Bunker, Prepper, Präparate II. Amerikanischer Traum
«People believe what they want to believe.»
Aus «American Hustle» (Filmdrama, USA 2013)
Zehn Jahre ist es her, da erfährt das Leben des US-amerikanischen Weltklassesprinters Tyson Gay eine dramatische Wende. Am 16. Mai 2013 muss Gay beim Training eine Kontrolle über sich ergehen lassen. Das Resultat der A-Probe weist auf ein Dopingvergehen hin: zu hohe Werte von Testosteron und Dehydroepiandrosteron. Gay lässt die B-Probe öffnen, diese bestätigt den Befund. Ein paar Tage später erklärt sich der Athlet der Öffentlichkeit: Er anerkennt die Stimmigkeit der Analyse und seine Schuld. Er habe den falschen Leuten vertraut, sagt er mit hängendem Kopf.
Zur gleichen Zeit in Widnau, St. Gallen. Weit weg von Tyson Gay und dessen Dopingproblem beginnt auch im Leben von Erich Breitenmoser ein neuer Abschnitt. Breitenmoser ist mit seiner Familie – seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn – gerade in seine alte Heimat übersiedelt. Fast dreissig Jahre lebte er in den USA, die meiste Zeit davon in Kalifornien, wo er als Chiropraktiker arbeitete, nun sortiert er im St. Galler Rheintal seinen Alltag neu.
Wenig später sperrt in den USA die Antidopingagentur Tyson Gay – den zweitschnellsten Hundertmeterläufer aller Zeiten – für ein Jahr. Nur für ein Jahr, weil er umfassend kooperiert und ausgesagt hat. Schnell stellt sich heraus, dass die verbotenen Inhaltsstoffe in einer Anti-Aging-Salbe waren, die Gay benutzt hat. Er verliert Medaillen, eine halbe Million Dollar Preisgeld und seine Glaubwürdigkeit. Was diese Sache mit unserem Bunkerkönig zu tun hat? Die Crème stammte von Erich Breitenmoser.
Ein Jahr nach dem Dopingskandal veröffentlicht der Journalist David Epstein in «ProPublica», einem US-amerikanischen Nonprofitmedium für investigativen Journalismus, eine Recherche, in der er den Fall Tyson Gay detailliert aufarbeitet. Epstein verfolgt alle Stränge zurück, die zu Gay und seiner Geschichte führen. So findet er den Ursprung der Crème in einer in Kalifornien registrierten Firma namens West Coast Anti Aging, als deren Eigentümer sich Erich Breitenmoser herausstellt. Epstein ruft ihn an. Konfrontiert ihn damit, dass es illegal sei, Testosteron ohne ärztliche Verordnung abzugeben. Breitenmoser rechtfertigt sich, so steht das im Artikel, die Salbe bestehe nur aus homöopathischen Wirkstoffen. Und das Testosteron? Breitenmoser hat darauf keine Antwort, sagt nur, er verstehe das auch nicht. Epstein sagt heute: «Ich hatte den Eindruck, dass er keine Ahnung hatte, wovon er eigentlich sprach. Dann hörte er auf, auf meine Nachrichten zu antworten.» Auch unsere Fragen dazu liess er unbeantwortet.
«Hi, it’s Dr. Erich»
Im deutschsprachigen Raum löst der Artikel kaum Resonanz aus. Dann aber nimmt der öffentlich-rechtliche Sender Deutschlandfunk die Recherche auf. Die Radiosendung beginnt mit einer abschätzigen Schilderung Breitenmosers: «Er trägt in seinen Videos gerne ärmellose Hemden», sagt der Sprecher, «damit alle Welt sehen kann, wie feist seine Muskeln sind. So feist wie sein Akzent.» Es folgt ein Originalton aus einem Werbevideo Breitenmosers: «Hi, it’s Dr. Erich. And thank you again for visiting our West Coast Anti Aging website.»
Dutzende Videos finden sich im Netz, die genau auf diese Weise beginnen. Breitenmoser am Gewichtestemmen: «Hi, it’s Dr. Erich, coming to you from my humble home gym.» Breitenmoser, der eine SMS-Software für den Kontakt mit Patient:innen bewirbt, der braungebrannt an der Küste Kroatiens steht. Der mit Wintermütze in der Skigondel sitzt oder zum Rütli wandert und dabei über den Wert der Freiheit doziert. Immer wieder: «Hi, it’s Dr. Erich!»
