Film: Demokratie? Bring mir zwei Gewehre!
Als das Bergvolk den politischen Fortschritt geschenkt bekam: «The Monk and the Gun» aus Bhutan ist eine schalkhafte Parabel, die kontinuierlich unsere Erwartungen unterläuft.
Sie ist zwiespältig, die Sehnsucht nach der längst verlorenen Unschuld. Und wenn man sie dann irgendwo wiederentdeckt zu haben glaubt, stellt sich oft eine reflexhafte Überheblichkeit ein. Sich dessen bewusst zu sein, kann – wenn man gerade über die eigenartigen Qualitäten eines Films aus dem «Land des Donnerdrachens» staunt – nie schaden. Das Kino aus dem Königreich Bhutan, das erst seit Anfang der 1990er Filme produziert, bewegt sich typischerweise nah an der (buddhistischen) Parabel, und es ist kein Zufall, dass sein berühmtester Vertreter, Khyentse Norbu («The Cup», 1999), hauptberuflich buddhistischer Lama ist.
Westliche Zuschauer:innen, die sich für aufgeklärt und solche Filme gerne für «sympathisch» oder «erfrischend» halten, meinen damit eigentlich oft einfach «naiv». Es ist eine ähnliche Reaktion wie jene auf die wohl bekannteste aus Bhutan stammende Idee: das Bruttonationalglück. Dieses darf in keinem exotisierend-paternalistischen Artikel über das Land unerwähnt bleiben, um dann jeweils entweder glanzäugig verklärt oder aber auf eine Stufe mit Märchenwesen gesetzt zu werden, an die nur unschuldige Kinder glauben können, die von der wirklichen Welt des Bruttosozialprodukts noch keine Ahnung haben.
Wer mit Stühlen wirft
Mit der Unschuld ist es bekanntlich so, dass sie verloren geht. In Bhutan war es spätestens Mitte der nuller Jahre so weit, als König Jigme Singye Wangchuk seinem Volk die Demokratie «schenkte» und anschliessend zugunsten seines Sohnes und einer konstitutionellen Monarchie abdankte. Von jenem Moment und dessen Bedeutung für Bhutan handelt nun «The Monk and the Gun» von Pawo Choyning Dorji, ehemaliger Student von Khyentse Norbu und Regisseur von «Lunana» (2020), jener sympathisch-erfrischenden Parabel über Heimat und den Wert der geografischen Abgeschiedenheit, die auch das hiesige Kinopublikum verzauberte. Diesem Erfolg folgt nun eine märchenhafte Parabel darüber, wie beim «Wandel und Übergang zu einem moderneren und gebildeten Land» der «schöne Wert der Unschuld» verschwindet, «weil der moderne Verstand anscheinend nicht zwischen Unschuld und Unwissenheit unterscheiden kann». Die Aussage und der Tonfall des Regisseurs im Pressedossier passen perfekt zu seinem Film, der auf die zahlreichen Widersprüche einer rasanten Modernisierung mit einer Mischung aus sarkastischer Wut und lakonischer Gelassenheit reagiert.
«Demokratie, ach, das ist doch dieses politische System aus Indien, wo sich die Anführer die Bärte lang ziehen und einander mit Stühlen bewerfen.» Das Gespräch zweier Bauern unter einem Vordach entspricht dem Tenor, mit dem die ländliche Bevölkerung den Testwahlen entgegentritt, bei denen sie sich zu demokratischen Übungszwecken zwischen drei Parteien entscheiden müssen: den Blauen «für Freiheit und Gleichheit», den Roten «für industrielle Entwicklung» und den Gelben «für die Wahrung der Werte». Mysteriöser ist da die Reaktion des örtlichen Lama, der den jungen Mönch Tashi (Tandin Wangchuk) beauftragt, ihm zwei Gewehre zu besorgen, «um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen».
Zufälle und Klischees
Die Aufgabe klingt ominöser, als sie tatsächlich ist, aber in einem Land, das von Waffen noch weniger hält als von Tourist:innen, ist sie nicht die leichteste. Vor allem, wenn als Gegenspieler in dieser nicht allzu komplizierten Geschichte ein schüchterner Antiquar und/oder Waffenhändler (Harry Einhorn) aus den USA, wo es «mehr Waffen als Menschen gibt», die bukolisch-prädemokratische Szene betritt. Begleitet von einem lokalen Fremdenführer und mit Zehntausenden Dollars in der Tasche, ist er auf der Jagd nach einem verschollenen Gewehr.
Dass sich die Handlung von «The Monk and the Gun» trotz ihrer offensichtlichen Parabelhaftigkeit nie ganz vorhersehen lässt, verdankt sich nicht nur dem schalkhaften Erzählstil voller ironischer Zufälle und Klischees, die keine einzige westliche Drehbuchkommission überleben würden. Es liegt auch an gänzlich anderen soziologischen Grundprämissen und Erwartungen daran, was für diese Figuren ein «erfolgreiches» Ziel sein könnte. Mit Nachdruck distanziert sich der Film beispielsweise von einer teleologisch klaren Haltung, was Aufklärung und Demokratie als logische Endpunkte einer geglückten gesellschaftlichen Entwicklung betrifft.
Dabei kann der unbekümmerte Erzählton des Films durchaus darüber hinwegtäuschen, dass der Blick aus diesem vermeintlich rückständigen Ort zurück auf die Welt (und das dort sitzende Publikum) nicht unbedingt von freundlich-buddhistischer Versöhnung geprägt ist. Selbst wenn im Film am Ende niemand die Abzüge der verschiedenen altertümlichen und modernen Gewehre betätigt: Deren metaphorische Geschosse finden durchaus ihr Ziel und schlagen dort Wunden, so leuchtend rot wie der in Bhutan allgegenwärtige Phallus, von dem der Lama weiss, dass er «die Dualität aufhebt und uns der Erleuchtung näherbringt».
«The Monk and the Gun». Regie und Drehbuch: Pawo Choyning Dorji. Bhutan/Taiwan/Frankreich/USA/Hongkong 2023. Jetzt im Kino.