Die Welt dreht sich: Es passiert wieder
Rebecca Gisler über David-Lynch-Meerschweinchen
Die Vögel zwitschern um sieben Uhr morgens, und die Baumkronen schwanken in einer sanften Brise. Die Winterjacke bleibt in der Ecke liegen. Ich wage es, die zerknitterte Frühlingsjacke aus dem Schrank zu holen. Mit neuer Energie setze ich mich morgens an den Arbeitstisch, motiviert, trotz Sonnenschein, den wichtigen Verpflichtungen nachzukommen: dem Übersetzen zweier Texte.
Beim ersten Text geht es um das «Meerschweinchenglück im Frühling» und beim zweiten um die Frage, «warum Meerschweinchen so viel essen». Erstaunlicherweise enthält der erste Text keinerlei interessante Informationen.
Im zweiten erfährt man aber, dass Meerschweinchen bis zu achtzigmal am Tag essen, und dies, weil ihr Essen nur verdaut werden kann, wenn ihr Magen immer wieder gefüllt wird. Aufgrund ihres riesigen Verdauungstrakts kann die Verdauung mehrere Tage dauern. Tage, an denen die übersättigten Tiere auch nach Stunden Laufradrennen sich nicht einmal übergeben können, da Meerschweinchen grundsätzlich nicht erbrechen.
Anstatt mich nur auf die vorliegende Übersetzungsarbeit zu beschränken, fange ich an, mich immer mehr für diese Tiere zu interessieren, bis ich im Internet nach Meerschweinchenfrisuren suche. Dabei stosse ich auf die faszinierendsten Bilder: Meerschweinchen mit kurzem oder langem Haar, solche mit geradlinigen Fransen, andere mit wilden Locken und solche mit einer unglaublichen Haarwelle, wie sie sonst nur einer trägt: David Lynch.
Das erinnert mich plötzlich daran, dass ich mir schon lange nicht mehr seine «Weather Reports» angeschaut habe, diese kurzen Videos, die er jeden Tag aufnahm und in denen er in wenigen Minuten über die Wetterlage in Los Angeles berichtete. Verwundert muss ich aber feststellen, dass seit dem 16. Dezember 2022 kein neues Video hochgeladen wurde.
Zum Trost und um die Arbeit hinauszuschieben, schaue ich mir dieses letzte Video noch mal an. Lynch sitzt wie gewohnt in seinem Arbeitszimmer. Zu Beginn der Aufnahme schüttelt er die Kamera, vielleicht um ein Erdbeben vorzutäuschen. Der Effekt ist glaubwürdig. Dabei trägt er eine Sonnenbrille und sagt mit lauter und nasaler Stimme: «And if you can believe it, it’s a Friday once again!» Nachdem das Erdbeben vorbei ist, berichtet David Lynch vom Wetter und darüber, dass er an dieses Lied aus seiner Serie «Twin Peaks», gesungen von Julee Cruise, denken musste: «The World Spins».
Mir fällt umgehend auf, dass dieses Lied denselben Namen trägt wie die Kolumne, die ich an dieser Stelle seit einigen Wochen schreibe, und dass ich mir dessen nicht bewusst war, obwohl ich mich für einen absoluten «Twin Peaks»-Fan halte. Die Szene, in der das Lied gesungen wird, spielt während eines Konzerts im «Roadhouse», als plötzlich «der Riese» in der Vision des Agenten Dale Cooper erscheint und zu ihm sagt: «It’s happening again.»
Im Frühling wird alles voluminöser und sichtbarer. Wie Dale Cooper, der die Eindrücke auf sich wirken lässt, lasse ich mich von den Zeichen, die diesen Frühlingsanfang überfluten, mitreissen, bevor ich mich wieder meinen Pflichten und somit dem Wohlbefinden der Meerschweinchen widme.
Rebecca Gisler lebt in Zürich und ist Autorin für Menschen und Tiere.