Myanmar: Kanonenfutter für den Bürgerkrieg

Nr. 35 –

Die Junta ist militärisch unter Druck – jetzt zwingt sie junge Erwachsene in den Militärdienst. Viele setzen sich zur Sicherheit nach Thailand ab.

ein Flüchtling aus Myanmar arbeitet in einem Restaurant in Bangkok
Aus Myanmar in ein Restaurant in Bangkok: Die Angst treibt viele Junge ins Exil. Foto: Lilian Suwanrumpha, Keystone

Thura Myo lebt in Bangkok. Der 27-jährige Myanmare, der eigentlich anders heisst, ist schon vor einigen Jahren in die thailändische Hauptstadt gezogen. Die Metropole bietet dem Werbefachmann aus Myanmar bessere Jobchancen. Bislang hat Thura Myo seine Heimat noch regelmässig besucht, auch noch nach dem Militärputsch von Anfang 2021, der den bis heute andauernden Bürgerkrieg ausgelöst hat. Doch seit dem 10. Februar dieses Jahres ist damit Schluss. An dem Tag setzte das Militärregime sein neues Wehrpflichtgesetz in Kraft. Würde Thura Myo jetzt nach Myanmar reisen, dann würde er zum Wehrdienst eingezogen – und müsste an die Front.

Seit Oktober 2023 steht die herrschende Junta zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Damals begann die sogenannte Operation 1027, eine Militäroffensive mehrerer verbündeter Rebell:innengruppen im Osten des Landes. Inzwischen haben weitere Milizen sowie die Volksverteidigungskräfte der Schattenregierung National Unity Government (NUG) die Offensive auf weitere Regionen Myanmars ausgeweitet. Anfang August ist es ihnen gelungen, eines von vierzehn strategisch wichtigen Kommandohauptquartieren der Junta zu erobern.

Flucht in die Universitäten

Wie viele Soldaten seit Beginn der Operation 1027 aufseiten des Militärs gefallen sind, ist nicht bekannt. Die Zahl dürfte hoch sein. Mithilfe der Zwangsrekrutierung will die Junta nun ihre Bodentruppen wieder stärken. Das Gesetz über die Wehrpflicht, das im Februar in Kraft gesetzt wurde, sieht einen zweijährigen obligatorischen Militärdienst für Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren und Frauen im Alter von 18 bis 27 vor. Seit die Mobilisierung bekannt gemacht worden sei, hätten viele junge Menschen das Land verlassen, berichtet die Menschenrechtsorganisation Mekong Migration Network (MMN): «Vor der thailändischen Botschaft in Yangon haben sich lange Schlangen gebildet. Vor den Passämtern in Mandalay und Yangon kam es zu Massenpaniken mit Toten und Verletzten.»

Werbefachmann Thura Myo kennt die Schwierigkeiten bei der Ausreise aus Myanmar. Er versucht, von Bangkok aus zu helfen. «Ich habe Kontakte zu den Migrationsbehörden in Thailand und Myanmar.» So will er junge Landsleute dabei unterstützen, der Rekrutierung zu entkommen. Viele, die es nicht ins Ausland schaffen, versuchen laut myanmarischen Exilmedien, in Gebiete zu fliehen, die sich bereits unter Kontrolle der widerständigen Milizen befinden. Seit März hat ausserdem die Zahl der Einschreibungen an den Universitäten sprunghaft zugenommen, denn Student:innen sind von der Wehrpflicht ausgenommen. Zuvor waren die staatlichen Universitäten seit dem Putsch 2021 von grossen Teilen der Bevölkerung als Ausdruck des Protests gegen die Regierung boykottiert worden.

Migrant:innen wie Thura Myo sind von der Dienstpflicht hingegen nicht ausgenommen. Die Junta droht Familienangehörigen mit Inhaftierung und Beschlagnahmung von Vermögenswerten, wenn sich junge Menschen durch den Aufenthalt im Ausland dem Wehrdienst entziehen. Bleiben sie dennoch im Ausland, droht ihnen ein Leben in der Illegalität. «Migrant:innen werden es nicht mehr wagen, bei den Botschaften Myanmars ihre Pässe erneuern zu lassen», warnt die Menschenrechtsorganisation MMN. «Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie bald keine gültigen Papiere mehr haben. Das könnte die Zahl der Asylanträge in den Zielländern erhöhen.»

Irritierende Allianzen

Ejaz Min Khant ist die Flucht gelungen. Der Rohingya lebt heute in Bangkok, nachdem er in seiner Heimat wegen seines Engagements für Menschenrechte und wegen der drohenden Zwangsrekrutierung nicht mehr sicher war. «Sowohl die Armee als auch die Rebellenmiliz Arakan Army gehen brutal gegen die Rohingya vor», erzählt Ejaz Min Khant. Ausserdem würden Fehlinformationen die Runde machen, die in der westlichen Region Rakhine den Konflikt zwischen der Mehrheitsethnie der Arakanes:innen und den Rohingya weiter anheizten.

Im hart umkämpften Teilstaat Rakhine im Westen des Landes hat die Rebellenmiliz erhebliche Erfolge gegen die Junta erzielt. Sie kontrolliert mittlerweile weite Teile der Region. Rakhine ist das Siedlungsgebiet der verfolgten Minderheit der muslimischen Rohingya, von denen 2017 mehr als 700 000 von der myanmarischen Armee mit brutaler Gewalt ins benachbarte Bangladesch vertrieben wurden. Derzeit ist Rakhine der wichtigste Bürgerkriegsschauplatz. Hier liegt Myanmars Zugang zum Indischen Ozean, die Region ist zudem Standort grosser Infrastrukturvorhaben im Rahmen der chinesischen «Neuen Seidenstrasse».

Ein Sieg der Arakan Army in Rakhine könnte das Ende der Junta besiegeln. «Die Miliz ist sehr effizient. Rakhine wird fallen», glaubt der Publizist und Myanmarexperte David Mathieson. Zu den Kriegswirren gehört, dass die Armee der Junta in Rakhine von Rohingyamilizen unterstützt wird. Diese rekrutieren in Bangladesch unter Zwang Geflüchtete für den Dienst für die Junta, die doch einst für die Vertreibung und die Ermordung der Rohingya verantwortlich war. Wie die Zusammenarbeit der Regierungstruppen mit den Milizen zustande kam, ist noch unklar. Ein Sprecher der Opposition wirft der Junta auf X vor, sie würden die Rohingya als menschliche Schutzschilde an der Front einsetzen.