Mit einem blassgelben Hemd und einer blassgelben Krawatte sitzt er an einem Schreibtisch, die Kamera in der einen Hand auf sich selber gerichtet: «Stell dir einen Moment lang vor, du bist auf die Chiropraktikerschule gegangen, hast all das Geld, all die Energie und Zeit darin investiert, Chiropraktiker zu werden. Du machst dann eine Praxis auf, aber hast nicht die Art von Business, die du dir vorgestellt hast. Du kannst die Rechnungen kaum begleichen, hast Zahlungsrückstände. Du lässt deine Familie hängen. Und jetzt stell dir das Gegenteil vor, dass du mehr Patienten hast, als du annehmen kannst. Dass die Leute stundenlang fahren, um deine Dienstleistungen zu erhalten.» S-t-u-n-d-e-n-l-a-n-g, sagt er, h-o-u-r-s, er dehnt das Wort, zieht es so in die Länge wie den Erfolg, den er da verspricht.
Erich Breitenmoser, Bunkerbesitzer und Verkäufer von testosteronhaltigen Salben, Chiropraktiker, Berater von Chiropraktiker:innen. Geschäftsmann vor allen Dingen. Was ist das eigentlich für eine irrwitzige Figur?
Schwarzenegger als Vorbild
Dr. Erich, 2010 im Podcast von Matt Prados von Chiropracticmarketers.com:
«Ich wusste nicht, was anfangen mit meinem Leben, als ich ein Kind war. Ich war ein wirklich schüchternes Kind, war introvertiert in gewisser Weise. Ich hatte viele Ängste, ich war irgendwie verloren. Und eines Tages stehe ich am Zeitungskiosk und sehe eine Zeitschrift mit einem Typen auf dem Cover, der eine doppelte Side Chest Pose machte. Und ich konnte die Physik dahinter nicht verstehen, ich war wie weggeblasen. Und ich sagte: So will ich ausschauen. Es traf mich mitten zwischen die Augen. Es war unglaublich. Ich kaufte das Heft. Und der Typ vorne drauf, natürlich war es Arnold Schwarzenegger. Und ich fand heraus, dass er nur ein paar Stunden von hier aufgewachsen war. Ich wuchs auf, und er ging nach Amerika, um den amerikanischen Traum zu leben. Es war ein totaler Wendepunkt in meinem Leben. Ich verfolgte seine Karriere, sein Leben. Ich konnte meine Hände nicht von ihm lassen. Eines Tages lernte ich etwas Neues über ihn: Sein bester Freund, Franco Columbu, ging auf die Chiropraktikerschule.»
Franco Columbu war wie Schwarzenegger ein erfolgreicher Bodybuilder. Kein Weltstar, aber doch hinreichend über die Szene hinaus bekannt. In einigen Filmen hat er auch mitgespielt. Und wie Schwarzenegger ist er eine Gegenfigur zur 68er-Bewegung: brutaler Individualismus gegen die Student:innen- und Bürgerrechtsbewegungen dieser Zeit. Selfmade-Ideologie statt Geborgenheit der Kommune.
Columbu lernt Schwarzenegger in München kennen, sie wohnen gemeinsam, trainieren gemeinsam, treten bei Wettbewerben an. Später holt Schwarzenegger seinen Kumpel in die USA, wo sie ihre Karriere zusammen vorantreiben. Columbu stets an «Noldis» Seite, aber immer ein paar Schritte hinter diesem. Sie stehen sich nahe, Franco ist Arnolds Trauzeuge und Chiropraktiker. Und als Franco Columbu 2019 in Sardinien mit 78 Jahren tot vom Boot fällt, veröffentlicht Schwarzenegger einen berührenden Abschiedsbrief auf Instagram: «Als ich endlich in Amerika ankam, war ich allein. Ich hatte meine Familie, mein Land, mein ganzes Leben hinter mir gelassen. Ich konnte ohne Geld und ohne meine Eltern leben, aber nicht ohne dich.» Der Beitrag schliesst mit den Worten «Love always». Das zugehörige Bild zeigt zwei in sich verschlungene glänzende Muskelberge und darin verborgen zwei fröhliche Gesichter.
