Ausländer:innenstimmrecht: Ein bisschen Mitsprache
Das Basler Parlament hat sich für das Stimmrecht für Einwohner:innen ohne Schweizer Pass ausgesprochen. In der Deutschschweiz wäre die Einführung eine der wenigen Ausnahmen.
Als es kurz nach 16 Uhr zur Abstimmung klingelt, ist die Stimmung im Basler Rathaus angespannt, obwohl klar ist, dass es reichen wird. Gemeinsam mit den Grünliberalen, die das Anliegen unterstützen, haben die SP und das Grün-Alternative Bündnis im Grossen Rat eine Mehrheit. Bei der Verkündung des Resultats löst sich die Anspannung: 53 Ja- zu 41 Nein-Stimmen. Edibe Gölgeli, die die Einführung des Ausländer:innenstimmrechts eingebracht hatte, umarmt ihren Kollegen Mahir Kabakci.
«Ich bin mega erleichtert», sagt die SP-Politikerin wenige Minuten später und lacht. Sie sei insbesondere froh, dass das Resultat doch ziemlich deutlich sei. Mehrere Stunden lang hatten die Mitglieder der Stadtbasler Legislative am 27. Juni über die Einführung eines kantonalen Stimmrechts für Einwohner:innen ohne Schweizer Bürgerrecht diskutiert. Angestossen durch eine Motion von Gölgeli, in einigen Punkten abgeschwächt durch die Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission (JSSK) und nun vom Grossen Rat bestätigt, kommt die Verfassungsänderung voraussichtlich im November vor das Stimmvolk. Dort wird es die Vorlage schwer haben, obwohl die Idee, in der Schweiz lebenden Menschen ohne Staatsbürgerschaft die politische Teilhabe zu ermöglichen, seit über dreissig Jahren Gegenstand öffentlicher Debatten ist.
«Friedlicherer Diskurs»
Demokratie, auch für Bürger:innen ohne Schweizer Pass – das ist in der Romandie viel verbreiteter als in der Deutschschweiz, wo nur drei Kantone ihren Gemeinden die Einführung des Ausländer:innenstimmrechts erlauben. Westlich des Röstigrabens kennen mit Ausnahme des Wallis alle Kantone eine Form von Stimm- und Wahlrecht für Ausländer:innen, jedoch fast ausschliesslich auf kommunaler Ebene. Nur der Jura und Neuenburg lassen Ausländer:innen auch kantonal mitbestimmen – ausgenommen ist aber auch hier das passive Wahlrecht, das heisst: Nur Schweizer:innen können in politische Ämter gewählt werden. Die politischen Rechte sind überdies an Bedingungen geknüpft, wie beispielsweise ein mehrjähriger Aufenthalt in der Schweiz sowie im Wohnkanton.
Die Erfahrungen mit dem Ausländer:innenstimmrecht sind überwiegend positiv. Neben der Möglichkeit zur politischen Partizipation und einer breiter abgestützten Legitimation demokratischer Entscheidungen können Menschen, die das Stimmrecht erhalten, auch ein stärkeres Gefühl der Teilhabe entwickeln. «Hinzu kommt, dass der politische Diskurs mit der Einführung des Ausländer:innenstimmrechts insgesamt friedlicher wird», sagt Rosita Fibbi. Die Soziologin der Universität Neuenburg hat für das Forschungsnetzwerk NCCR einen Blog zum Thema «Wahlrecht für Menschen ohne Staatsbürgerschaft» betreut. Mit «friedlicher» meint Fibbi, dass Ausländer:innen, wenn sie auch Wähler:innen sind, weniger als «Fremde» betrachtet werden und so das Zusammengehörigkeitsgefühl auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gestärkt wird.
Gibt es überhaupt negative Effekte? «Gegner:innen betonen jeweils, dass Ausländer:innen dort, wo sie Mitspracherechte erhalten, diese gar nicht gross nutzen», erklärt Fibbi. Tatsächlich liegt die Stimmbeteiligung von Ausländer:innen unter jener der Schweizer:innen. Im Kanton Genf, wo Einwohner:innen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft auf kommunaler Ebene mitbestimmen können, nahmen 2020 40 Prozent der Schweizer:innen und 23 Prozent der stimmberechtigten Ausländer:innen an den Gemeindewahlen teil. Abgesehen davon, dass man das durchaus auch als Erfolg werten könnte, hänge die Beteiligung aber viel stärker von soziostrukturellen Faktoren wie Alter, Einkommen und Bildungsgrad als vom Pass ab, erklärt Fibbi. «Wäre die ausländische Bevölkerung gleich zusammengesetzt wie die schweizerische, wäre die Beteiligung vergleichbar.»
