Ein Traum der Welt: Nachrichten-Countdown
Annette Hug schreibt panisch
Der Abgabetermin dieser Kolumne ist Montagvormittag, elf Uhr. Das heisst, ich schreibe sie in der Regel am Wochenende. Am Sonntagmorgen dominiert der iranische Drohnenangriff auf Israel die Nachrichten. Sitzungen sind angekündigt: G7, Uno-Sicherheitsrat, Kriegskabinett. Das Grundgefühl, im Ausnahmezustand zu leben, verstärkt sich so weit, dass die aufmunternden Ereignisse verblassen, über die ich eigentlich schreiben wollte: Lokalwahlen in Istanbul. Parlamentswahlen in Südkorea. Und der Erfolg der Klimaseniorinnen.
Wenn der Krieg im Nahen Osten weiter eskaliert, bevor diese Zeitung erscheint, kann ich auch nicht vom Wald schreiben, in dem ich aufräume, seit im Sommer 2022 die meisten Bäume von einem unüblich starken Wirbelwind flachgelegt worden sind. Es kommt jetzt vor, dass junge Buchen, die eineinhalb Jahre unter umgekippten Stämmen lagen, aufstehen und sofort ausschlagen. In einem sehr sanften Sinn schlägt gerade alles aus, die Blätter schiessen nur so aus den Zweigen. Dass die Quitten gleichzeitig mit den Äpfeln und sogar den Kirschen blühen, ist allerdings beunruhigend. Das habe ich noch nie erlebt.
In den Nachrichten um fünf Uhr nachmittags heisst es: Die Wechselkurse verändern sich nicht stark, «man» rechnet offenbar nicht mit einem Flächenbrand. Die iranische Regierung sieht die Sache als abgeschlossen. Der israelische Premier Netanjahu habe am Telefon mit seinem US-amerikanischen Pendant Biden verstanden, dass die USA an einem Vergeltungsschlag gegen den Iran nicht teilnehmen würden. Könnte es sein, dass am Donnerstag die Drohnen aus dem Iran schon fast vergessen sind? Im Radio sagen sie, der unüblich heisse April arbeite dem russischen Vormarsch in der Ukraine zu. Wegen der frühen Schneeschmelze seien die Wege für Panzer einfacher zu passieren.
Fast jeden Tag, egal was passiert, denke ich in letzter Zeit an den Titel eines Buches, das Alexander Kluge 2003 veröffentlicht hat, es heisst: «Die Lücke, die der Teufel lässt». In 500 Geschichten ballen sich Kräfte der Zerstörung – militärische, ideologische und technologische –, aber Kluge schreibt immer von einzigartigen historischen Vorgängen, von Menschen, die handeln, da passiert auch Unerwartetes. Ein Entkommen ist manchmal möglich. Und genau da würde die Geschichte hineinpassen, dass sich im richtigen Moment eine finanzkräftige Organisation wie Greenpeace, eine brillante Anwältin und ein Netzwerk von Frauen – die «Grossmütter-Revolution» – zu einer Menschenrechtsklage verbinden.
Am liebsten höre ich Nachrichten auf France Inter aus der vorletzten Woche, da kriegen sich zwei Moderator:innen fast nicht mehr ein nach dem Interview mit Anne Mahrer, Kopräsidentin «dieser verdammt tollen» Klimaseniorinnen – «ces sacrées ainées!». Dass man auf so eine gute Idee kommen kann! Das schafft niemand allein, da spielen Gruppen unverhofft zusammen, und engagierte Leute müssen einen langen Atem haben. Nicht in Panik versinken. An Möglichkeiten glauben.
Inzwischen ist es Montagmorgen, elf Uhr. Zu Israel nicht viel Neues, ein Waffenstillstand in Gaza ist kein Thema. In Paris wird eine Geberkonferenz für den Sudan eröffnet, an der Grenze zum Tschad befinden sich acht Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge in Lagern und haben nicht genug zu essen.
Annette Hug ist Autorin in Zürich und erlaubt sich, trotz allem, eine begeisterte Nachbemerkung zum Erfolg der Klimaseniorinnen.