Internationaler Währungsfonds: Kenia in der Schuldenfalle

Nr. 29 –

Die Verschuldung vieler Länder des Südens ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Folgen der aufgezwungenen Sparprogramme sind fatal. Doch es regt sich Widerstand.

Foto des Mathare-Slums bei Nairobi
Im Mathare-Slum von Nairobi spülte der Regen im April zahlreiche Hütten weg. Die Behörden brachten keine Hilfe, sondern zerstörten weitere Behausungen.    Foto: Cre8ve Stan

«Kenia ist nicht die Laborratte des IWF», «IWF und Weltbank. Stoppt die moderne Sklaverei» – einige der Schilder der aktuellen Protestbewegung in Kenia bringen es auf den Punkt: Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank sind mit ihren rigorosen Bedingungen für Kredite mit schuld, dass für die normale Bevölkerung das Leben immer teurer wird und die Verarmung steigt.

Das ostafrikanische Land ist in der Falle. Es ist mit über achtzig Milliarden US-Dollar verschuldet. Mehr als ein Viertel seiner jährlichen Staatseinnahmen muss es für Zinsen und Schuldentilgungen aufwenden. Deshalb fehlt Geld für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit sowie für Investitionen in eine nachhaltige ökonomische Entwicklung.

Um wichtige weitere Kredite zu erhalten, ist Kenia gezwungen, sich den Bedingungen des IWF unterzuordnen: Die Regierung soll etwa Subventionen für Treibstoff und Elektrizität streichen, Konsumsteuern erhöhen und staatliche Unternehmen privatisieren. Sonst droht der Staatsbankrott.

Die Proteste gegen die Sparpolitik hat Präsident William Ruto brutal unterdrücken lassen. Mindestens 39 Demonstrant:innen wurden getötet, 361 verwundet. Doch schliesslich hat Ruto sein umstrittenes Gesetzespaket zurückgezogen, das weitere Steuererhöhungen vorgesehen hätte und daher Auslöser für die Proteste gewesen war. Und: Ruto hat als Reaktion auf die Demonstrationen am vergangenen Donnerstag zudem die Regierung entlassen. Zuvor hatte der IWF in einer dürren Medienmitteilung verlauten lassen, man wolle das Land weiter dabei unterstützen, seine «schwierigen wirtschaftlichen Herausforderungen» zum «Wohle seiner Bevölkerung» zu lösen. Dabei ist absehbar: Der IWF wird auf seinen Bedingungen beharren, wie er das immer tut.

Die Geschichte wiederholt sich

Der Internationale Währungsfonds wurde zusammen mit der Weltbank vor achtzig Jahren anlässlich einer Konferenz im US-amerikanischen Bretton Woods gegründet. Damals ging es um die Errichtung einer neuen globalen Finanzordnung nach dem Weltkrieg. Ziel der auf der Konferenz dominierenden USA war es, offene Märkte zu schaffen und den US-Dollar als Leitwährung zu etablieren. Der IWF sollte Ländern mit wenig Dollars Kredite gewähren, damit sie ihre Schulden zahlen können, die Weltbank den Wiederaufbau kriegszerstörter Länder mit langfristigen Darlehen finanzieren.

In den siebziger Jahren übernahmen IWF und Weltbank vermehrt die Kreditvergabe an Länder des Südens, die von Krediten privater Banken abgeschnitten wurden. Schon damals waren Strukturanpassungsprogramme immer Bedingung. Gemäss dem sogenannten Washington-Konsens der beiden Institutionen sollten verschuldete Länder ihre Ausgaben drosseln und die Währung abwerten, die Wirtschaft liberalisieren, Staatsbetriebe privatisieren und Subventionen abbauen. Schon damals wurde in vielen Ländern gegen die aufgezwungene Austeritätspolitik aus Washington demonstriert; in den reichen Metropolen gab es Solidaritätsaktionen.

Ab Ende der neunziger Jahre verloren IWF und Weltbank an Bedeutung: Immer weniger Staaten wollten sich ihrem Diktat beugen, auch wenn sie dafür höhere Zinsen mit der Ausgabe von Obligationen in Kauf nahmen. Andere nahmen vermehrt Kredite bei Unternehmen oder einzelnen Ländern auf. Der grösste bilaterale Kreditgeber ist derzeit China, gefolgt von Japan, Frankreich, Deutschland und Russland.

