Eskalation in Myanmar: Die Asean hat versagt
Die Lage in Myanmar verschlechtert sich zunehmend. Der Widerstand gegen die Junta ebbt nicht ab, die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller, das Land versinkt auch wirtschaftlich im Chaos. Die südostasiatische Staatengemeinschaft schaut taten- und planlos zu.
Nach dem Myanmar-Gipfel der südostasiatischen Staaten am 24. April in Jakarta wehte ein Hauch von Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Armee und Volk durch Myanmar. Die südostasiatische Staatengemeinschaft Asean hatte einen Fünf-Punkte-Plan beschlossen, der unter anderem die Entsendung eines Sonderbotschafters als Vermittler zwischen den Konfliktparteien vorsah. Die Hoffnung zerstob schnell. An die Umsetzung des Plans sei erst zu denken, wenn Ruhe, Ordnung und Stabilität wiederhergestellt seien, verkündete gleich nach dem Gipfel Juntachef Min Aung Hlaing, also der Mann, der mit seinem Putsch vom 1. Februar 2021 für Unruhe, Unordnung und Instabilität gesorgt hat.
Fünf Wochen nach dem Gipfel kamen dann tatsächlich Asean-Abgesandte ins Mitgliedsland Myanmar und trafen sich mit dem State Administration Council, wie sich die Junta nennt – nicht aber mit VertreterInnen der demokratischen Schattenregierung National Unity Government (NUG) und der Bewegung für zivilen Ungehorsam, dem Rückgrat des seit mehr als vier Monaten andauernden Widerstands gegen die Militärdiktatur. «Offen gestanden, wir haben kein Vertrauen mehr in die Bemühungen der Asean und auch keine Erwartungen mehr», kommentierte U Moe Zaw Oo, der stellvertretende Aussenminister der NUG.
Schönheitskönigin mit Sturmgewehr
Exemplarisch für die aktuelle gewaltsame Kriegsrealität im Post-Putsch-Myanmar ist die Bombardierung der Stadt Phruso im Unionsstaat Kayah durch die Armee. Mittlerweile hat sich auch eine Reihe der «Ethnic Armed Organisations» (EAO) genannten Milizen der seit Jahrzehnten für Autonomie kämpfenden ethnischen Minderheiten dem Widerstand gegen das Militärregime angeschlossen. In Shan, Kachin, Chin, Karen und eben Kayah führt die Armee mit Bodentruppen, Kampfhubschraubern und Bombern einen brutalen Krieg gegen die EAOs und die Zivilbevölkerung. Mehr als 100 000 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen allein in Kayah an der Grenze zu Thailand auf der Flucht.
Aber auch die Mehrheitsethnie der Bamar radikalisiert sich gerade. Tausende lassen sich derzeit im bewaffneten Kampf gegen die Junta ausbilden, wie zum Beispiel die prominente ehemalige Schönheitskönigin Htar Htet Htet. Unter ein Selfie mit Tarnanzug und Sturmgewehr auf Facebook schrieb die 32 Jahre alte Fitnesstrainerin im Mai: «Es ist an der Zeit, zurückzuschlagen.»
Juntachef wurde kalt erwischt
In der Metropole Yangon gehören Bombenanschläge auf Einrichtungen der Junta seit Wochen zum Alltag. Die grösstenteils aus jungen Leuten bestehende Stadtguerilla schreckt auch vor Morden an juntaloyalen Mitarbeitern von Behörden nicht mehr zurück. Die demokratische Schattenregierung NUG verurteilt die urbane Guerillakriegsführung, unterstützt aber den bewaffneten Kampf der EAOs. Anfang Juni forderte die NUG gar die verfolgten muslimischen Rohingya auf, sich dem Kampf gegen die Militärdiktatur anzuschliessen. Im Fall eines Sieges gegen die Junta, so die NUG, werde sie den Rohingya die volle Staatsbürgerschaft garantieren.
Das entbehrt nicht einer gehörigen Portion Ironie. Die NUG besteht zu Teilen aus Mitgliedern der gestürzten Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie, die keinen Finger rührte, als die Armee im August 2017 mit blutiger Gewalt Hunderttausende als staatenlos geltende Rohingya nach Bangladesch vertrieb.
857 friedliche DemonstrantInnen hat die Junta seit ihrem Putsch erschiessen, mehr als 6600 RegimegegnerInnen verhaften lassen. Das Bankensystem steht kurz vor dem Zusammenbruch, Streiks haben die Wirtschaft weitgehend lahmgelegt, immer mehr Menschen hungern. Aber der Widerstand ist ungebrochen, was Juntachef Hlaing kalt erwischt hat. «Ich muss sagen, mit diesem Ausmass hatte ich nicht gerechnet», sagte der General am 20. Mai in einem Interview mit einem Hongkonger Fernsehsender und räumte ein, das Land nicht unter Kontrolle zu haben. Gleichzeitig sagte er den «destruktiven Aktivitäten» den Kampf an, bis Ruhe, Ordnung und Stabilität herrschten.