Israel  und Palästina: Hoffnung als Handlung

Nr. 29 –

Gegen den Krieg in Gaza, für die Rückkehr der Geiseln: In Tel Aviv formiert sich eine neue Friedensbewegung. Wird es ihr gelingen, eine linke Gegenmacht aufzubauen?

Die Botschaft war auf den LED-Bildschirmen an den Wänden der Arena zu lesen: «Es ist an der Zeit, eine Vereinbarung zu treffen. Den Krieg zu beenden. Frieden zu schliessen.» 6000 Menschen strömten am 1. Juli zur Konferenz in der Menora-Arena in Tel Aviv, begleitet von John Lennons «Imagine». Ein Zusammenschluss von rund fünfzig Organisationen und Einzelpersonen aus dem linken Friedenslager hatte den Kongress organisiert – mit dem Ziel, eine neue Friedensbewegung zu formieren.

Frieden in Israel und Palästina. Das klingt realitätsfern, seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober, seit des darauffolgenden Krieges und der Zerstörung des Gazastreifens durch Israel. Hat diese neue Friedensbewegung die Chance, eine relevante Grösse zu werden? Kann sie den politischen Kurs im Nahen Osten ändern?

Für Maoz Inon, der die Bewegung mit ins Leben gerufen und die Konferenz mitorganisiert hat, ist klar: «Bis 2030 wird in Israel und Palästina Frieden herrschen», sagt er am Telefon. Er meint das nicht ironisch, er sagt: «Vielleicht sogar schon früher.» Inons Eltern wurden am 7. Oktober im Kibbuz Nir Am von der Hamas getötet, sein Glaube an Sicherheit durch militärische Kontrolle brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

«Wir sehen das Potenzial»

Die neue Bewegung versucht, die Fehler der Friedensbewegung, die nach der Ermordung Jitzhak Rabins 1995 versiegte, nicht zu wiederholen. Vor allem geht es darum, eine palästinensisch-jüdische Bewegung aufzubauen, die zeigt, dass es auf der anderen Seite Partner:innen für den Frieden gibt. Zu den Redner:innen an der Konferenz gehörten jüdische und palästinensische Israelis, deren Angehörige am 7. Oktober als Geiseln genommen und getötet wurden, Kriegsdienstverweiger:innen, Intellektuelle und einige palästinensische und jüdische Politiker:innen der linken Parteien.

Die Dringlichkeit der Situation, meint Inon, spiele den Friedensaktivist:innen in die Hände. Der Preis, den beide Seiten für den Krieg zahlten, sei zu hoch. Doch glauben die Israelis an eine politische Lösung?

Laut einer Studie des Washingtoner Meinungsforschungszentrums Pew Research Center denken nur noch rund ein Viertel der Israelis, dass Israel und ein unabhängiger palästinensischer Staat friedlich nebeneinander existieren könnten. Im vergangenen Jahr, nur vier Wochen vor dem 7. Oktober, sagten dies noch 35 Prozent. 2013 waren es rund die Hälfte aller Befragten.

Inon verweist jedoch auf andere Umfragen. Laut einer Studie von Achord, einem Forschungsinstitut der Hebräischen Universität Jerusalem, befürworten 31 Prozent der Israelis einen palästinensischen Staat – und im Gegenzug eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten – voll und ganz, weitere 32 Prozent stehen dieser Möglichkeit zumindest offen gegenüber. Es komme darauf an, wie man die Umfragen lese, so Inon. «Wir sehen das Potenzial.»

Den Papst treffen

Der Aktivist muss weiter. Er ist in diesen Tagen mit seinem Freund und Mitstreiter Aziz Abu Sarah, auch er Mitorganisator der Konferenz, in den USA unterwegs. Vor zwei Monaten sprachen sie mit dem Papst, waren in Genf zur Vernetzung, jetzt treffen sie US-amerikanische Politiker:innen. Ihr Ziel: die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, Friedensinitiativen im Nahen Osten zu finanzieren – also NGOs wie Breaking the Silence und Women Wage Peace, Dialogprojekte und jüdisch-palästinensische Schulen. Sie wollen, dass die EU und die USA in Frieden investieren statt in Krieg und in die extrem rechte Netanjahu-Regierung.