Seit der Finanzkrise von 2008 ist der IWF aber zurück im Spiel. Mit der Covid-Krise und dem Energiepreisanstieg im Zuge des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine wuchs seine Bedeutung weiter. Viele Länder erhalten nirgends sonst noch Kredit.

Die Schuldenkrise ist dramatisch: Vierzig Prozent der Weltbevölkerung lebt inzwischen in Staaten, die mehr Schuldzinsen zahlen, als sie für Bildung und Gesundheit ausgeben können. Uno-Generalsekretär António Guterres warnte im April, so könne es nicht weitergehen, und geisselte das System als «kontraproduktiv, amoralisch und falsch».

Viele Länder des Südens, besonders in Afrika, befinden sich in einer ähnlich misslichen Situation wie Kenia: In Nigeria etwa hat Präsident Bola Tinubu auf Druck des IWF kürzlich Benzin- und Stromsubventionen gestrichen und die Währung abgewertet, was Importe verteuert. Damit werden «Millionen Bürger noch weiter in die Armut getrieben», wie die «Financial Times» schreibt. Die Gewerkschaften reagierten mit Streiks und legten vergangenen Monat vorübergehend die Stromversorgung lahm. Kann man sich den IWF-Forderungen verweigern? Tunesien hat wegen Protesten aus der Bevölkerung seine im Oktober 2022 dem IWF versprochenen Reformen nicht umgesetzt – prompt setzte daraufhin der IWF seine Zahlungen aus. Inzwischen wird wieder verhandelt.

Aber auch in Asien hat die Schuldenkrise katastrophale Folgen. Pakistan hat vergangene Woche mit dem IWF einen neuen Kredit im Umfang von sieben Milliarden US-Dollar ausgehandelt. Das Land setzt rund die Hälfte seines Staatshaushalts zur Schuldentilgung und für Zinszahlungen ein. Und auch in Sri Lanka ordnet sich der Staat wieder den IWF-Bedingungen unter. 2022 hatte die Bevölkerung gegen die ökonomische Misere demonstriert, was zum Rücktritt der Regierung führte. Die neue Regierung hat inzwischen die Mehrwertsteuer von acht auf achtzehn Prozent erhöht und ist daran, Dutzende Staatsbetriebe zu privatisieren.

Die anderen sollen auch

Ein grundlegender Wandel ist nicht absehbar. Überschuldeten Ländern werden die Schulden meist nicht erlassen, man gewährt ihnen höchstens Erleichterungen bei der Rückzahlung. Weder ist der IWF bereit, im grossen Stil seine Kredite abzuschreiben, noch lassen sich einzelne Staaten oder gar kreditgebende private Banken oder Rohstoffkonzerne wie Glencore auf umfassende Verzichtserklärungen ein.

Die Entschuldungsfrage ist auf politischer Ebene blockiert. Der IWF wird von den westlichen Staaten dominiert. Sie argumentieren, dass sie nicht bereit seien, auf substanzielle Rückzahlungen zu verzichten, wenn nicht auch private und bilaterale Kreditgeber ihre Forderungen abschreiben. Gemeint ist damit nicht zuletzt China als grösster bilateraler Kreditgeber. So wird die Entschuldungsfrage auch durch machtpolitische Rivalitäten verkompliziert.

Eine umfassende Entschuldung fordern derweil nichtstaatliche Organisationen und Basisorganisationen. So zielt etwa eine Kampagne darauf ab, dass im katholischen «Jubeljahr» 2025 eine globale Schuldenstreichung stattfindet. Auch der Papst hat sich dieser Forderung angeschlossen.

Klimaschuld mitrechnen

Die deutsche NGO Erlassjahr weist darauf hin, dass viele verschuldete Länder viel zu wenig ausgeben können, um sich vor den absehbaren Klimakatastrophen zu wappnen. Laut der britischen NGO Debt Justice leisten fünfzig Länder, die besonders stark von Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen betroffen sind, viermal mehr Schuldzahlungen ans Ausland als noch 2010. Kenia zum Beispiel wurde gerade in den letzten Monaten von Überschwemmungen heimgesucht. Laut Angaben der Uno mussten ab März 300 000 Menschen evakuiert werden, 315 starben in den Fluten.

