Licht im Tunnel: Geköpft statt gebärend

Nr. 35 –

Michelle Steinbeck über rechtsextreme Rechtgläubige

Es war das Kunstereignis des Sommers: Dem «katholischen Widerstand» ist die Geburt des Heilands so zuwider, dass er dessen Mutter tötet, bevor sie ihn auf die Welt bringen kann. Aber von Anfang an.

Maria ist vielleicht die meistporträtierte Frau der Welt. Dabei fehlt in den unzähligen Darstellungen der Muttergottes jene ihrer berühmtesten Leistung: «Wenn von der Geburt Christi die Rede ist, stellen wir uns ein Kind in einer Krippe vor, aber nicht seine Mutter, die es zur Welt bringt.» Die österreichische Künstlerin Esther Strauss hat sich dieser auffälligen ikonografischen Leerstelle gewidmet: Anfang Sommer zeigte sie im Linzer Mariendom die Skulptur «Crowning» – eine kleine Holzstatue in Form einer gebärenden Maria.

Strauss sagt über ihr Werk, es sei eines, in dem «Maria ihren Körper zurückbekommt». Doch den ungeheuren Kraftakt der Geburt als solchen darzustellen, raubt für manche Gläubige der Heiligen ihre Heiligkeit. «Hässlich» schimpfen sie die Maria, deren gerafftes Kleid den Blick freigibt auf das «Crowning»: den Moment, wo das Köpfchen, umfasst von der Vulva, erscheint – «ekelhaft». Marias sitzende Position, den Blick zum Himmel gerichtet, wird als «blossstellend» gewertet und die Künstlerin auf ihrem Facebook-Profil von erbosten Kommentator:innen aufgefordert, sie solle sich mal ihre Mutter «in solch einer Pose» vorstellen: «Einfach nur krank!»

Was wie ein Witz klingt, kommt todernst daher. «Gottes Strafe und Zorn» wurden über das «obszöne, blasphemische» Werk und seine «satanistische» Künstlerin heraufbeschworen, mehrstimmig wurde gefordert: Die Skulptur «muss zerstört werden». Auf hasserfüllte Worte folgte nach wenigen Tagen die Tat: Eine unbekannte Person sägte der gebärenden Maria den Kopf ab. In der Telegram-Gruppe «Katholischer Widerstand» tauchte ein Bekennerschreiben auf, der selbsternannte «Held von Linz» wird gefeiert. Dieser «Widerstand» scheint vor allem Widerspruch: Pro Life, aber empört über Frauenkörper in Wehen? Inkarnation, aber ohne Geburt? Die heilige Maria beschützen, indem man sie enthauptet?

Die Künstlerin erkennt die Tat als Ausdruck patriarchaler Gewalt: «Wer die Bilder, die Frauen zeigen, kontrollieren will, will meiner Erfahrung nach auch Frauen selbst kontrollieren.» Es ist kein Zufall, dass kurz nach dem Vorfall in Linz auch im texanischen Houston die Statue einer Künstlerin geköpft wird – «Witness» von Shahzia Sikander spielt unter anderem auf die Beschneidung reproduktiver Rechte an und wurde von Abtreibungsgegner:innen ebenfalls als «satanisch» bezeichnet.

Das New Yorker Kunstmagazin «Hyperallergic» ordnet die beiden Fälle der global aktiven Bewegung der «Tradcaths» zu. Dieser sogenannt traditionelle Katholizismus gehöre zum rechtsextremen Spektrum und sei vor allem seit der Ernennung von Papst Franziskus immer lauter geworden. In den USA hätten die «Tradcaths» den Papst und Jesus gegen Donald Trump und Pepe the Frog eingetauscht; sie seien ein «trojanisches Pferd für die weltweite Verbreitung extremistischer reaktionärer Politik».

Die Künstlerin Strauss vermeldete zuletzt: «Die Maria ist bei mir im Atelier angekommen. Nun wird es darum gehen, ihre Wunden zu versorgen.» Ihre Antwort auf die Enthauptung wird eine künstlerische: «Das Bild der verletzten Maria wird nicht das letzte sein, das von ihr zu sehen ist.»

Michelle Steinbeck ist Autorin. Ihr neuer Roman «Favorita» handelt von der Verschränkung von patriarchaler Gewalt und Faschismus – und von feministischem Widerstand dagegen. Am 1. September ist die Buchpremiere im Zürcher Kaufleuten.