Hinrichtungen im Iran: Ein Staat im Blutrausch

Nr. 21 –

«Lasst nicht zu, dass sie uns töten.» Diese Worte standen auf einer handgeschriebenen Notiz, die am Mittwoch vergangener Woche aus dem Zentralgefängnis von Isfahan an die Öffentlichkeit geschmuggelt wurde. Gezeichnet war sie von «Irans Kindern», den drei Männern Saleh Mirhaschemi, Madschid Kasemi und Said Jakubi. Ihre Landsleute sollten sie vor dem Strang bewahren.

Vergeblich. Am 19. Mai wurden sie hingerichtet. Sechs Monate nach ihrer Festnahme. Man hatte sie in Scheinprozessen vorgeführt, ohne Rechtsbeistand, ihre Geständnisse unter Folter erzwungen. Ihnen wurde vorgeworfen, auf einer Demonstration im November 2022 drei Schergen des Regimes getötet zu haben. Sie hätten «Krieg gegen Gott» geführt, so die archaische Begründung des Todesurteils.

Insgesamt sieben Männer hat die Islamische Republik mittlerweile im Zusammenhang mit der Protestbewegung seit dem Tod der Kurdin Mahsa «Zhina» Amini am 16. September exekutiert. Damit macht das Regime seine Drohung wahr, «Unruhestifter» einer «gerechten Strafe» zuzuführen und den «Geist» der Anfangstage der Islamischen Revolution von 1979 hochleben zu lassen. Damals hatte das Regime im Akkord Tausende Oppositionelle hinrichten lassen.

Der heraufbeschworene Geist ist dieser Tage brutaler denn je. Die Islamische Republik ist im Blutrausch. Bereits 256 Menschen hat der Staat gemäss Menschenrechtsorganisationen seit Jahresbeginn exekutiert. Knapp die Hälfte davon waren Angehörige der zwei vom Staat am stärksten diskriminierten Bevölkerungsgruppen des Landes, der Kurd:innen und der Belutsch:innen. Die Menschen wurden gehängt für Delikte wie Schmuggel und Drogenhandel, zuletzt sogar für Blasphemie und Prophetenbeleidigung. So etwa die zwei Männer Sadrollah Faseli Sare und Jusef Mehrdad – weil sie einer Telegram-Gruppe angehörten, in der man sich über Aberglauben lustig machte.

Bereits jetzt sei dieser Mai der «blutigste Monat» im Iran seit fünf Jahren, rechnet die Menschenrechtsorganisation «Center for Human Rights in Iran» vor. Allein in den ersten achtzehn Tagen des Monats hat das Regime mindestens neunzig Personen gehängt, darunter zum zweiten Mal in diesem Jahr auch einen europäischen Staatsbürger. Nach dem iranisch-britischen Expolitiker Alireza Akbari im Januar wurde am 6. Mai der iranisch-schwedische Aktivist Habib Chaab getötet. 2020 wurde er in der Türkei entführt und in den Iran verschleppt. Dem Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd droht das gleiche Schicksal: Er wurde 2020 in Dubai entführt. Vor drei Monaten verurteilte ihn ein Gericht im Iran zum Tode.

Mit den Hinrichtungen verfolgt das Regime unterschiedliche Ziele. Anderen Staaten signalisiert es, dass es auch vor deren Staatsbürger:innen nicht haltmacht, und der iranischen Diaspora, dass sie mit ihrem Aktivismus nirgendwo auf der Welt sicher ist. Das entspricht der perfiden Logik des Regimes, der sich andere Länder seit jeher beugen: Es ist unmöglich, die iranische Staatsbürgerschaft abzulegen. Somit ist die Fürsorgepflicht anderer Staaten für ihre eigenen Bürger:innen begrenzt – um nicht zu sagen: inexistent.

Hauptadressat:innen der Hinrichtungen sind aber die Menschen im Iran. Denn bisher hat keine Einschüchterungsmassnahme die Proteste zum Erliegen gebracht. Erst im April hat Polizeichef Ahmadresa Radan schärfere Massnahmen gegen Frauen verkündet, die sich nicht an die Hidschabpflicht halten; bei wiederholten Verstössen drohen etwa die Konfiszierung des Autos oder ein Berufsverbot. Die Iranerinnen reagierten mit Häme und drohten ihrerseits mit einer Referenz aus «Game of Thrones»: «Summer is coming.» In einigen Städten liessen sie in ganzen Vierteln mit unverhülltem Kopf, blossen Armen und gezeigten Beinen Taten folgen. Auch immer mehr solidarische Männer in kurzen Hosen sind zu sehen – ebenfalls verboten in der Islamischen Republik.

Als einzige Vergeltungsmassnahme für diesen Ungehorsam bleibt dem Regime die pure Gewalt – und der Galgen. Bislang hat auch dies die Menschen nicht einschüchtern können. Obgleich der Preis dafür von Tag zu Tag höher wird. Und blutiger.