Inzwischen wird auf internationalen Konferenzen der Staatengemeinschaft darüber diskutiert, dass Kreditgeber auf einen Teil der Schulden verzichten sollten, wenn die Schuldenstaaten dafür mehr Mittel für nachhaltige Entwicklung bereitstellen. Auch sind marktbasierte Lösungen im Gespräch: hochkomplexe Finanzinstrumente, bei denen Schuldentitel in neue Schulden umgewandelt werden, die dann für Klimamassnahmen genutzt werden sollen.

Die Aktivist:innengruppe Debt for climate, die in dreissig Ländern präsent ist, fordert demgegenüber eine bedingungslose Schuldenstreichung. Tatsächlich schuldeten die reichen Industriestaaten den Ländern des Südens Billionen.

Das lässt sich wissenschaftlich untermauern: Der Ökonom Andrew Fanning und der Anthropologe Jason Hickel haben in einer Studie die Klimaschulden zwischen den Staaten untersucht. Sie gingen dabei von Treibhausgasbudgets aus, die jedes Land aufgrund seiner Bevölkerungszahl zur Verfügung hat. Länder wie die USA, die Staaten der EU, aber auch die Schweiz haben demnach ihr CO₂-Budget längst überschritten. Andere Länder, meist hoch verschuldete, haben demgegenüber noch sehr wenig ihres fairen Anteils verbraucht. Zwischen dem CO₂-Ausstoss und dem wirtschaftlichen Reichtum eines Staates lässt sich darüber hinaus ein klarer Zusammenhang nachweisen. Weil nun Länder mit wenig Treibhausgasausstoss zum Wohl des Klimas darauf verzichten müssen, stehen die grossen Emittenten in der Schuld. Die Berechnungen der beiden Forscher sind frappierend: Allein die Schweiz müsste jedes Jahr über 25 Milliarden US-Dollar Ausgleich zahlen. Kenia sollte demnach im Gegenzug mehr als 57 Milliarden US-Dollar pro Jahr erhalten.

Auch wenn derzeit kaum etwas darauf hindeutet, dass solche Zahlungen je geleistet werden: Die Diskussionen über Schulden und Klima, etwa an den Klimakonferenzen der Uno, werden in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Der Druck steigt weiter, je mehr Proteste wie zurzeit in Kenia stattfinden. Wichtig wäre allerdings, dass diese auch durch Solidaritätsaktionen in den reichen Ländern des Nordens unterstützt werden.

Foto von Emily Kwamboka
Emily Kwamboka: «Ich schlafe aus Angst nicht mehr in meiner Wohnung.»  Foto: Cre8ve Stan

Stimmen aus Kenia (1) : Emily Kwamboka: Die Aktivistin

Seit Beginn der «Gen-Z-Proteste», wie wir die anhaltenden Proteste hier nennen, schlafe ich nicht mehr in meiner Wohnung. Ich habe Angst, von der Polizei verschleppt zu werden. Viele Aktivist:innen wurden in den vergangenen Wochen gekidnappt, Dutzende später tot aufgefunden, andere teils traumatisiert wieder freigelassen (siehe WOZ Nr. 27/24). Nun wohne ich bei Verwandten. Freund:innen teilten mir mit, dass meine Telefonnummer beim Nachrichtendienst registriert sei; ich habe deshalb damit aufgehört, mich telefonisch oder online über meinen Aktivismus auszutauschen. Und ich bin sehr vorsichtig, wenn ich Anrufe von unbekannten Nummern erhalte.

Ich bin schon lange Aktivistin; war zunächst Teil der Frauenbewegung, die Kampagnenarbeit für die neue föderalistische Verfassung machte. Diese trat 2010 in Kraft. Meine Mutter drohte mir deswegen, mich rauszuwerfen. Sie verstand nicht, was die Verfassung für Kenia bedeutet. Sie ist nie zur Schule gegangen.

Ich bekämpfte auch die Gewalt gegen Frauen und Kinder in meiner direkten Nachbarschaft im Mathare-Slum in Nairobi. Später begann ich, mich für das Recht auf sichere Abtreibung einzusetzen. In Kenia ist es – unter den meisten Umständen – immer noch illegal abzutreiben.

