolodimir Fesenko vom Zentrum für angewandte politische Forschung Penta. Dabei geht es aus ukrainischer Sicht darum, die Erzählung von einem gerechten Frieden gemäss Völkerrecht zu kontrollieren und weniger Raum für die – ebenfalls unrealistischen – Forderungen für einen Verhandlungsfrieden zu lassen, während Russland sein Militärbudget aktuell enorm erhöht und von seinen Maximalforderungen nicht ablässt.

Globalere Fragen im Blick

«Die Friedensformel ist unsere strategische Position, die sich nicht allein auf die aktuelle Situation beschränkt», schreibt Fesenko auf Facebook. «Möglicherweise werden wir uns nicht auf ein Kriegsende einigen, das unseren Vorstellungen vollständig entspricht. Wir werden aber langfristig die in der Formel vorgeschriebenen strategischen Ziele nicht aufgeben.» Rund die Hälfte der zehn Punkte, die das Papier vorsieht, bezieht sich weniger auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern nimmt globalere Fragen in den Blick: Der Fokus etwa auf Lebensmittel-, Energie- und Nuklearsicherheit ist der klare Versuch, eine gemeinsame Sprache mit vergleichsweise neutralen Ländern des sogenannten Globalen Südens sowie vor allem mit China zu finden.

Hier sind die Erfolgsaussichten jedoch nicht besonders gut: Auch bei den Gesprächen in Davos wurde wieder deutlich, dass die meisten dieser Länder vor allem an der schnellstmöglichen Einstellung der Kampfhandlungen und weniger an der Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sowie des Völkerrechts interessiert sind. Die ständigen Versuche, China von der eigenen Position zu überzeugen, werden von manchen Kyjiwer Kommentator:innen wie dem einflussreichen Publizisten Witali Portnikow gar als «Zeitverschwendung» bezeichnet. In der Tat dürfte die chinesische Regierung mit den seit Februar 2022 gestiegenen Exporten nach Russland durchaus zufrieden sein. Die einzige ernsthafte Besorgnis Chinas ist wohl die Möglichkeit eines russischen Einsatzes von taktischen Atomwaffen, doch diese ist im Moment gering.

Die Chancen auf einen baldigen Gipfel stehen insgesamt aber nicht schlecht. Es würde allerdings vor allem ein Friedensgipfel zwecks der Austragung eines Friedensgipfels sein. Viel mehr als eine unverbindliche Erklärung ist kaum zu erwarten, falls sich die Länder des Globalen Südens darauf einlassen. Weil Russland wohl gar nicht in der Lage ist, einen derart breit angelegten Gipfel auf der Basis seiner Friedensbedingungen, nämlich der faktischen Kapitulation der Ukraine, zu organisieren, wäre nur schon der Fakt der Austragung für Selenskis Regierung ein diplomatischer Sieg.

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Kommentare

Kommentar von Igarulo

So., 28.01.2024 - 23:12

Es wäre ein Spiegelfechten und vor dem Spiegel Bundesrat Cassis mit der Hoffnung sein Spiegelbild möge strahlen bis ins Parlament als Beweis für sein Verbleiben im Bundesrat.