«The Chiropractic Millionaire Maker»
Erich Breitenmoser ist nicht Arnolds Franco und auch nicht sein Erich, aber doch auf Schwarzeneggers Fährte. Er spricht wie er, imitiert seinen Habitus, krönt wie er seine Aufsteigergeschichte mit Erfolg. Es gibt Fotos auf Facebook und auf seiner Website, die ihn bei Begegnungen mit Schwarzenegger zeigen. Am 20. April 2001 vermeldet die «San Diego Union-Tribune» in der Spalte mit Nachrichten aus den Gemeinden: «Chiropraktiker Erich Breitenmoser aus Temecula gehörte zu einer Gruppe von ausgewählten Chiropraktikern aus dem ganzen Land, die am neunten Symposion zu ‹Natural Fitness› in Columbus, Ohio, teilnahmen.» Breitenmoser trifft dort gemäss dem Blatt auf Schwarzenegger, der die Tagung mitveranstaltet und zur Freude der anwesenden Chiropraktiker:innen verkündet, dass ein Chiropraktiker am Set seines neuen Films «Collateral Damage» zugegen sein werde.
Das ist zwar nicht besonders glamourös, aber doch so nahe dran an Hollywood, wie es für Chiropraktiker:innen halt geht. «Ich kam nicht nach Amerika, um arm zu sein, ich kam nach Amerika, um den amerikanischen Traum zu leben», erzählt Breitenmoser im Podcast des Chiropraktikunternehmers Matt Prados. Das ist vermutlich mehr Klischee als Mythos. Kaum eine Erzählung ist so oft verwendet worden wie diejenige des Tellerwäschers, der zum Millionär wird. Kein Motiv ist so verwaschen, so abgenutzt wie jenes dieses amerikanischen Traums. Auch bei Breitenmoser klingt die Erzählung eher nach Legendenbildung denn biografischer Schilderung. Mit zwei Koffern, in denen sich alle seine Besitztümer befunden hätten, sei er 1983, im Alter von 23 Jahren, in Chicago gelandet, um Chiropraktiker zu werden, sagt er im Interview. «Es war der grösste Tag meines Lebens.»
Erich Breitenmoser wird zumindest eines in Amerika: ein fabelhafter Verkäufer. Nachdem er eine Weile lang eine eigene Praxis in Kalifornien führte, wechselt er ins Beratergeschäft. Er bringt anderen Chiropraktiker:innen bei, erfolgreich zu werden, und nennt sich fortan «The Chiropractic Millionaire Maker». Breitenmosers grundlegende Behauptung: Er habe in seiner Praxis mit bloss zweieinhalb Mitarbeiter:innen über tausend Patient:innen pro Woche behandelt. Darauf aufbauend, richtet er Seminare aus für Hunderte und Tausende Dollar pro Teilnehmer:in. Um die richtige Behandlung, um Therapien und Gesundheit geht es in den Kursen nicht, dafür um die richtige, sprich gewinnträchtige Ansprache der Patient:innen. So besteht eine Aufgabe der Seminarteilnehmer:innen darin, gegenseitig in ihren Praxen anzurufen und die Verkaufsgespräche der Angestellten zu bewerten. «Da müssen die Doktoren fast kotzen, wenn sie das hören», sagt Breitenmoser in einem seiner Werbespots.
Er verkauft Bücher und CDs für Unsummen, veräussert sein «Komplettsystem» für 7997 US-Dollar und jenes zur Gewichtsabnahme für 4497 Dollar. Eine Anleitung, um «persönlichen Magnetismus» zu entwickeln, gibt es immerhin schon für 97 Dollar. Wichtigstes Werbemittel sind zahllose Videos mit Testimonials von Prominenten und anderen Chiropraktiker:innen.
Ein Video von einem Bootcamp in Dallas, Texas, vermutlich 2010: Der Spannteppich im Hotel kämpft mit psychedelischen Farbverläufen gegen die Tristesse an, die er verbreitet. Ein gutes Dutzend Stuhlreihen stehen in einem fensterlosen Saal. Auf manchen Stühlen steht «Titanium» hinten auf der Lehne geschrieben, auf anderen «Platinum». Das sind die verschieden teuren Programme, die Breitenmoser anbietet. Die Stimmung im Bootcamp ist wie bei einer Pfingstgemeinde. «Good morning», ruft Dr. Erich in den Saal. «Good morning», hallt es zurück. In den hinteren Reihen schieben die Leute Kuchenstücke auf ihre Gabel, halten sich an Bechern mit dünnem amerikanischem Filterkaffee fest. Vorne fragt Breitenmoser – zu weiter Anzug, weisse Krawatte – in die Menge: «Was musst du tun, um als Nummer eins wahrgenommen zu werden?»
Ein Dr. Richard sagt: «Es ging mir so schlecht, dass meine Frau und ich über eine Scheidung nachdachten. Doch dann habe ich das System von Dr. Erich bekommen und in den letzten vier Monaten mehr Geld verdient als im ganzen letzten Jahr – und ich konnte mit meiner Familie eine Reise machen!» Dr. Jason findet, er habe früher im Durchschnitt 54 000 Dollar im Jahr verdient. Und jetzt eine Million.
