Weltgebetstag: Zensurvorwurf gegen die reformierte Kirche
Christliche Palästinenserinnen gestalten den Gottesdienst zum Weltgebetstag am 1. März. Aber ihre Texte sind Kirchen in der Schweiz und Deutschland zu heikel.
Alles wird politisch belastet, was vom Krieg in Nahost gestreift wird, sogar das Zuhören. Das erleben jetzt die Schweizer Landeskirchen.
Doch der Reihe nach. Am 1. März ist Ökumenischer Weltgebetstag (WGT), in über 150 Ländern kommen dann Angehörige aller christlichen Glaubensgemeinschaften zusammen. Entstanden ist der Gebetstag nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs. Die Organisation ist Frauen vorbehalten, und die Liturgie stammt immer von einem der angeschlossenen Landeskomitees. 2024 könnte die Auswahl des Fokuslandes je nach Sichtweise besser oder schlechter nicht sein: Diesmal kommt das Komitee aus Palästina.
Frauen, die der christlichen Minderheit unter den Palästinenser:innen angehören, haben den Gottesdienst gestaltet und in Videos, Geschichten oder Gebeten ihre Erfahrungen und ihre Hoffnungen festgehalten. Entstanden sind die Materialien lange vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Krieg in Gaza. Doch jetzt stellt sich die Frage: Geht das überhaupt noch?
«Gott des Friedens», heisst es in einem Gebet, das die palästinensischen Christinnen geschrieben haben, «wir beten für gemeinsame Anstrengungen für eine gerechte Lösung der anhaltenden Unterdrückung und für ein Ende der israelischen Besetzung».
Diese Passage ist der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) zu heikel. Sie hat eine «Handreichung» veröffentlicht, in der sie den Hinweis auf die Besetzung entfernt. Auch an anderen Textstellen greift sie ein, empfiehlt zudem, auf den Begriff «Nakba» zu verzichten, mit dem Palästinenser:innen an deren Vertreibung nach der Staatsgründung Israels erinnern. Der Begriff sei «politisch aufgeladen» und richte sich «teilweise explizit gegen die jüdische Bevölkerung und das Judentum insgesamt». Auch das Symbol des Schlüssels solle nicht verwendet werden, es steht für die ersehnte Rückkehr der 1948 vertriebenen Palästinenser:innen in ihre Häuser. Der Schlüssel habe aus israelischer Perspektive «etwas Bedrohliches», interpretieren die Reformierten.
Der Einfluss aus Deutschland
Das Vorgehen der reformierten Kirche sorgt intern für Kritik. «Die Stimme der palästinensischen Christinnen wird dem Narrativ Israels untergeordnet», beklagt etwa Samuel Jakob, Psychologe und langjähriger Mitarbeiter in der reformierten Kirche des Kantons Zürich. Jakob spricht von Zensur. Er vermisst auch eine klare Positionierung der evangelischen Landeskirche für ein Ende des Kriegs in Gaza. Entsprechende Mitteilungen sucht man auf der Seite der Kirche vergeblich. Jakob sagt: «Der EKS fehlt der Mut, eine eigene Position einzunehmen.»
Tatsächlich ist die Schweizer Debatte nur ein Ausläufer einer viel heftiger geführten Diskussion in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das räumt auch die EKS ein. Die Kommunikation der deutschen Kirche «hat Kirchgemeinden und Vorbereitungsgruppen verunsichert», erklärt die EKS der WOZ schriftlich. Man habe unbedingt verhindern wollen, «dass der WGT 2024 in Folge der aktuellen Lage abgesagt würde». In diesem Licht sei auch die besagte Handreichung zu verstehen. Man habe Vorschläge machen wollen, mit «minimalen Anpassungen» die Liturgie möglichst unangetastet zu lassen und zugleich «auf problematische Aspekte» hinzuweisen.
In Deutschland hat die Kirche stark in die Liturgie aus Palästina eingegriffen, nachdem es zu Vorwürfen über eine angeblich antisemitische Schlagseite des Weltgebetstags gekommen war. Namhafte Theologen schalteten sich ein und erklärten den Frauen, wie sie die Dinge zu verstehen hätten. Schliesslich wechselte die Kirche auch das Deckblatt des an die Basisgruppen verschickten Hefts aus, weil es von einer Künstlerin stammt, die sich nicht genügend von der Hamas distanziert haben soll. Die palästinensischen Christinnen beklagen nun «sinnentstellende Umstellungen» und fehlenden Respekt.
