SVP-Nationalrat versus Kulturzentrum: Dank Unruhestifter Glarner plötzlich legal

Nr. 12 –

Fünf Jahre lang hat Andreas Glarner einen juristischen Kleinkrieg gegen das autonome Kulturzentrum Bremgarten geführt – und immer verloren. Trotzdem lässt das KuZeB den Politiker nicht los.

das KuZeB in Bremgarten
An bester Lage zwischen Bahnhof und Altstadt: Im Neubau direkt neben dem KuZeB hat die Firma 5620.ch ein Büro gemietet, präsent ist der Inhaber Andreas Glarner dort aber nicht.

Andreas Glarner hat sich wohl den grossen Coup erträumt: Das Kulturzentrum Bremgarten (KuZeB), das er wiederholt als Schandfleck bezeichnet hat, müsste schliessen, nur dank ihm. Seit 2018 führt der SVP-Nationalrat über eine mutmassliche Briefkastenfirma einen juristischen Kleinkrieg gegen das KuZeB mit dem Ziel, das älteste autonome Kulturzentrum des Landes zu beseitigen.

Der Coup misslingt. Kürzlich blitzte er mit einer letzten Beschwerde gegen die Stadt Bremgarten beim Bauamt des Kantons Aargau ab. Die letzte Frist, um das Verfahren weiterzuziehen, liess er verstreichen. Glarner verfehlt nicht nur sein Ziel, das KuZeB in Schwierigkeiten zu bringen – juristisch steht dieses heute sogar noch besser da als zuvor: Erstmals haben städtische und kantonale Behörden offiziell festgehalten, dass die Umnutzung der Gebäude der ehemaligen Kleiderfabrik Meyer als Kulturzentrum über die Jahre ersessen und damit baurechtlich bewilligt ist.

Schlimmste Befürchtungen

Vermutlich beginnt die Geschichte ein paar Monate vor dem eigentlichen Verfahren. Ende April 2018 ist Glarner an der Generalversammlung der lokalen SVP im Restaurant Bijou als Redner geladen. Am Abend zuvor wird die Restaurantfassade mit Sprayereien verunstaltet, an einem Brückenpfeiler in der Nähe stehen Parolen: «Glarner fuck off!» und «Fight SVP!». Glarner gibt zornige Interviews und setzt 2000 Franken Belohnung für Hinweise auf die Täter:innen aus. Diese tauchen nicht auf, aber Glarner lässt keinen Zweifel über seinen Verdacht, wo sie ihr Nest haben: im KuZeB.

Ein paar Tage später verkündet er in der «Aargauer Zeitung»: «Ich überlege mir, zusammen mit anderen Investoren die Liegenschaft zu kaufen.» Ende Mai steht die Kantonspolizei Aargau für eine Razzia vor dem KuZeB, sie suchen einen Mann, der bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg fotografiert wurde. Glarner hat damit eigentlich nichts zu tun, aber er ist zur Stelle und wird von der Lokalzeitung zitiert: «Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet.»

Nun wird Glarner hinter den Kulissen aktiv. Am 1. Oktober bezieht er mit seiner Firma 5620.ch GmbH ein Büro an der Zürcherstrasse 4 in Bremgarten, in einem Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum KuZeB. Laut Mietvertrag bezahlt er dafür 570 Franken pro Monat. Offiziell gründet Glarner die Firma, die einzig auf ihn eingetragen ist, am 23. Oktober; ihr Zweck laut Handelsregister: «Erwerb, Verwaltung, Vermittlung, Veräusserung sowie Erstellung von Liegenschaften im In- und Ausland». In den Dokumenten zum Fall, die der WOZ vorliegen, tritt Glarner mit dem Namen der Firma auf. Auf Anfrage sagen zwei Mitarbeiter:innen von Firmen, die an derselben Adresse eingemietet sind, sie hätten Glarner noch nie im Gebäude gesehen, das müsse aber nichts heissen. Bei den Firmen, die mit der 5620.ch GmbH den Stock teilen, will man keine Auskunft geben.

Ende Januar 2019 verlangt Glarner über seinen Anwalt Jean-Pierre Gallati bei der Stadt Bremgarten Einsicht in die Bauakten der Liegenschaft, in der das KuZeB seit der Besetzung 1990 einquartiert ist.

«Unflätige Parolen»

Seine Mandantin, Glarners Firma, leide «stark unter den erheblichen negativen materiellen und ideellen Immissionen» des KuZeB, schreibt Gallati. Wie Glarner persönlich betroffen sein soll, wird aus den Akten und auch später im direkten Gespräch am Telefon nie wirklich klar. Gallati wirft dem KuZeB verschiedene Verstösse gegen baurechtliche Bestimmungen vor: Die Gebäude würden für Übernachtungen genutzt, der Brandschutz sei nicht gewährleistet, die Fassade störe das Ortsbild, die Parkplätze entlang der Gleise seien nicht bewilligt und gefährdeten die Verkehrssicherheit.

