Kubanisches Kino: Zu anarchisch für den revolutionären Apparat

Nr. 34 –

Drangsaliert, weggesperrt, vergessen: In seinem Dokumentarfilm «Landrián» rekonstruiert Ernesto Daranas die tragische Lebensgeschichte des afrokubanischen Filmemachers Nicolás Guillén Landrián.

3 Abbilder von Nicolás Guillén Landrián mit Filmkamera
Nicolás Guillén Landrián filmte, bis die staatliche Repression ihn daran hinderte. Nach Jahren zwischen Klinik und Gefängnis verliess er Kuba Richtung Miami. Foto: Trigon Film

Am Anfang steht eine symbolträchtig-surreale Einstellung: In einem dunklen Keller fällt der Blick in einen regalgesäumten Gang, an dessen Ende sich ein in die Wand eingelassener grosser Ventilator wie ein Windrad dreht. Diese Lüftungsöffnung ist die einzige Lichtquelle im Raum. Zwei alte Archivare mit Staubmasken vor dem Gesicht schlurfen umher und ziehen staubige Filmdosen aus den Regalen. Es muss tief gegraben werden, um den Schatz zu heben, von dem der Dokumentarfilm «Landrián» erzählen will.

Bei dem Kellerraum handelt es sich um das Archiv des staatlichen kubanischen Filminstituts ICAIC, und gesucht werden Produktionen des Schwarzen Filmemachers Nicolás Guillén Landrián (1938–2003). Der Dokumentarfilm von Ernesto Daranas («Conducta») erzählt dessen Lebensgeschichte als eine Art Allegorie der kubanischen Revolution. Landrián, ein Neffe des Lyrikers Nicolás Guillén, gehörte neben der Regisseurin Sara Gómez zu den ersten Schwarzen, die auf Kuba Filme drehen konnten. Doch seine anarchische Energie und sein Hedonismus brachten den jungen Regisseur schnell in Konflikt mit der Staatsmacht. Obwohl sein Onkel als Vorsitzender des offiziellen Schriftstellerverbands Uneac in der Parteihierarchie weit oben stand, geriet Landrián ins Visier der Staatssicherheit.

Fidel und die Beatles

Worin genau sein angebliches Vergehen bestand, bleibt bis heute unklar. Aus den Akten geht hervor, dass der Regisseur verbotenen Kontakt zur britischen Botschaft pflegte, «unzüchtige» Beziehungen unterhielt und offenbar Drogen konsumierte. Kritisiert wurde aber auch, dass in seinem 1968 gedrehten «Coffea arábiga», einem Lehrfilm über die Kaffeeproduktion, just in dem Moment, als Fidel Castro im Bild zu sehen ist, ein Beatles-Song ertönt: «The Fool on the Hill».

Tatsache ist jedenfalls: Landrián wurde immer heftiger drangsaliert, seine Filme landeten ungezeigt im Archiv – und irgendwann wurde er vom Inlandsgeheimdienst sogar verdächtigt, ein Mordkomplott gegen Fidel Castro geplant zu haben. Spätestens jetzt war die Repressionsmaschine nicht mehr zu stoppen: 1970 wurde Landrián festgenommen und gefoltert; zwei Jahre sass er im Gefängnis, wo er psychisch erkrankte. Danach verbrachte er viele weitere Jahre zwischen Klinik und Gefängnis, bis er Kuba 1989 schliesslich in Richtung Miami verlassen konnte.

Regisseur Ernesto Daranas, der 1961 geboren wurde und im Unterschied zu Landrián immer auf der sozialistischen Karibikinsel arbeiten konnte, rekonstruiert diese traurige Biografie anhand von Filmmaterial und literarischen Notizen Landriáns sowie in Interviews mit dessen Witwe Gretel Alfonso und dem Kameramann Livio Delgado. So entsteht ein vielschichtiges Bild von Landriáns Werk, der, nachdem er keine Filme mehr drehen durfte, auch weiterhin unablässig produzierte: Texte, Bilder und Skizzen.

Beeindruckend an Daranas’ Dokumentarfilm ist, dass er das Leid seiner Hauptfigur, die offenbar immer stärker an Wahnvorstellungen litt, formal zu spiegeln versteht: «Landrián» ist eine streckenweise irritierende Collage aus Originalaufnahmen aus den 1960er Jahren, Lyrikpassagen und Tagebucheintragungen, die von Landriáns poetischer Kraft, aber auch von seinem Schmerz und seiner wachsenden Verwirrung zeugen.

Sozialrealismus, aber magisch

Zusammengehalten wird diese Collage durch Daranas’ Suche nach verschüttgegangenen Filmrollen, die schliesslich wie ein Schatz gehoben und aufwendig rekonstruiert werden. Der wichtigste Fund ist der Dokumentarfilm «Ociel del Toa» (1965), der vom beschwerlichen Arbeitsalltag eines Sechzehnjährigen im ländlichen Kuba erzählt: Allein mit seiner Muskelkraft muss er ein Kanu einen Fluss hinauf- und hinunterbewegen. Die Szenen aus dem lange verschollenen Film zeugen von einer seltsamen Verbindung: Einerseits ist das ein sozialrealistischer Film über das bäuerliche Leben auf Kuba, andererseits haben die Aufnahmen der Natur etwas Magisch-Verklärendes, und der Blick auf den Jugendlichen und die jungen Frauen im Dorf ist offen erotisierend – diese etwas klischeehafte Perspektive hätte Daranas durchaus problematisieren dürfen.

In der Schlüsselszene von «Landrián» treffen der Kameramann Livio Delgado und der alt gewordene Jugendliche aus «Ociel del Toa» in einem Vorführraum wieder zusammen. Die beiden unterhalten sich fast ausschliesslich über die Filmarbeiten vor sechs Jahrzehnten, und doch wird hier die eigentliche Botschaft des Films deutlich: «Landrián» ist eine Hommage an den ersten Schwarzen Regisseur Kubas – aber auch ein Aufschrei der Empörung darüber, dass sich das revolutionäre Kuba so viel kreativer Energie selbst beraubt hat.

Für ein europäisches Publikum mag die ausführliche Beschäftigung mit der sozialistischen Repression fast schon wie ein antikommunistisches Stereotyp daherkommen. In diesem Fall besitzt sie jedoch eine andere Bedeutung: «Landrián» ist eine Koproduktion des kubanischen Filminstituts ICAIC und somit eine gewissermassen offizielle Aufarbeitung der Geschichte. Zudem findet Regisseur Daranas für seine politische Kritik eine eigene Bildersprache, die eine:n in den Kopf des von seiner Krankheit gepeinigten Nicolás Guillén Landrián förmlich hineinzieht.

Der Dokumentarfilm «Landrián» und eine Auswahl von Landriáns Kurzfilmen sind in folgenden Kinos zu sehen: Basel, Stadtkino; Bern, Rex; St. Gallen, Kinok; Zürich, Filmpodium.