Simbabwe als Gegenbeispiel
Vroni Peterhans ist Präsidentin des Komitees, das den Weltgebetstag in der Schweiz organisiert. Sie ist Katholikin und sehr daran interessiert, dass es «jetzt zu keiner Schlammschlacht kommt». Aber sie sagt auch: «Leider haben einzelne Kirchen dem Druck nachgegeben.» Peterhans hat Mühe mit den Eingriffen. «Die Liturgie beim Weltgebetstag ist immer sehr subjektiv, immer geprägt von den Frauen und den politischen und kulturellen Herausforderungen ihres Heimatlands.» Als etwa Simbabwe 2020 den Gottesdienst gestaltet habe, sei es stark um die Kolonialgeschichte gegangen.
Peterhans sagt, sie spüre eine Verunsicherung bei der Basis. In vielen Kirchen stecke eine riesige Angst, politisch zu wirken – eine Folge der Debatten um die aktive Rolle der Kirche bei der Konzernverantwortungsinitiative. «Aber alles, was wir tun und eben auch nicht tun, ist politisch.» Sie sieht viele Missverständnisse, die ein offenes Gespräch über die Situation in Nahost erschweren: «Wir meinen, wir müssten uns klar auf eine Seite stellen. Aber beim Weltgebetstag geht es vor allem ums Zuhören.»
Die palästinensischen Frauen kündigten inzwischen eine Ergänzung der Liturgie an. Doch diese lässt auf sich warten. Sie hätten gehofft, erzählt Peterhans, dass es zu Friedensverhandlungen komme. Dann hätte es wenigstens etwas Hoffnung im Text gegeben.
Am Montag, 5. Februar 2024, findet in der Paulus Akademie in Zürich eine Podiumsdiskussion zum diesjährigen Weltgebetstag statt. Infos: www.paulusakademie.ch.
Nachtrag vom 15. Februar 2024 : Polizeieinsatz an der Paulus-Akademie
Als Csongor Kozma am vorletzten Montag nach Hause kam, fühlte er sich elend. Traurig sei er gewesen über die Vorkommnisse an der Zürcher Paulus-Akademie an diesem Abend, erzählt Kozma, Direktor ebendieser Institution. Traurig darüber, dass sich Leute einfach nicht an die Spielregeln des Dialogs hätten halten wollen. Und dass selbst die Forderung «Leben in Würde für alle in Israel und Palästina» auf zornige Ablehnung stosse. Was war passiert?
Die katholische, aber progressiv ausgerichtete Paulus-Akademie lässt regelmässig wichtige Zeitfragen an öffentlichen Veranstaltungen diskutieren. Vergangenen Montag ging es um den Krieg in Gaza, Initiativen für ein friedvolles Zusammenleben in Israel und Palästina im aktuellen Kontext von Terror und Krieg, aber auch um den Diskurs über den Nahostkonflikt im Westen. Wobei sich dieser schon seit Jahren in schlechtem Zustand befinde, wie Hauptreferentin Viola Raheb urteilte. Raheb, in Bethlehem geboren, aber mittlerweile in Wien lebend, ist evangelische Theologin und Friedensaktivistin. In ihrem Vortrag in Zürich beklagte sie den fehlenden Willen im Westen, sich mit den kolonialgeschichtlichen Wurzeln des Konflikts auseinanderzusetzen.
Raheb kritisierte auch, wie eng der Diskursraum geworden sei – und in diesem Zusammenhang auch die reformierte Kirche der Schweiz. Konkret deren Umgang mit dem ökumenischen Weltgebetstag am 1. März. Die Liturgie dazu stammt jedes Jahr aus einem anderen Land, dieses Mal von christlichen Palästinenserinnen. Die reformierte Kirche empfahl unlängst die Streichung mehrerer israelkritischer Passagen in den Texten aus Palästina. Raheb sagte dazu, es handle sich um einen ungeheuerlichen, spätkolonialistischen Vorgang, Betroffenen vorschreiben zu wollen, wie diese ihr Erleben in Worte fassten.
So viel Empathie mit Palästinenser:innen war dann einigen im Raum zu viel. Besucher:innen begannen, die Veranstaltung nach Kräften zu stören. Von den Veranstaltern werden sie dem evangelikal-fundamentalistischen Milieu zugeordnet. In diesen Kreisen wird ein aggressiver christlicher Zionismus gepflegt, der sämtliche palästinensischen Interessen negiert.
Ein Mann filmte die Geschehnisse, obwohl dies untersagt worden war. Die Referentinnen hatten gewarnt, die Aufnahmen könnten Palästinenser:innen und Israeli, die sich auf der Bühne für Aussöhnung engagierten, in Gefahr bringen. Doch der Mann zeigte sich uneinsichtig, worauf Kozma die Polizei aufbot, die ihn dann zwang, die Filmaufnahmen zu löschen. Kozmas Fazit: «Mit Fanatikern kann man nicht reden.»