Einbürgerung als Privileg
Doch vielleicht am häufigsten argumentieren Gegner:innen des Stimmrechts für Ausländer:innen mit der Einbürgerung. In der Grossratssitzung in Basel wiederholten die Mitglieder von SVP, FDP sowie der liberal-demokratischen LDP mantraartig, das Ausländer:innenstimmrecht sei unnötig, weil es mit der Einbürgerung bereits einen Weg zur politischen Mitsprache gebe – als handle es sich dabei nicht um ein Gesuch, sondern um eine simple käufliche Dienstleistung. Ebenfalls insinuierten verschiedene Ratsmitglieder, das Mitspracherecht würde Anreize schaffen, sich nicht einbürgern zu lassen – um so etwa die Wehrpflicht zu umgehen.
«Fairerweise muss man sagen, dass wir in Basel einige Hürden abgebaut haben», meint Edibe Gölgeli dazu. Trotzdem seien diese für einige nach wie vor hoch. «Meine Mutter, die heute auf der Tribüne des Rathauses sass, würde die Anforderungen heute nicht erfüllen», sagt die Grossrätin. Gölgelis Mutter zog sieben Kinder gross, die die Schweiz mitgestalten und Steuern zahlen. Da sie jedoch eine Schreib- und Leseschwäche habe, würde sie mit den heutigen Anforderungen wohl nicht mehr eingebürgert. Für Migrant:innen der ersten Generation sei es seit der Einführung des neuen Bürgerrechtsgesetzes 2018 schwieriger geworden, sagt Rosita Fibbi und verweist auf einen im Mai veröffentlichten Bericht der Eidgenössischen Migrationskommission. Zuvor hatte ein Drittel der Eingebürgerten einen Hochschulabschluss, nach neuem Recht sind es fast zwei Drittel.
Gemeinde ja, Kanton nein
Wieso ist das kommunale Stimmrecht für Ausländer:innen so viel verbreiteter als das kantonale? Vorstösse, ein solches einzuführen, scheiterten in verschiedenen Kantonen immer wieder. Auch in Basel-Stadt sagte die Stimmbevölkerung 1994 und 2010 bereits zweimal Nein dazu. Genf lehnte am 9. Juni die Einführung des Ausländer:innenstimmrechts auf kantonaler Ebene ab. Die Kantone würden im Gegensatz zu den Gemeinden eher den Staat repräsentieren, erklärt Rosita Fibbi. So nennt man sie auf Französisch auch «État» oder «République». «Und hier verfangen die Argumente jener, die finden, die Ausländer:innen gehörten nicht dazu.» Schliesslich gehe es um das Privileg, über wichtige Fragen mitentscheiden zu können.
Schlechte Vorzeichen für Basel? In Genf sei die Ausgangslage etwas anders gewesen, meint Fibbi: So sei das Anliegen mittels Volksinitiative vorgebracht worden, da seien Zustimmungen an der Urne seltener. Vor allem aber habe die Genfer Vorlage auch das passive Stimmrecht enthalten. Das wäre auf kantonaler Ebene ein Novum gewesen – und ist in Basel-Stadt in der Vorlage, die vors Volk kommt, nicht mehr vorgesehen. «Ich denke darum, dass der Vorstoss in Basel bessere Chancen hat», sagt die Soziologin.
Edibe Gölgeli bereitet sich auf einen harten Abstimmungskampf vor. Sie glaubt aber, dass sich seit dem letzten Versuch vor vierzehn Jahren auf gesellschaftlicher Ebene einiges bewegt hat. Im Herbst, wenn die Vorlage voraussichtlich zur Abstimmung gelangt, wird in Basel auch der Grosse Rat neu gewählt. «Das könnte bei der Mobilisierung helfen», so Gölgeli. Nicht nur die SP, auch eine überparteiliche Allianz wird eine Kampagne führen. Und Stimmen ausserhalb der Linken wird es brauchen, damit Basel-Stadt Geschichte schreiben kann.