Doch es gibt auch Friedensaktivist:innen, denen die neue Bewegung die verlorene Hoffnung nicht zurückgibt – zum Beispiel Gali Agnon. Als sie den Anruf entgegennimmt, läuft sie gerade einen Bergpfad hinunter, zwei Stunden von Rom entfernt. Agnon war seit ihrer Jugend eine Art Vollzeitfriedensaktivistin, hat palästinensische Bäuer:innen gegen Siedler:innen verteidigt, Dialoggruppen aus palästinensischen und jüdisch-israelischen Frauen geleitet, Demonstrationen angeführt. Jetzt hat sie aufgegeben. Sie sucht mit ihrer Familie ein neues Zuhause in Norditalien. Ein Rückflugticket hat sie nicht. Agnon ist kein Einzelfall. Gerade in progressiven israelischen Kreisen überlegen viele auszuwandern, viele sind schon weg.

Anfang Juli, als die Friedenskonferenz stattfand, war Agnon noch in Israel. Hingegangen ist sie nicht. «Die israelische Politik hat in den letzten zwanzig Jahren so hart daran gearbeitet, Frieden im Nahen Osten unmöglich zu machen», sagt sie. Eines der Ergebnisse: Die radikale Siedlerbewegung, die einst eine minoritäre Gruppe war, habe mehr Einfluss gewonnen. Die immer offensichtlicher werdende faktische Annexion des Westjordanlands – auch wenn sie nicht als solche bezeichnet wird –, die immense Zerstörung im Gazastreifen und die Traumata, die diese produziere: All das ist in ihren Augen schwer rückgängig zu machen. Die öffentliche Meinung sei nach rechts gedriftet. Agnon sieht keinen Weg mehr, dies zu ändern, auch nicht mit 6000 Friedensaktivist:innen.

Kein linkes Friedensprogramm

Eilat Maoz spricht ähnlich wie Agnon – aber sie hätte wohl an der Konferenz teilgenommen, wenn sie nicht im Ausland gewesen wäre. Die Anthropologin ist Mitglied der jüdisch-kommunistischen Partei Chadasch. Maoz’ Hoffnung auf Veränderung ist nicht gross. Sie, die jeden Samstag zu den Demonstrationen geht, um ihre Stimme gegen die Besetzung zu erheben, glaubt nicht daran, dass die Protestbewegung die Regierung stürzen kann. «Die Regierung klammert sich an die Macht», sagt Maoz. «Sie wird von innen zerbrechen – oder weiterbestehen.»

Das Grundproblem in ihren Augen: Es gebe kein tragfähiges linkes Friedensprogramm. Ende Juni verkündete der neu gewählte Vorsitzende der Arbeitspartei Avoda, Jair Golan, den Zusammenschluss mit der linken Partei Meretz. «Ein historischer Schritt», hiess es in linken Parteikreisen. In der Tat war die Wahl von Yair Golan ein Lichtblick für die pessimistische israelische Linke. Der Exgeneral eignet sich für solche Projektionen: Am Morgen des 7. Oktober, als die ersten Nachrichten über das Massaker der Hamas eintrafen, setzte er sich auf eigene Faust ins Auto und rettete in der Negevwüste zahlreiche Menschen vor den Hamas-Kämpfern. Doch am Ende, so Maoz, bleibe die Frage, was er anzubieten habe. «Ich habe kein wegweisendes Programm der Linken für den Frieden gesehen. Und die Programme, die ich gesehen habe, haben keine Unterstützung in der Öffentlichkeit.»

Gleichzeitig sei die aktuelle Protestbewegung, die für einen Waffenstillstand und ein Geiselabkommen kämpfe, in ihren Augen entschiedener links, pazifistischer und regierungskritischer als die breiten, liberalen Proteste gegen den Staatsumbau vor dem 7. Oktober – und daher entsprechend kleiner, so die Anthropologin. Gleichwohl schöpft sie daraus auch Hoffnung: Langfristig könnte aus dieser Bewegung doch noch eine linke Gegenmacht werden.

Auf der Konferenz Anfang Juli hatte Aktivist Maoz Inon gesagt, Hoffnung solle nicht so sehr als Substantiv, sondern als Verb verstanden werden. Auf den Tag, an dem diese WOZ erscheint, hat die Friedensbewegung zu einem Friedensmarsch nach Tel Aviv mobilisiert. Im aktuellen politischen Klima, in dem genozidale Rhetorik fester Bestandteil ist, wird deutlich, wie sehr Hoffnung schon Handlung ist.