Marta Fotsch (1942–2024): Präzise und hartnäckig aus der Küche

Nr. 8 –

Über fünfzig Jahre lang hat sich Marta Fotsch für politische Gefangene, Verfolgte und Bedrohte eingesetzt. Nun ist die Pionierin der Menschenrechtsarbeit in der Schweiz gestorben.

Marta Fotsch im Jahr 2001
«Was kann man Grösseres tun, als jeman­dem dabei helfen, am Leben zu bleiben?»: Marta Fotsch im Jahr 2001. Foto: Amnesty International

Am Anfang steht eine Radiosendung von 1970. Die 28-jährige Marta Fotsch, Mutter von drei kleinen Kindern, hört von der Arbeit der deutschen Amnesty-International-Sektion, die sich für politische Gefangene und gegen Folter einsetzt. Bei einer solchen Organisation will sie auch mitmachen, ist ihr sofort klar: etwas Konkretes tun, sich für Gerechtigkeit einsetzen, nicht nur Hausfrau sein.

Marta Fotsch schliesst sich Ende 1970 der eben gegründeten Schweizer Sektion von Amnesty International an und wird eine ihrer zentralen Stützen. Mit ihrer Familie bewohnt sie im zürcherischen Regensdorf zwei kleine, zusammengelegte Blockwohnungen. In der Küche einer der Wohnungen richtet sie ihr Büro ein. Immer unbezahlt sammelt sie Berichte über politische Gefangene, schreibt ihnen Briefe und setzt sich für ihre Freilassung ein. Bis 1974 konzentriert sie sich dabei auf die Opfer des diktatorischen Portugal und dessen Kolonialherrschaft in Angola.

Amnesty International verfügt damals in der Schweiz noch über keine entlöhnten Angestellten. Die Organisation ist im Aufbau, gründet Ortsgruppen, Marta Fotsch immer zuvorderst dabei. Schon bald kommt es in der Organisation zu Auseinandersetzungen über die Frage, ob sie sich etwa auch für Dienstverweigerer und gegen Waffenhandel einsetzen soll. Ehrenmitglieder der Organisation wie der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt oder die Altbundesräte Friedrich Traugott Wahlen und Willy Spühler kritisierten die «Solidarisierung mit politischen Gruppierungen extremer Tendenz» in einem offenen Brief, setzten sich aber nicht durch.

Lobbyieren bei Furgler

Marta Fotsch arbeitet sich derweil in ihrem Büro akribisch durch Aktenberge. Ihre Berichte sind immer präzise, was ihr bei Regierungsstellen grosse Anerkennung verschafft. Sie ist «Drahtzieherin im Verborgenen», wie sie Amnesty-Mitarbeiterin Rebecca Allenspach beschreibt, organisiert Geld für Gefangene und ihre Angehörigen, lobbyiert bei den Schweizer Behörden für Einreisegenehmigungen und dafür, dass sie Asyl erhalten. Dem damaligen Justizminister Kurt Furgler legt sie beispielsweise 1981 eine Liste von 159 Gefangenen der Militärdiktatur Argentiniens vor, mehrere Dutzend von ihnen können später in die Schweiz einreisen.

Die Wohnung in Regensdorf ist für die Geflüchteten oft die erste Anlaufstelle, ein Ort, wo sie willkommen sind, erinnert sich der Journalist Sergio Ferrari, der 1978 nach drei Jahren Gefängnis aus Argentinien in die Schweiz einreisen darf. «Sie war so grosszügig, sie fragte uns immer, was Amnesty noch machen kann, und schickte den Angehörigen von Gefangenen Geldbeträge.»

Die Familie ist stolz auf das Engagement der Mutter, Vater Walter kümmert sich neben seiner Arbeit, atypisch für die damalige Zeit, um die Kinder und den Haushalt. Zusammen produziert die Familie auf einem alten Matrizendrucker im Keller gelegentlich Flugblätter. «Sie hat stundenlang telefoniert», erinnert sich die Tochter Barbara – die horrenden Kosten für die Auslandsgespräche belasteten das Haushaltsbudget. Die Geschichten der Menschen hätten sie «geplagt», doch von ihren Kindern hielt sie sie fern. «Sie hat einfach gemacht», und das mit viel Humor und Charme, sagen ihre Mitstreiter:innen von damals.

Kolumbien als Fokus

Von 1975 bis 1985 ist Marta Fotsch Vizepräsidentin von Amnesty Schweiz, danach will sie sich noch mehr ganz konkret für Menschen einsetzen. Die Kinder sind nun erwachsen. Sie fokussiert sich fortan auf das Bürgerkriegsland Kolumbien, reist zweimal pro Jahr dorthin, trifft sich mit Menschenrechtsorganisationen, verhandelt mit Regierungsstellen, Anwält:innen, der Armee, besucht Gefangene und deren Familien, organisiert die medizinische Betreuung von Folteropfern, leistet Hilfe für Angehörige. Sie sei in die entlegensten Gegenden gefahren und habe den Menschen oft stundenlang zugehört, sagt Rebecca Allenspach von Amnesty.

«Was kann man Grösseres tun, als jemandem dabei helfen, am Leben zu bleiben?», sagt sie einmal in einem Zeitungsinterview. Dabei sei das Engagement nicht nur selbstlos, wie sie an anderer Stelle präzisiert: «Es dient nicht nur anderen, sondern auch einem selbst.» Marta Fotsch hat in ihrem Leben Hunderte von Karten und Briefen dankbarer Menschen erhalten, denen sie geholfen hat.

Am 12. Februar ist Marta Fotsch an den Spätfolgen eines Gehirnschlags gestorben. Auf der Website von Amnesty Schweiz teilen viele ihre Erinnerungen an sie. So schreibt die kolumbianische Menschrechtsverteidigerin Berenice Celeyta: «Es gab Zeiten, in denen wir nichts voneinander wussten, aber wir wussten, dass sie da war; dass wir eine schützende Fee mit einer sanften Stimme und einem freundlichen Lächeln aus den Alpen hatten, die den stärksten Stürmen trotzen konnte.»