Unreformierbare Polizei: Und zum Schluss gibts ein Knie in den Rücken

Nr. 26 –

Ein Untersuchungsbericht stellt der Basler Kantonspolizei ein vernichtendes Zeugnis aus. Doch wichtige Stellen bleiben vage. Gespräche mit Polizist:innen zeigen das wahre Ausmass.

Polizist:innen in Schutzmontur
Toxische Schweigekultur: Missstände bleiben oft unter dem Deckel. Foto: Keystone

Kurz vor den Sommerferien hat eine Untersuchung zu den Zuständen in der Kantonspolizei den politischen Betrieb in Basel durchgerüttelt. Der Basler Staats- und Verwaltungsrechtler Markus Schefer und die niedersächsische Polizeidirektorin Claudia Puglisi haben letzte Woche anhand von 372 Einzelinterviews eine recht umfassende Darstellung der vielen Missstände im Korps erstellt (siehe WOZ Nr. 25/24). Anlass der Untersuchung war die sehr hohe Fluktuation beim Personal gewesen.

Der Befund ist deutlich: Der Alltag in der Basler Polizei ist geprägt von einer Angstkultur – wer Kritik übt, wird abgestraft. Im Beförderungswesen gibt es Vetternwirtschaft. Sexistische und rassistische Praktiken sind verbreitet und werden strukturell begünstigt.

Als wahrscheinlich gilt, dass die für den Zustand der Polizei verantwortliche Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) den Kommandanten Martin Roth bald entlassen wird. Dabei war es Roth selber, der die Untersuchung in Auftrag gegeben hatte. Jene Polizist:innen, die auf den dringend nötigen Kulturwandel hoffen, befürchten, dass sich der Reformdrang im Abgang von Roth erschöpft. «Wir sehen alle paar Jahre einen neuen Kommandanten, doch die Probleme bleiben immer die gleichen», sagt eine Polizistin. Dass der Bericht die nötigen Veränderungen anstösst, wird intern bestritten, auch weil die Untersuchung an wichtigen Stellen, etwa bei den Hauptthemen «Sexismus» und «Rassismus», eher allgemein bleibt.

Sexuelle Übergriffe

Die WOZ hat deshalb anhand eigener Recherchen wichtige Kritikpunkte konkretisiert. So ist im Bericht etwa von einer mit «sexuellen Konnotationen durchsetzten Sprache» die Rede. Was bedeutet das? Gemeint sind oft vorkommende Beleidigungen wie «Dummfutz», «Scheissweib», «Matratze» oder «Fotze», mit denen Polizistinnen von Kollegen oder Vorgesetzten im Alltag abqualifiziert werden.

Dann heisst es im Bericht, Vorgesetzte würden neuen Polizist:innen Unterstützung anbieten, um sie danach intim zu bedrängen – eine «offenbar weit bekannte Praxis». Gemeint ist damit unter anderem der Umgang mit Polizeiaspirant:innen; betroffen sind in geringerem Ausmass auch junge Männer. So würden auf diversen Polizeiposten die Bilder von Polizeischülerinnen aufgehängt und diese in «fickbar» oder «unfickbar» eingeteilt. Dann würden Wetten abgeschlossen, wer mit wem zuerst Sex haben werde. Der Kontakt wird über eine interne Chat-App aufgenommen.

Nicht ausgeführt werden im Bericht sexuelle Übergriffe wie das Anfassen von Po oder Brüsten durch Kollegen, von denen Polizistinnen berichten. Abschätzige Kommentare zum Körper von Frauen seien verbreitet. Angeführt wird auch ein Begrüssungsritual eines Kadermanns, der Polizistinnen ohne ihr Einverständnis auf den Mund geküsst haben soll. Der Mann ist seit kurzem in Pension, doch andere sollen dieses Verhalten übernommen haben.

