Licht im Tunnel: «FaZ», mon amour

Nr. 27 –

Michelle Steinbeck hofft auf Auferstehung

Vor zwei Jahren traf ich einen Freund, den ich selten sehe. Mir ging es gerade komisch, ich war nervös, enttäuscht, aufgekratzt. Ich erzählte dem Freund, dass ich meine Arbeit nach fast zehn Jahren gekündigt hatte. Eine Arbeit, die ich wahnsinnig gern und gut gemacht hatte. Eine Arbeit, mit der ich erwachsen wurde, die mir ein Zuhause war. (Bei der ich nicht zuletzt Kolumnenschreiben übte.) Der Freund, der gerade sein Psychologiestudium abgeschlossen hatte, sagte etwas, was mich erstaunte: «Du trauerst.»

Während es damals bloss um mich ging und um die Frage, wer ich bin, wenn nicht Redaktorin der «Fabrikzeitung», so geht es heute um viel mehr. Denn die «Fabrikzeitung» wurde eingestellt. Abgeschafft, zum Auftakt ihres 40. Jubiläumsjahrs. Das neue Redaktionsteam, das sich in einem sehr aufwendigen Bewerbungsprozess gegen andere vielversprechende Teams durchgesetzt hatte, das monatelang alles gab, um die «FaZ» in der kriselnden Roten Fabrik in Zürich nachhaltig zu erneuern; ein Team, das im Übrigen meine Trauer in gespannte Vorfreude verwandelte, wurde schnöde abgesägt. Verheizt. Die skandalösen Umstände beschreiben die Redaktor:innen in ihrer ersten/letzten Ausgabe, online nachzulesen.

Der Aufschrei blieb – wenig verwunderlich – aus. Die «Fabrikzeitung» war immer ein Liebhaber:innenstück. Jede Ausgabe widmete sie einem anderen Thema, wobei sie in die verschiedensten Richtungen ging, oft tief in Nischen tauchte, während die Beiträge arrivierter Professorinnen, nerdiger Experten und aufstrebender Literat:innen auch stilistisch breit gefächert waren. Die «Fabrikzeitung» war, abgesehen vom ikonischen visuellen Auftritt, schwer fassbar. Das machte es schwierig bis unmöglich, eine irgendwie einheitliche Leser:innenschaft bei der Stange zu halten. Vielmehr waberte die sogenannte Zielgruppe unkontrolliert amöbenhaft mit jeder Ausgabe mit. Auf «Deregulierung» folgte «Fantastik»; vor dem «Quantifizierten Bürger» lag der «Walensee»; auf «Gefängnis» folgten «Alte Meisterinnen» und «Algorithmische Autorschaft».

Die Stärke der «FaZ» war auch ihre Schwäche: Weil sie als Teil der Roten Fabrik von der Stadt subventioniert war, konnte sie es sich leisten, nicht stromlinienförmig vermarktbar zu werden. Gleichzeitig konnten wir (uns) nicht leisten, was wir uns eigentlich gewünscht hätten: Um ein grösseres Publikum zu erreichen, hätte es Werbung gebraucht, Veranstaltungen; dafür fehlten schlicht die Stellenprozente. So produzierten wir Monat für Monat Überstunden und ein wunderschönes Magazin – im Wissen, dass es viel zu wenig gesehen und gelesen werden würde.

Dass die «Fabrikzeitung» nun hinterrücks weggespart wurde, ist ein trauriges Zeugnis für die Rote Fabrik. Die einzige gute Nachricht: Alle Texte sind auf der Website noch verfügbar. Zu meinen Lieblingsausgaben gehören die literarischen über Daniil Charms und Irmgard Keun, aber auch «Das Kapital», «Verhütung», «Smart Plants», «Jugend ohne Gott», die Serie «A1 Gespräche», das Format der Fortsetzungsgeschichten …

Die «Fabrikzeitung» war ein leuchtend sperriger Raum, in dem Nachwuchsschreibende neben Koryphäen publizierten, wo zeitgenössische slowenische Lyrik auf Netzpolitik traf. Dies ist ein Nachruf, ein Aufruf, das Ableben der «Fabrikzeitung» öffentlich zu betrauern. Vielleicht ist sie noch wiederbelebbar?

Michelle Steinbeck ist Autorin und ehemalige Redaktorin der «Fabrikzeitung». Für diesen Sommer empfiehlt sie einen «deep dive» nach den Perlen auf fabrikzeitung.ch.