Auf allen Kanälen: Fehler mit System
Eine KI schreibt für den «Blick» Artikel aus anderen Zeitungen um. Obwohl die Ergebnisse mangelhaft sind, hat Ringier damit ehrgeizige Pläne.
Seit einigen Wochen hat der «Blick» einen neuen Mitarbeiter, der täglich bis zu drei Artikel verfasst. Ende Juni schrieb dieser auch einen Bericht über die Missstände bei der Basler Polizei, der auf Recherchen der WOZ basierte. Im Originalartikel (siehe WOZ Nr. 26/24) wurde eine Untersuchung erwähnt, die auf 372 Interviews im Polizeikorps basiert. Daraus wurden beim «Blick» 327 Interviews. Ein Zahlendreher beim Abschreiben, das kann vorkommen. Bloss: Beim neuen «Blick»-Mitarbeiter «BliKI» hat das System.
Das «KI» im Namen steht nämlich für künstliche Intelligenz, der neue «Blick»-Schreiber besteht nicht aus Fleisch und Blut – er ist ein Textbot. Menschliche Journalist:innen speisen Medien- oder Polizeimitteilungen, aber auch komplette Artikel aus anderen Medien in das KI-Programm ein. Dann lassen sie «BliKI» den Text zusammenfassen und neu schreiben. Die künstliche Intelligenz generiert die jeweils statistisch wahrscheinlichste Abfolge von Wörtern, die in die Boulevardzeitung passen.
Das geht immer wieder schief. Aus einem Bericht der «SonntagsZeitung» übernahm «BliKI» einen Artikel zu einem Finanzskandal und bezifferte dabei die Summe dubioser Kredite mit 43 Milliarden Dollar – 3 Milliarden zu hoch. Ein Luxus-U-Boot für Superreiche, über das der US-Fernsehsender CNN berichtet hatte, machte die Software 200 Millionen Franken teurer, als es ist. Und in einem Text zum Mangel an Biomilch in der Schweiz verwechselte er das Wachstum der Produktion mit einer steigenden Nachfrage.
«Mitarbeiter der Zukunft»
Auf die Fehler hingewiesen, schreibt die Ringier-Medienstelle: Sämtliche Artikel würden vor der Publikation von Journalist:innen kontrolliert, korrigiert und umformuliert. Diese seien für die Fehler, die man umgehend korrigiert habe, verantwortlich. Das entspricht den Richtlinien des Presserats, der Mitte Januar einen Leitfaden für den Einsatz von KI im Journalismus veröffentlichte. Auch bei künstlich generierten Inhalten seien in letzter Instanz Journalist:innen und Redaktionen verantwortlich, heisst es dort. Darin liegt aber gerade das Problem.
Man kann KI als reines Werkzeug betrachten. Im Unterschied zu einem Texteditor oder einem Aufnahmegerät kann es aber selbstständig Aussagen über die Wirklichkeit erzeugen. Journalist:innen müssten ausreichend Zeit haben, um die mittels statistischer Verfahren erzeugten Texte zu kontrollieren. Laut Ringier ist das im Verlagshaus der Fall. Mitarbeitende würden dank der KI-Tools Zeit gewinnen, die sie in Factchecking, Recherche und Storytelling investieren könnten, so die Medienstelle.
Das beisst sich aber mit dem seit Jahren laufenden Abbau von journalistischen Ressourcen in den grossen Verlagshäusern. Erst Anfang Jahr kündigte Ringier die Streichung von 55 Stellen an – auch in den Redaktionen. Mit KI hat man hingegen grosse Pläne: Im Jahresbericht, der vergangenes Jahr erschien, nannte Verwaltungsratspräsident Michael Ringier Chat GPT den «wohl prominentesten freien Mitarbeiter der Zukunft». Im März 2024 wurde der erste KI-generierte Bericht veröffentlicht. Anfang Juli lieferte Google bereits über 250 Suchtreffer für «Blick»-Artikel, die mit der Technologie erzeugt worden waren.
Leser:innen sind skeptisch
Ob «Blick»-Leser:innen das begrüssen, ist fraglich. Eine repräsentative Umfrage der Uni Zürich von 2023 zeigt, dass weniger als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung KI-generierte Artikel lesen möchte. Für menschengemachten Journalismus interessierten sich hingegen noch über 84 Prozent. Mit dem verstärkten Einsatz von KI riskiert Ringier, sein publizistisches Geschäft weiter zu unterminieren.
Und zwar gleich doppelt. Für die Texterzeugung hat Ringier keine eigene KI entwickelt, sondern nutzt Basismodelle der US-Firmen Anthropic und Open AI. Letztere bietet ihren Kund:innen mit Chat GPT bereits die Möglichkeit, Nachrichten aus aller Welt zusammenfassen zu lassen. Zwischen den algorithmisch erzeugten Aussagen und der Leser:innenschaft stehen hier keine Journalist:innen mehr. Billiger ist das allemal.
So weit wie Ringier sind die anderen Schweizer Grossverlage noch nicht. Aber auch CH Media liess jüngst von KI einen Artikel aus dem «Tages-Anzeiger» kopieren und neu schreiben. Einer der «Tagi»-Autoren entdeckte gleich «drei ziemlich grobe Fehler» darin, wie er auf X schrieb.