Repression im Iran: Mittelfinger für die Mullahs
Der oppositionelle Rapper Toomaj Salehi wurde zum Tode verurteilt – er hatte der Islamischen Republik ihr Ende prophezeit. Im Schatten des Konflikts mit Israel führt das iranische Regime einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung.
Es war einer dieser Momente, der Iraner:innen im In- und Ausland im Widerstand gegen die Islamische Republik einmal mehr vereint hat: als vor knapp einer Woche der Anwalt Amir Raisian wissen liess, dass sein Mandant, der Rapper Toomaj Salehi, wegen «Korruption auf Erden» von einem Revolutionsgericht in der Stadt Isfahan zum Tod verurteilt worden war. Das Urteil hat weltweit Tausende auf die Strasse gebracht. Denn Toomaj Salehi ist nicht irgendwer.
Folter mit Adrenalin
In den vergangenen Jahren ist Salehi zu einem Symbol für den Widerstand gegen die Theokratie geworden. Der 33-Jährige drückt seine Abscheu gegen das Regime nicht subtil und vorsichtig aus, sondern direkt und wütend. In jedem Interview, jedem Social-Media-Post und jedem Lied zeigt er den Mullahs, den Revolutionsgarden, all den Handlangern, die das System aktiv und passiv stützen, den Mittelfinger. In «Omen» gibt er den Kaffeesatzleser, der dem Regime nach 44 Jahren an der Macht das Ende prophezeit, in «Mauseloch» klagt er an, wie viel Blut an den Händen all jener klebt, die sich als unpolitisch bezeichnen, und in «Du hast nichts gesehen» bringt er zur Sprache, welche Hölle Revolutionsführer Ali Chamenei für die Iraner:innen im Diesseits geschaffen hat.
Schon mehrfach wurde Salehi deswegen angeklagt, oft wegen «Propaganda» gegen das Regime und Beleidigung des Revolutionsführers. Im Oktober 2022, nach dem Tod der Kurdin Mahsa «Jina» Amini, warfen ihm die Behörden vor, einer der Rädelsführer der Protestbewegung «Frau, Leben, Freiheit» zu sein. Salehi verschwand hinter Gittern, bis er im November 2023 auf Kaution freikam. Kaum in Freiheit, nutzte er die Gelegenheit, um öffentlich von der Folter im Gefängnis zu berichten: den Elektroschocks, den gebrochenen Knochen, dem Adrenalin, das man ihm in den Hals spritzte, damit er bei Bewusstsein blieb. Vier Tage später sass er wieder hinter Gittern.
Mit dem Todesurteil wurden nun sowohl die iranische Gesellschaft als auch die Diaspora mobilisiert. Gefängnisinsass:innen schreiben Statements aus der Haft heraus, um sich für Toomaj Salehi einzusetzen, Pensionierte demonstrieren für seine Befreiung, Jugendliche überziehen Strassenwände mit Parolen der Solidarität mit dem Rapper.
Verschärfte Hidschabregeln
Salehis Fall ruft auch einer internationalen Öffentlichkeit wieder in Erinnerung, wie es um die Lage im Iran bestellt ist. Mit dem Angriff des Regimes auf Israel in der Nacht auf den 14. April ist sie aus dem Bewusstsein verschwunden. Denn die Möglichkeit eines weiteren Krieges in der Region hat jede Aufmerksamkeit gebündelt – und den anderen Krieg, der längst auf iranischem Boden gegen die eigene Bevölkerung geführt wird, in Vergessenheit geraten lassen. Dabei hat das Regime just am Tag des Angriffs auf Israel den Plan «Nur» (Licht) umgesetzt: eine neue staatliche Kampagne zur Durchsetzung der Hidschabregeln, die der Wächterrat bald in einem neuen, verschärften Gesetz, «Hidschab und Keuschheit», bestätigen soll.
Das Gesetz sieht beim ersten Verstoss gegen die Hidschabpflicht eine Geldstrafe vor, bei weiteren droht eine Inhaftierung, das Konfiszieren von Führerschein und Auto bis hin zu Berufs- und Ausreiseverboten. In der Zwischenzeit machen seit dem 14. April Tausende Sittenwächter:innen wieder verstärkt Jagd auf Frauen. Unter dem Hashtag «Krieg gegen Frauen» posten Iraner:innen Texte, Bilder und Videos von Frauen, die in Vans geprügelt werden oder bewusstlos am Boden liegen, weil sie unverschleiert das Haus verlassen haben und trotz aller Einschüchterungen ihren Peinigern die Stirn bieten. Nach einer Festnahme hatte die Journalistin Dina Ghalibaf in den sozialen Medien von sexuellem Missbrauch bei der Einvernahme berichtet. Prompt wurde sie für den Post ins berüchtigte Evin-Gefängnis gesperrt.
Die aktuelle Repressionswelle der Islamischen Republik beweist, dass das Regime an einer Front niemals locker lassen wird – und zwar jener im eigenen Land.