Kost und Logis: Viel mehr als altes Zeug
Karin Hoffsten begab sich auf eine besondere Stadtwanderung
Kleider, Klamotten, Outfit, Garderobe oder Montur, wie immer man es nennen will: Irgendwas ziehen wir uns normalerweise an, wenn wir das Haus verlassen, und je nach Anlass und Möglichkeiten kann das sehr unterschiedlich aussehen.
Bekleidung ist in unserer Gesellschaft mindestens so wichtig wie Ernährung und folglich ein wirtschaftlicher Faktor gigantischen Ausmasses, der von Haute Couture bis zu Fast Fashion alles umfasst. Die Berge an Altkleidern wachsen unaufhörlich, Textilien sind zur Wegwerfware geworden, neben Foodwaste gibt es längst auch Fashionwaste.
Entsprechend gewachsen ist das Bedürfnis, Kleidungsstücke, die noch gut tragbar sind, weiterzuverwenden, indem man sie tauscht oder weiterverkauft. Der Secondhandmarkt boomt und ist in den letzten Jahren für Nutzer:innen gebrauchter Klamotten fast unüberschaubar geworden. Jenen, die sich im Labyrinth verirrt haben, bieten die Textilhandwerkerinnen Isabelle Wackernagel und Eva Waldmann nun auf vielfältige Art Orientierung, zum Beispiel mit ihrem «2nd hand Rundgang». Ich ging mit.
Punkt zwölf Uhr mittags versammeln sich zehn Wissbegierige (neun Frauen und ein Mann) im Zürcher Hauptbahnhof um die beiden Fachfrauen. Es ist ein strahlender Sommertag, der nur dadurch irritiert, dass er klimatisch etwas unpassend schon am 13. April strahlt. Wir laufen durch die frisch begrünten Kreise 4 und 5, begeben uns aber nicht auf Einkaufstour, sondern auf einen unerschöpflichen Lehrpfad.
Als Erstes lerne ich, was Vintage von Retro unterscheidet: Vintagekleider stammen original aus der Zeit, in der sie modern waren, wurden auch zum Teil noch nie getragen, während Retromode einen vergangenen Stil nachahmt, aber neu produziert wird. Secondhandkleider wiederum entstammen unser aller Kleiderschränke, sind also meist gebraucht und werden – je nach Idee oder Geschäftsmodell – verkauft oder getauscht.
Was wir auf unserem Rundgang erfahren, ist enorm vielfältig, denn das Wissen unserer Begleiterinnen geht weit über die Themen Kleidung und Moden hinaus. Sie verknüpfen Textiles mit Architektur, kennen die Geschichte der Textil- und Maschinenindustrie ebenso gut wie die Arbeitsbedingungen damals und heute. Wir erfahren, welche Merkmale in Design und bei Stoffen uns helfen, echte Vintagekleider von gefakten zu unterscheiden, und uns wird bewusst, dass das Kriterium Nachhaltigkeit auch im Secondhandhandel nur bedingt zutrifft, wenn beispielsweise die Inhalte unserer Altkleidersäcke in Rumänien landen, dort sortiert werden, um dann erneut auf hiesigen Flohmärkten zu landen. Als die Tour nach zwei Stunden bei der Bäckeranlage endet, sind die Füsse müde, aber der Geist hellwach.
Die Daten für die nächsten Secondhand-Rundgänge stehen bereits fest: 25. April und 21. September.
Jenseits von Secondhand fragt sich Karin Hoffsten schon lange, wohin man hoffnungslos kaputte Textilien – sprich Lumpen – bringen könnte, anstatt sie gleich in den Müll zu werfen.