Nach der Stürmung des Parlamentsgebäudes in Nairobi und den Gewaltexzessen der Sicherheitskräfte am 25. Juni, dem bislang blutigsten Tag der Proteste, konnten wir vorläufig nicht mehr auf die Strasse. Die Bewegung musste ihre Strategie anpassen. Und Kenias Präsident William Ruto wollte mit den Anführer:innen der Protestbewegung in einen Dialog treten. Für wie dumm hält er uns? Wir wissen genau, wie diese Regierung funktioniert – und haben gar keine Anführer:innen. Denn wer sich vorne hinstellt, muss um sein Leben fürchten. Und so kann man uns auch nicht kaufen.

Unser Präsident nimmt die vielen Toten in Kauf, um an der Macht zu bleiben. Nachdem er letzte Woche das Regierungskabinett aufgelöst hat, müssen wir äusserst wachsam sein. Wenn er klug ist, hört Ruto jetzt auf die Bevölkerung – und holt nicht wieder unqualifizierte Loyalist:innen in die Regierung.

Foto von Lukas Oyugi
Lookey Moha: «Die Regierung führte Steuern ein auf alles, was ich zum Leben brauche.»  Foto: Cre8ve Stan

Stimmen aus Kenia (2) : Lookey Moha: Der Fotograf

Ich lebe und arbeite als Fotograf in Kibera, dem grössten Slum von Nairobi. Hier bin ich als jüngstes von acht Geschwistern aufgewachsen. Am 25. Juni, dem Tag, an dem das Parlament gestürmt wurde, war ich mit der Kamera dabei, aber ohne Presseausweis. Die Stimmung war anfangs noch grossartig. Die Polizei war gar nicht auf eine Masse junger, friedlicher Menschen vorbereitet. Die Beamt:innen werden darauf abgerichtet, furchteinflössend aufzutreten. Aber die Zeiten haben sich geändert: Die Furcht ist weg.

Eigentlich heisse ich Lukas Oyugi, ich nenne mich aber Lookey Moha, denn ich möchte meine ethnische Zugehörigkeit nicht bereits durch meinen Namen verraten. Die Gen-Z-Bewegung steht für einen Staat ohne Tribalismus: Die Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sollen sich von den politischen Eliten nicht gegeneinander ausspielen lassen. Das war früher anders.

In der Protestbewegung gibt es auch keine Klassen: Niemand ist höhergestellt als andere. Die Bewegung ist organisch gewachsen. Wir treffen uns online, um uns auszutauschen – und wir blicken auch in andere Länder, um zu lernen, wie die Leute dort protestieren, welche Strategien sie nutzen.

Präsident Ruto hat sich als religiöses Staatsoberhaupt inszeniert, an dessen Regierungssitz ein Alkoholverbot herrsche und nur Tee getrunken werde. Mittlerweile wissen wir, dass der Alkohol dort billiger ist als der Tee. Ohnehin hinterfragt unsere Generation die Religion. Im Gegensatz zu unseren Eltern haben wir verstanden, dass das Christentum uns die Sklaverei eingebracht hat und dass in den Kirchen viele Abscheulichkeiten geheim gehalten werden.

Rutos Regierung ist mit einem umfangreichen Manifest angetreten, in dem unsere Generation aber gar nicht vorkommt. Sie führte Steuern ein auf alles, was ich zum Leben brauche. Statt sich um die Politik zu kümmern, sind die Regierungsmitglieder zu Influencern geworden; auf Tiktok präsentieren sie ihre teuren Uhren und coole Autos, sie inszenieren sich auf ihren Auslandreisen. Dabei wurden sie gewählt, damit sie unsere Interessen vertreten – und nicht, damit sie teure Ferien machen. Nun bereiten wir uns auf die nächste grosse Demonstration vor.