Beratung oder Manipulation?
TV-Psychologe und Bestsellerautor Dr. John Demartini erklärt in einem Video: «Ich bin seit fast zwanzig Jahren mit Dr. Erich befreundet …» Anfrage an Dr. John Demartini: «Wie steht es um Ihre Freundschaft, können wir darüber reden?» Demartini antwortet nicht, trägt einen aber sogleich auf der Adressliste für seinen Newsletter ein. Das Prinzip: Jeder Kontakt lässt sich in Aufmerksamkeit umwandeln und diese wiederum in Umsatz. «Jeder Telefonanruf in die Praxis ist Tausende Dollar wert», erklärt Breitenmoser einmal an einem seiner Seminare.
Doch ab wann wird jemand, der das Verkaufen zur Perfektion gebracht hat, wann wird so jemand zum Trickser, zum «con artist» – einer anderen grossen amerikanischen Figur? Wo ist die Grenze zwischen überzeugender Beratung und manipulativer Masche? Über tausend Patient:innen pro Woche, verteilt auf drei Angestellte, wie soll das überhaupt gehen? Räumt andererseits die prächtige Villa im wohlhabenden Temecula in Südkalifornien nicht jegliche Zweifel an der Erfolgsgeschichte als Chiropraktiker aus? «Die Leute glauben, was sie glauben wollen», heisst es in «American Hustle», in dem das Leben des notorischen Betrügers Mel Weinberg verfilmt wurde. Was ist echt bei Dr. Erich, was Übertreibung, was Fiktion? Und spielt das überhaupt eine Rolle?
Besuch beim Studienkollegen
Diesen Frühling in Thun in der Praxis des Chiropraktikers Dr. Daniel Caron. Seit gut dreissig Jahren empfängt Caron im ersten Stock eines schönen Altbaus gleich an der Fussgängerzone Patient:innen. Caron ist ein Zufallstreffer in dieser Recherche. Angefragt haben wir, weil er zur selben Zeit wie Breitenmoser in den USA Chiropraktik studiert hat. Nach der Begrüssung sagt er gleich, er wünsche, dass die Karten offen auf den Tisch gelegt würden: «Es geht um den Erich, oder?»
Den Erich traf er, als er 1984 ans Palmer College of Chiropractic in Davenport, Iowa, ging – dorthin, wo die chiropraktische Methode Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. 90 000 Dollar musste er erst dafür auftreiben, so viel kostete das vierjährige Studium damals, für das er – wie auch Breitenmoser – zuerst ein Jahr Medizinstudium und eine anschliessende zweijährige Assistenz in der Schweiz absolvieren musste.
Breitenmoser war da schon ein paar Monate weiter mit dem Studium, doch die Schweizer Student:innenschaft in Davenport war derart klein, dass sich schnell eine enge Gemeinschaft entwickelte. Sogar einen Schweizer Klub gab es. «Wir kochten zusammen, backten Brot, um nicht immer Toastbrot aus dem Supermarkt essen zu müssen», erzählt Caron. Sie arbeiteten zusammen schwarz als Gärtner, um sich einen Zustupf zu verdienen. Breitenmoser sei ein engagierter Student gewesen, jemand, der sich für eine Sache begeistern konnte und andere davon zu überzeugen wusste. Als Caron fast vierzig Jahre später von der Dopinggeschichte von Tyson Gay las, brach er die Lektüre ab. «Ich hatte Mühe zu glauben, dass mein alter Freund Erich, dem die natürliche Gesundheit immer so wichtig war, solche Produkte verkauft», sagt er.
Daniel Caron ist 64 Jahre alt. Nächstes Jahr geht er in Pension. Lange hat er eine:n Nachfolger:in für seine Praxis gesucht. Gefunden hat er niemanden. In der Schweiz fehlt es überall an Chiropraktiker:innen, obwohl die Nachfrage nach Behandlungen riesig ist. Caron sagt, er führe lange Wartelisten. Doch für im Ausland ausgebildete Chiropraktiker:innen sind die Hürden enorm. In der Schweiz selber braucht es ein sechsjähriges Studium an der Universität Zürich. Eingeführt worden war dieses, damit Student:innen nicht mehr an die sündhaft teuren US-Colleges müssen. Doch weil ein Umstieg auf andere medizinische Disziplinen nach dem Studium unkompliziert möglich ist, gibt es viele Aussteiger:innen. «Das ist keine gute Entwicklung», klagt Caron.
