Auf allen Kanälen: Grösser als das Leben
Paolo Fusi ist tot. Der «Wirtschaftsdetektiv», der auch ein Jahrzehnt lang für die WOZ gearbeitet hat, betrieb Enthüllungsjournalismus, wobei ihm gelegentlich das glühende Geschichtenerzählen in die Quere kam.
Manchmal ist ein Leben zu prall und zu reichhaltig für ein einziges Leben. Das gilt wohl für den im Juli verstorbenen Paolo Fusi, in den neunziger Jahren ein Aufsehen und Anstoss erregender Mitarbeiter der WOZ. Der Freund Carsten Rose hat ihn in einem Nachruf beschrieben: «Er war ein Auslöser. Er war ein Antreiber, ein Getriebener. Seine Gravitation war gewaltig.»
In autobiografischen Aufzeichnungen hat der 1959 in der Nähe von Rom geborene Fusi einige seiner vielfältigen, spektakulären Erfahrungen beschrieben, zuerst 2002 in einer Serie in der WOZ, dann, ein Jahrzehnt später, im Buch «Vom Winde verwöhnt. Denkwürdige Orte eines abenteuerlichen Lebens». Es enthält tolle Geschichten, toll erzählt. Allerdings «ist eine gute Erzählung immer schöner als die Taten, die sie inspiriert haben», hatte er schon 2005 in der Porträtsammlung «Prominent scheitern» gemeint.
Die Bösen entlarven
Beinahe ein Jahrzehnt lang hat Fusi für die WOZ geschrieben, vor der Jahrtausendwende, ein Jahr lang war er gar Redaktor. Was hat er in dieser Zeit alles angestellt! Er publizierte Satiren, Polemiken, aussergewöhnliche Kochrezepte, vor allem aber Recherchen. Die gelten zuweilen als Königsdisziplin im medialen Wettbewerb, vor allem aus männlicher Sicht. Kein Hundertmetersprint, sondern ein schweisstreibender Marathon. Rastlos einer Spur folgen. Indizien sammeln und zusammensetzen. Machenschaften aufdecken. Die Bösen entlarven und zu Fall bringen. Die Welt ein Stück besser machen.
Fusi grub immer wieder heisse Geschichten und brisante Verbindungen aus, mit viel Erfolg. Besonders den Tessiner und den Liechtensteiner Finanzplatz verfolgte er intensiv. Er legte sich mit Wirtschaftsführern wie dem Schweizer Financier Tito Tettamanti an, spürte den «Schatzmeister Saddam’s» (so der Titel eines Buchs von 2003) auf. Stolz heftete er sich 133 Klagen ans Revers. Aber zuweilen spitzte er die Erkenntnisse zu vor Zorn bebenden Geschichten zu: Hier war der Bösewicht, eindeutig und schwarz auf weiss. So brachte er die WOZ gelegentlich in juristische Schwierigkeiten, wenn ein Name oder eine Funktion verwechselt wurde oder eine Unterstellung nicht genügend abgesichert war.
Nach seiner Zeit in der Schweiz wirkte der Weltenbummler Fusi jahrelang in Erfurt. Ja, in Erfurt. In der thüringischen Stadt, 215 000 Einwohner:innen, war er bis 2014 eine unübersehbare Präsenz in der Kulturszene. Er schrieb Satiren fürs Erfurter Alternativmagazin und den freien Lokalsender, die vor keiner Überspitzung zurückschreckten; er trat als Sänger alleine und mit einer Gruppe auf, verfasste Lieder, sogar eine Oper, veröffentlichte Bücher, wirkte als Animator und Impresario.
Seine Haupttätigkeit aber blieb der Recherchierjournalismus, als «Wirtschaftsdetektiv». 2004 hatte er ein eigenes Unternehmen gegründet, Info Brokers International, das Spitzenrecherchen und Dossiers versprach. Als Kunden wurden «Banken, Industrien, Versicherungsgesellschaften, aber auch staatliche Behörden und Rechtsanwälte» ausgewiesen – der politische Anspruch wurde da nicht mehr immer eingehalten.
Unter Verdacht
2021 kehrte er aus Italien erneut nach Erfurt zurück, das er in einem Interview als seine wirkliche Heimat bezeichnete. Doch allmählich verlor er sich in einem Gespinst von Internetrecherchen. Der Reporter wurde selbst zum Objekt von Nachforschungen, etwa durch die «Zeit» oder die englischsprachige Wochenzeitung «Politico». So hatte er Anfang 2023 in Artikeln über den Korruptionsskandal im EU-Parlament auch die deutsche Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann der Korruption verdächtigt. Der «Zeit» gegenüber musste er eingestehen, über keine Belege zu verfügen, und gab eine Unterlassungserklärung ab. Die ehrenrührige Behauptung lebt allerdings auf dubiosen Internetseiten weiter. In andern Artikeln wollte er die Kritik am Golfstaat Katar als «Verleumdungskampagne» entlarven, geriet aber seinerseits in Verdacht, PR zu betreiben, womöglich auch nach der verheerenden Logik, da das Regime in Doha die Palästinenser:innen unterstütze, müsse man dieses Regime verteidigen.
Zusehends geschwächt, durch Raubbau an den eigenen Kräften, wie ihm selbst bewusst war, kehrte er nach Italien zurück, wo er, wie erst kürzlich öffentlich geworden ist, am 12. Juli im Alter von nur 65 Jahren starb.