Foto von Maxwell Magawi
Maxwell Magawi: «Präsident Ruto ist ein Laufbursche von IWF und Weltbank.» Foto: Cre8ve Stan

Stimmen aus Kenia (3) : Maxwell Magawi: Der Student:innenführer

Die Protestbewegung, die sich anfänglich gegen die Steuererhöhungen richtete, erhebt längst auch weitreichendere Forderungen, so auch jene nach dem Rücktritt des Präsidenten. Das ultimative Ziel ist es aber, den gesamten politischen Apparat zu stürzen und eine neue Staatsordnung zu schaffen. Präsident Ruto ist der Laufbursche von IWF und Weltbank und handelt in deren Interesse; diese Institutionen fordern, dass Menschen besteuert werden, die ohnehin schon nicht mehr in der Lage sind, ein das Überleben sicherndes Einkommen zu erzielen.

Bei den Gen-Z-Protesten handelt es sich um einen kollektiven Befreiungskampf, der alle Generationen vereint. Und nicht zuletzt geht es auch um den Kampf gegen eine falsche Geschichtsschreibung: Diese huldigt immer noch dem Landesvater Jomo Kenyatta, der im Zuge der Unabhängigkeit vor sechzig Jahren ein Drittel von Kenias Land für seine Familie in Besitz genommen hat. Die wahren Freiheitskämpfer:innen von damals werden derweil totgeschwiegen.

Ich bin im letzten Semester meines Jurastudiums und möchte anschliessend die Ausbildung zum Menschenrechtsanwalt absolvieren. Derzeit bin ich ausserdem Direktor des Students’ Caucus, eines Student:innenausschusses, den ich mitgegründet habe. Wir fordern die Integrität des kenianischen Bildungssektors und machen Lösungsvorschläge, um die Hochschulen im Land mehr Menschen zugänglich zu machen. Denn das staatliche Bildungssystem war von Anfang an falsch aufgegleist: Es ist einzig darauf ausgerichtet, effiziente Arbeitskräfte zu produzieren. Der kenianische Staat fürchtet Kompetenz, also will er Bürger:innen heranziehen, die sich dem System unterordnen. Keine Intellektuellen, sondern brav nickende Ja-Sager:innen. Dagegen wehren wir uns: Wir Student:innen wollen unabhängig sein und uns nicht politisch vor diesen Karren spannen lassen. Deshalb klinken wir uns auch in die Gen-Z-Bewegung ein.

Heute gibt es in Kenia immer mehr Hochschulabsolvent:innen, denen der Markt nichts zu bieten hat. Sie stellen der Elite Fragen – und durchbrechen damit eine Art Schallmauer. Diesen Moment, da die Proteste lauter werden, hat der Staat so lange wie möglich zu verhindern versucht: Im Hochschulbetrieb gelten scharfe Strafgesetze, um engagierte und kritische Studierende zu kriminalisieren und auszuschliessen. Es gibt staatliche Regulierungen, um Student:innenversammlungen zu unterbinden. Mit dem University Amendment Act von 2016 hat die Regierung den Studierenden sogar das Mitspracherecht bei der Ernennung von Studierendenführer:innen abgesprochen.

Letztes Jahr wurden als Sparmassnahme sämtliche institutionellen Subventionen des kenianischen Hochschulapparats gestrichen. Ausgebaut wurde hingegen der Stipendienapparat. Das führt dazu, dass Politiker:innen die Stipendienvergabe als Wahlkampfinstrument nutzen und die Bildung für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren: Sie machen im Wahlkampf grosszügige Versprechen und machen sich wichtig, dabei verteilen sie einfach nur Steuergelder – von denen überdies sehr viel in ihren eigenen Kreisen versickert.

Die politischen Eliten müssen aber wissen, dass sich ein Fluss nicht ewig aufstauen lässt, irgendwann bricht der Damm. Nun gibt es nur eine Lösung: Rechtsstaatlichkeit. Die nun erfolgte Entlassung des Regierungskabinetts bietet eine Chance, um weiterhin auf eine grundlegende Reform der Regierungsstruktur zu drängen. Ganz zentral ist dabei, dass eine strafrechtliche Aufarbeitung der brutalen Gewalt gegen die Protestierenden stattfindet. Und dass untersucht wird, wie genau es dazu kam, dass manche der Regierungsmitglieder zuletzt innert kürzester Zeit immense Vermögen angehäuft haben.

Alle Testimonials Aufgezeichnet von Valerie Thurner, Nairobi