Von oben herab: Im Nebel

Nr. 49 –

Stefan Gärtner über den Terminkalender von KKS

Die Politik braucht die Presse, die Presse braucht die Politik, und doch hat Helmut Kohl nie mit dem «Spiegel» gesprochen, jedenfalls nicht mehr, seit er Kanzler war. Kein Wort. Der «Spiegel» mochte Kohl nicht, also mochte Kohl den «Spiegel» nicht, und wenn bei des Kanzlers Auslandsreisen Kollegen vom «Stern» und Kolleginnen von der «Zeit» im Regierungsflugzeug sitzen durften, war vom «Spiegel» niemand dabei. Das beliebte Nachrichtenmagazin hat es überlebt, und wenn Kohl tot ist, dann gewiss nicht seines «Spiegel»-Boykotts wegen.

Die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter, FDP, spricht nicht mit der WOZ. Ob bereits aus Prinzip, ist nicht bekannt (immerhin hat sie sich ja einmal für eine WOZ-Reklame zur Verfügung gestellt), aber doch so stur, dass es auffällt. Ob Kohl damals noch irgendwelche Gründe vorgeschützt hat, weiss allein der «Spiegel»; bei Keller-Sutter sind es jedenfalls «Termingründe», sobald das sympathische Zentralorgan des Schweizer Linksextremismus mit ihr sprechen will, über Menschenrechte für Fremdvölkische, die Absicht, einen antimigrantischen Schutzwall zu errichten, oder eine Überwachungskamerapflicht im Klassenzimmer. Immerhin sind die Termine nicht vorgeschützt: So traf sich die Bundesrätin jetzt in St. Gallen mit Abonnenten und Abonnentinnen des «Nebelspalters» zur intimen Soirée, und für das legendäre Schweizer Satireblatt war das natürlich ein gefundener Anlass, die Krallen auszufahren: «Im Gespräch mit Nebelspalter-Chefredaktor Markus Somm erzählte sie auch von ihrer Familie, ihrer Erziehung und den ersten politischen Schritten in Wil. Ihre Familie sei nicht besonders politisch gewesen. Geprägt habe sie unter anderem die Erfahrungen ihres Vaters im Aktivdienst und die Arbeit der Eltern in einem Gasthaus in Wil […] Zum Schluss unterzeichnete Keller-Sutter eine Karikatur von ihr des Thuner Zeichners Markus Vasalli. Sie wird auf Wunsch der Bundesrätin auf Nebelspalter zugunsten des St. Galler Frauenhauses versteigert.»

Wäre ich Markus Somm, ich würde mich schämen, und wäre ich Karin Keller-Sutter, ginge ich gleichfalls lieber zum «Nebi» als zur WOZ: Denn wo diese nur unangenehme, ja unverschämte Fragen kennt und so tut, als müsse man sich als Bundesrätin der Öffentlichkeit gegenüber rechtfertigen, ist man als Schweizer Justizministerin bei der heimischen Satire-Institution bestens aufgehoben und kann von der Familie berichten, der Erziehung in einem Gasthaus und ersten politischen Schritten nach rechts.

Von Methoden etwa der deutschen Satirekonkurrenz, die sich Interviews, wo nötig, einfach ausdenkt, will man in der Zürcher Genferstrasse jedenfalls nichts wissen. Dabei erfährt man in ausgedachten Gesprächen häufig mehr als in echten: «Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Wochen einige schöne Erfolge erzielen können, wie zum Beispiel die Halbierung des Sorgenkindergelds um siebzig Prozent und den Ausstieg aus der Solarenergie» – was der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder erstens nie gesagt hätte und zweitens nicht in «Titanic», war doch aufschlussreich genug, und 2003 war das Gespräch über politische Gräben hinweg ja auch noch möglich. Heute beklagt sich Keller-Sutter, die mit Linken nicht redet, garantiert über die Redeverbote der Moralpolizei und ist darum bei Somm und seinem peinlichen Marco-Rima-Fanzine auch bestens aufgehoben. Und besser jedenfalls als bei der WOZ, wo, wie gewöhnlich gut informierte Quellen wissen wollen, bereits der Plan in der sprichwörtlichen Schublade liegt, das nächste Interview mit KKS einfach zu erfinden. «Ich finde, man sollte vor dem Zmorge nur in Massen masturbieren» oder «Die Atombewaffnung der Schweiz ist ein liberales Essential» sind jedenfalls so schöne Antworten, dass es doch schade wäre, wenn mir nicht die passenden Fragen dazu einfielen.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop/buecher.