Serie: Unvollendete Einverleibung

Hochstapler, Mörder, Doppelgänger, verklemmter Homosexueller, arbeitsscheuer Aufsteiger oder gelangweilter Identitätendieb? Die US-Schriftstellerin Patricia Highsmith hat mit Tom Ripley ein Chamäleon geschaffen, an dem man sich bis heute lustvoll abarbeiten kann. Aktuell zeigt Netflix die neuste serielle Verfilmung des Psychothrillers von 1955: in Schwarzweiss mit überdeutlichen Film-noir-Anleihen. Der neue allseitige Liebling Andrew Scott («All of Us Strangers») gibt Ripley souverän als knopfäugigen Soziopathen – undurchschaubar und lebensgefährlich, wenn man ihm zu nahe kommt.
Die Geschichte ist bekannt: Tom Ripley, Tagedieb, Scheckbetrüger, Schwindler, reist aufgrund einer Verwechslung für den New Yorker Schiffsmagnaten Greenleaf an die schöne Amalfiküste. Dort bringt Greenleafs Sohn Dickie sein Erbe durch, malt grausam schlechte Bilder und schaut mit seiner Geliebten Marge zufrieden aufs Meer. Ripleys gut entlöhnter Auftrag: Dickie aus seinem Selbstverwirklichungstraum in die Realität des Elternhauses zurückzubefördern. Doch Ripley hat andere Pläne. Er klebt sich wie ein Schatten an Dickies Fersen, schickt verstohlen begehrliche Blicke auf die Insignien seines Reichtums. Und als der Erbe genug hat vom zudringlichen Gast, nimmt sich Ripley Dickies Platz mit Gewalt.
Das bleibt ein packender Stoff. Seine ästhetische Inszenierung ist hier allerdings ermüdend: viele Pfützen, in denen sich etwas spiegelt; viele Steinskulpturen, die symbolschwer ins Leere blicken. Wer Anthony Minghellas Verfilmung mit Matt Damon als unglücklich in Dickie verliebtem Ripley noch im Kopf hat: Die sehr ausführlich erzählte neue Serie hat nichts von der sonnigen Aufgekratztheit des Spielfilms von 1999, was Highsmith, der Fachfrau für zwischenmenschliche Eiseskälte, vermutlich gefallen hätte; genauso wie die mühevollen Aufräumarbeiten nach den Morden. Auf das Kunsthandwerk in Schwarzweiss hätte aber auch sie garantiert lieber verzichtet.