Von oben herab: Schlüssel zum Glück

Nr. 25 –

Stefan Gärtner über ein Handgemenge

Wir haben einen Schlüssel verloren, jedenfalls vermuten wir das. Der Schlüssel, von dem wir glauben, dass es der Schlüssel des Grossen ist, ist so spurlos verschwunden, dass wir die These geprüft haben, dieser aus zwei Schlüsseln und nichts weiter bestehende Schlüsselbund habe nie existiert und der Junge habe stets den Gästeschlüssel benutzt, der durch ein kleines silbernes Pferd gekennzeichnet ist. Jedenfalls wissen wir jetzt, wie aussichtslos Zeugenbefragungen sein können, denn ich kann mich partout nicht erinnern, ob der Schlüsselbund, den ich dem Nachwuchs täglich hinterhergeräumt habe, einer mit Pferd war oder einer ohne Pferd.

Der Elfjährige hat seine Meinung diesbezüglich dreimal gewechselt und sagt, auch weil es für ihn günstiger ist, es sei bestimmt der mit dem Pferd gewesen, seine Mutter und ich sind uns fast sicher, es sei einer ohne gewesen, und vermutlich wird sich die Frage dann klären, wenn Unbefugte mit dem verlorenen Schlüssel die Tür aufsperren und unsere Schrottkiste von Fernseher stehlen.

«Schrottkiste» sagt heute auch niemand mehr, jedenfalls so lange nicht, bis es doch wer tut. Von «Handgemenge» hätte ich dasselbe gedacht, bis ich las, der SVP-Fraktionschef Aeschi und sein SVP-Kollege Graber hätten beim Besuch des ukrainischen Parlamentspräsidenten eine gesperrte Treppe benutzen wollen und seien dabei in ein «Handgemenge» (SRF) mit der Bundespolizei geraten. SVP-Präsident Dettling in der «Arena»: «Das Sicherheitskonzept war völlig übertrieben, und wir wurden nicht darüber informiert.»

Ähnlich argumentiert ja der russische Oberbefehlshaber Putin, der das ukrainische Sicherheitskonzept (Nato) für völlig übertrieben hielt und, weil er darüber nicht informiert worden war, dann jenes Handgemenge auslöste, dessentwegen der ukrainische Parlamentspräsident in Bern war.

«Dessentwegen» ist heute auch nicht mehr recht in Gebrauch, weil die Menschen ihre Zeit brauchen, um «wider besseren Wissens» zu sagen, und längst nicht nur die, die wider besseres Wissen SVP wählen, die Partei von Ordnung und Gesetz, an das sich aber nur die andern halten müssen. Mein Gedächtnis ist zwar porös genug, um häusliche Schlüsselfragen nicht beantworten zu können, aber ich weiss, dass der Kollege Christian Y. Schmidt den legendären, frisch verstorbenen Berserker Klaus Kinski einst vor der Himmelstür stehen und stänkern liess: «Was, Petrus wollen Sie heissen? Und mich nicht reinlassen? Ich bin Klaus Kinski und komme überall rein. Geh mir aus dem Weg, fettes Arschloch.»

Graber («absoluter Skandal») soll einen Bundespolizisten immerhin belehrt haben: «Ihr wärt im Dritten Reich die Ersten gewesen, die Hitlers Befehle ausgeführt hätten», wie ja auch Justizopfer, Riesenross und Freiheitsparteipräsident Trump vorm «fascist state» gewarnt hat im Wissen, dass der real existierende Rechtsstaat viel eher ein tiefer Linksstaat ist.

Derweil giesst es vor meinem Fenster schon wieder in Strömen. Der Wetterbericht hat «Schauer» gemeldet, und vielleicht gibt es das Wort «Schauer» bald auch nicht mehr, ganz einfach weil entweder gar kein Regen fällt oder sehr viel, so wie in Zukunft die Rechten alle Rechte haben und Flüchtlinge gar keine, oder so wie die Leute, die diese virtuellen Handgemenge austragen, entweder völlig im Recht sind oder so was von gar nicht. Ich stelle mir gern vor, wie Joanne K. Rowling und eine trans Frau einen Tee miteinander trinken und die Sache mit dem Exmann in der Frauenumkleidekabine klären, ob das wirklich eine relevante Gefahr ist und ob, andererseits, es für eine zu halten bereits den «Genozid» vorbereitet, wie ein Transaktivist Rowling mal vorgeworfen hat. Derweil sorgt die Bundespolizei dafür, dass SVP-Tubel auf der Treppe bleiben, was, und darüber informiere ich Sie nur zu gern, als Sicherheitskonzept vollauf angemessen ist.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.