Nach seinem ersten Schreiben muss Gallati den Fall abgeben, weil er für die SVP in den Aargauer Regierungsrat gewählt wird. Gestützt auf die von der Stadt ausgehändigten Bauakten und die vom KuZeB eingereichten feuerpolizeilichen Bewilligungen, führt der Anwalt Simon Käch, der den Fall von Gallati übernimmt, die Vorwürfe kurz vor Weihnachten 2019 weiter aus. Trotz der trockenen juristischen Sprache ist die Komik nicht zu überlesen. In den Gebäuden würden Hotelzimmer vermietet, heisst es im Schreiben etwa, und es handelt von «unflätigen Parolen» an der «ungepflegten Fassade».

Die Räume hinter dieser Fassade: Sie müssen für Glarner eine Art Sehnsuchtsort sein, ein Ort, wo wilde Feste steigen und sich linke «Gewalttäter» verstecken, ein Ort, den er nicht betreten darf. Als die Stadt Bremgarten im Juni 2020 erstmals festhält, die Gebäude seien ausreichend geprüft und ihre Nutzung als Kulturzentrum rechtmässig, reicht Glarner beim kantonalen Bauamt eine Beschwerde mit zwei Forderungen ein: Das KuZeB müsse ein öffentlich einsehbares Baugesuch stellen, und Glarner wolle das Gebäude selber besichtigen. Doch der Zutritt bleibt ihm verwehrt.

Ein Augenschein in Bremgarten. Die schwere, schwarz-rot gestrichene Holztür zum KuZeB öffnet sich, und ein überaus freundlicher Mann bittet herein. Pat Schneider engagiert sich hier seit den Anfängen und bewohnt als Einziger eine kleine Wohnung auf dem Areal. Im KuZeB-Büro hat er einen Heizkörper gegen die Kälte angestellt, über die Tische ausgebreitet liegen Zeitungsartikel aus dem gut geordneten Archiv des Hauses. Schneider hat schon Angriffe von Neonazis und bürokratische Auseinandersetzungen mit der Stadt erlebt, aber so viel Aufwand habe noch niemand betrieben, um dem KuZeB zu schaden. «Glarner wollte es wirklich gründlich machen. Es wirkt wie eine Fehde gegen uns.» Anfangs sei er schon ein bisschen nervös geworden, sagt Schneider. «Wir wussten ja nicht, wie die Stadt reagieren würde.»

Sie reagiert unaufgeregt, weist Glarners Anträge einen nach dem anderen zurück; auf die ideologischen Vorwürfe geht sie nicht ein. Danach wird es unübersichtlich, Glarner versucht immer wieder, mit Beschwerden oder Einsprachen beim Kanton gegen die Entscheide der Stadt vorzugehen. Durch die «nachträgliche Bewilligung zu Kontroll- und Dokumentationszwecken», die der Kanton bald verlangt, wird die Nutzung der Gebäude als Kulturzentrum schliesslich legalisiert, besiegelt durch eine zwanzig Seiten lange Begründung des kantonalen Bauamts.

«Wir greifen noch mal an»

Anruf bei Andreas Glarner. Obwohl das Verfahren beendet ist, will er die Niederlage nicht eingestehen. «Nun müssen wir uns erst einmal sortieren, dann greifen wir noch mal an», sagt er. Er wolle es erneut mit einer baurechtlichen Beschwerde versuchen, denn die Bauten des KuZeB seien illegal. Der Entscheid des Bauamts zeige vor allem, dass die Behörde «mehr als links unterwandert» sei. Glarners Ziel bleibt unverändert: «Der Schandfleck muss weg!» Im Büro im Nebengebäude empfange er Kunden, behauptet Glarner. Gegenüber diesen müsse er sich für den Anblick jedes Mal rechtfertigen. Was seine Firma denn für Dienstleistungen anbiete? «Alles Mögliche rund um Immobilien.»

Und die Familie Meyer, die Eigentümer der ehemaligen Kleiderfabrik, die sich einst zwar gegen die Besetzung ausgesprochen, das KuZeB aber immer geduldet hat? Max Meyer ist mittlerweile Mitte neunzig, am Telefon wirkt er klar, aber wenig gesprächig. Mit Herrn Glarner oder dem KuZeB habe er nichts zu tun: «Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben.» Gleichgültig scheint ihm das Schicksal der Gebäude jedoch nicht zu sein. Pat Schneider erzählt eine Anekdote. Im KuZeB war man gerade daran, eine der vorderen Fassaden zu flicken und neu zu streichen. Da kam ein Anruf von Meyer, jemand aus Bremgarten habe ihm gemeldet, das Schild mit der Aufschrift «Meyer & Co Kleiderfabrik» sei von der Fassade verschwunden. Schneider versicherte ihm, das Schild werde nur restauriert, dann komme es wieder an seinen Platz. Meyer habe sich sehr darüber gefreut.

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Kommentare

Kommentar von KatharinainGenf

Do., 21.03.2024 - 12:41

Danke, dass ihr jede Woche so eine gute Zeitung macht!