Immerhin wurden die Vergehen teilweise geahndet. Toprak Yerguz von der Medienstelle des Basler Justiz- und Sicherheitsdepartements sagt: «Es ist eine Tatsache, dass einzelne männliche Mitarbeitende wegen sexuellen Anzüglichkeiten oder gar übergriffigem Verhalten Konsequenzen zu spüren bekommen haben.»

Jagd auf Dunkelhäutige

Vage bleibt der Bericht auch im Problemfeld Rassismus. So heisst es dort zwar, dass problematische Verhaltensweisen toleriert würden und negative Stereotype bestünden. Doch das Ausmass wird erst in Gesprächen mit Polizist:innen deutlich: Der Rassismus zeigt sich etwa darin, dass Vorgesetzte «N*fangis» anordneten, worauf gezielt dunkelhäutige Menschen kontrolliert würden. Festnahmen sollen besonders dann häufig gewalttätig ausfallen, wenn sie Menschen aus Nordafrika betreffen.

«Dann gibts oft noch eine Ohrfeige oder ein Knie in den Rücken, auch wenn die Person schon gefesselt ist», erzählt eine Polizistin. Und: «Niemand sagt etwas, auch wenn das viele nicht gut finden.» Yerguz bezeichnet die missbräuchlichen Personenkontrollen als «Unding, das intern bekämpft wurde». Doch auch Polizist:innen mit dunkler Hautfarbe sind dem Rassismus im Korps ausgesetzt. Geschildert werden Affenlaute durch Kollegen oder das Verweigern des Handschlags, weil die Hand angeblich schmutzig sei.

Es sind Darstellungen einer enthemmten Polizei. Dazu kommt eine ausgeprägte Schweigekultur: Polizist:innen, die mit dem toxischen Berufsalltag nicht einverstanden sind, begehren nur selten auf. Denn wer Fehlverhalten meldet, gilt im Basler Polizeisprech schnell einmal als «Ratte» – und wird isoliert. Yerguz sagt, es brauche ein Arbeitsklima, in dem solche Fälle gemeldet würden.

Rechtsextreme Symbole

Gar nicht erwähnt werden im Untersuchungsbericht weitverbreitete rechtsextreme Symbole wie der bei US-amerikanischen White-Supremacy-Extremisten beliebte Punisher-Totenschädel. So soll es Einheiten geben, deren Mitglieder sich diesen gar tätowiert haben. Poster mit diesem aus einem Comic stammenden Symbol hingen zeitweise bei der Brennpunktpolizei im Problemstützpunkt Horburg. Auch daran hat sich kaum jemand gestört.

Yerguz sagt abschliessend, man könne nie ausschliessen, dass sich unter den rund tausend Mitarbeiter:innen auch Personen mit rassistischen oder sexistischen Haltungen befinden würden; entscheidend sei, dass sich diese Personen nicht entfalten könnten.

Das, so scheint es, hat die Basler Kantonspolizei verpasst.

Nachtrag vom 4. Juli 2024: Fisch, Kopf, Kündigung

Es sei ein erster Entscheid, sagte die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann letzten Freitag vor der Presse, «aber es ist nicht der letzte». Eymann hat den Kommandanten Martin Roth freigestellt, nachdem ein Untersuchungsbericht die unhaltbaren Zustände im Korps offenbart hatte. Recherchen der WOZ zufolge ist alles noch schlimmer als im Bericht skizziert: explizite, sexistische Beleidigungen gegenüber Polizistinnen, rassistische Polizeikontrollen, Gewalt gegenüber Schwarzen, sexuelle Übergriffe – die Liste ist lang.

Die Ausgangslage, so Eymann, sei verheerend. Einen Kulturwandel herbeizuführen, brauche allerdings Jahre, das müsse man nun angehen. Ausserdem danke sie Kommandant Roth, der den Untersuchungsbericht erst in Auftrag gegeben hatte. Da aber die Leitungsebene und der Kommandant Teil des Problems seien, führe der «Weg in die Zukunft» über eine neue Leitung.