Ganz anders ist die Lage in den USA, wo zahlreiche Colleges nach jedem Trimester Abertausende Absolvent:innen ausspucken. Dort sind Chiropraktiker:innen auch keine Spezialist:innen wie in der Schweiz, wo die Chiropraktik seit 1965 von den Krankenkassen gedeckt ist und vor allem von Patient:innen mit Rückenschmerzen beansprucht wird. In den USA nähmen sie eher die Rolle von Hausärzt:innen ein, sagt Caron. Dort gilt Chiropraktik als Alternativmedizin, gefragt bei allerlei Beschwerden und oftmals als Alternative zu chirurgischen oder pharmakologischen Therapieansätzen.
Der Konkurrenzkampf in den USA sei immens, das Werben um Patient:innen essenziell, sagt Caron. «Erich ging voll darin auf.» Nach dem Studium trennten sich ihre Wege. Breitenmoser zieht sofort nach Kalifornien, «dorthin, wo Arnold lebt», wie er in einem Interview einmal sagt. Auch Caron bleibt vorerst in den USA. Er hängt ein Jahr in einer Praxis in Colorado an, wo er für Verkaufsgespräche zuständig ist. Er muss Patient:innen auf ihre Zahlungsmöglichkeiten abklopfen. Die Praxis arbeitet eng mit einer Anwaltskanzlei zusammen, gemeinsam wickeln sie Haftpflichtfälle ab – je nach Gerichtsentscheid eine äusserst lukrative Geschäftsmethode. «Mir behagte das überhaupt nicht», sagt Caron. Er will kein Business betreiben, sondern Leute behandeln. Und kehrt in die Schweiz zurück.
Erich Breitenmoser dagegen schafft beides. Zweimal besucht Caron ihn in Kalifornien. Breitenmoser zeigt ihm seine Avocado- und Orangenbäume. Erklärt ihm, so müsse er das Zeug aus dem Supermarkt nicht mehr essen. Er führt ein sogenannt bewusstes Leben, und doch erweitert er sein Geschäft in Richtungen, die kaum mehr als gesundheitsbezogen betrachtet werden können. Plötzlich geht es um Gewichtsabnahme, um allerlei Beratungen, um Feuchtigkeitscrèmes und Produkte für Verjüngungskuren. Vor Gericht liefert er sich wegen eines Marketingvideos einen Rechtsstreit mit einem Berufskollegen, der einen Lichtapparat verkauft, mit dem das Gehirn «neu aufgeladen» werden könne. Der Quacksalberei ist das alles ganz nah. Doch dem Kontostand sieht man nicht an, wie er zustande gekommen ist.
Heimkehr aus ungeklärten Gründen
Ob ihn diese Erzählung des American Dream fasziniert? Daniel Caron zögert. «In den Staaten herrscht eine andere Philosophie.» Dann teilt er eine interessante Beobachtung: Seiner Meinung nach hat Breitenmoser den amerikanischen Traum als Leitmotiv erst entwickelt, als er schon lange in den USA war – als er spürte, wie gut er und seine Art in dieses System passten. Der American Dream als Erzählung, die sich gut verkaufen lässt. Die sich auf die Realität setzt und diese maskiert, bis eine neue Erzählung kommt und sie wieder freilegt.
Daniel Caron und Erich Breitenmoser: ganz unterschiedliche Lebensentwürfe, die sich hin und wieder kreuzen und irgendwann nicht mehr. Auch von Breitenmosers Heimkehr in die Schweiz erfährt Caron nichts: 2012 bricht Erich Breitenmoser aus ungeklärten Gründen sein Leben in Kalifornien ab und zieht nach Widnau im St. Galler Rheintal, in ein riesiges Haus, die sogenannte Menzi-Villa, die früher dem gleichnamigen Baggerhersteller gehört hat. Die Villa liegt, gut abgeschirmt vor neugierigen Blicken und von Kameras überwacht, an einem mückenverseuchten Bach am Rand des Ortes. Wenig später eröffnet Breitenmoser einen Fitnessklub. Die Lokalmedien berichten darüber. Er wird Präsident der SVP Widnau. Dann wird es für ein paar Jahre ruhig um ihn. Derweil laufen die Geschäfte in den USA weiter. Dr. Erich gibt regelmässig Seminare, in denen er die Sorgen und Nöte der Chiropraktiker:innen versilbert, und vertreibt noch immer allerlei Salben und Crèmes. Doch bald nimmt er ganz andere Ideen auf, die er in den USA kennengelernt hat.
Für die Vorbereitung auf den «Tag X».