Als konsequent und entschlossen wurde Eymann in den Medien danach gelobt. Dass sich die LDP-Politikerin offenbar nicht zur Leitungsebene zählt und es ihr auch nicht einfällt, dass sie als Departementsvorsteherin eine Mitverantwortung tragen könnte? Ein Detail. Dass sie doch eigentlich seit Jahren mit Roth zusammengearbeitet hat und nun vorgibt, nichts gemerkt zu haben? Dass Roths Kündigung wohl vor allem Eymanns Profilierung dient, sie Handlungsfähigkeit demonstrieren kann auf einem Feld, das hoffnungslos verloren ist? Alles Details.

Bemerkenswert sind neben dieser symbolischen Dampfplauderei vor allem zwei Aussagen: Erstens bezweifelte selbst Eymann, dass eine von der Ratslinken geforderte PUK einen Kulturwandel herbeiführen könnte. Und zweitens sagte sie, sie habe Rückmeldungen von anderen Sicherheitsdirektor:innen in der Schweiz erhalten; bei denen sehe es «ähnlich» aus.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass eine Institution, die das staatliche Gewaltmonopol verkörpert, voller Gewalt ist – und alles andere als ein Ort kritischer Selbstreflexion. Wie sieht es im Berner Korps aus? Wie im Genfer oder Aargauer? Man darf vermuten: Der Fisch stinkt auch ohne Kopf. 

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Joliet Jake

Mi., 26.06.2024 - 23:10

Danke für diesen wichtigen Artikel.
Ein Kommentar zur Terminologie: "dunkelhäutig" wird mittlerweile aus einer antira-Sicht kritisiert, weil der Begriff die Hautfarbe in den Vordergrund stellt und nicht die sich durch sie ergebende Diskriminierung (anders zB bei "Schwarz" oder "PoC"). Da "hellhäutig" so gut wie nie gebraucht wird (der Autor spricht auch hier nicht von den "hellhäutigen Polizist:innen", sondern einfach von "Polizist:innen"), wird mit "dunkelhäutig" die Abweichung von der Norm benannt und damit Othering reproduziert.
Keine Wokeness, lediglich ein Angebot zum Lernen - take it or leave it.
Mehr hier: https://www.el-maawi.ch/assets/templates/public/image/Flyer/Glossar%20Race_22.pdf

Kommentar von renatobeck

Do., 27.06.2024 - 09:18

Vielen Dank für den wichtigen Input Joliet Jake! Wir werden das reflektieren und beim nächsten Mal anders machen.

Kommentar von aw-gw

Fr., 28.06.2024 - 10:05

Als Links- und SP-Wählerin frage ich mich schon, wie es bei der basel-städtischen Polizei soweit kommen konnte, dies seit Jahrzehnten(?) und in einem Kantonsparlament mit einer Rot-Grün-Mehrheit bei drei SP-Regierungsrät:innen. Die Erklärung, dass das SID in Bürgerlicher Hand Offenbar interessiert(e)

Kommentar von annafierz

Fr., 28.06.2024 - 21:42

Sehr empfehlenswert zu diesen schwierigen Themen ist ein Buch des ehemaligen Polizeichefs von San Diego und Seattle, Norm Stamper: "Breaking Rank", nicht neu, aber antiquarisch noch erhältlich. Manches ist überall gleich, manches natürlich nicht.

Problematisch ist sicher der chronische Personalmangel. Stress macht niemanden empathischer. Ich würde mir wünschen, dass von links der SP bei Missständen nicht gleich die Forderung käme, der Polizei die Budgets zu kürzen. Der Job ist schwierig genug. Für ihre ungeeigneten Einsatzmittel (Stichwort Gummischrot) können die Leute im Dienst nichts, auch hier sind Budgetkürzungs-Anträge m.E. kein tauglicher Weg. Der Abbau von Feindbildern gelingt nur gemeinsam. (Vgl. die Arbeit "Gewalt gegen Polizisten aus Gruppen" aus Zürich.)